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Kolumnenbeitrag

Zusammen im Büro, alleine bei der Arbeit?

  • Kai Matthiesen
  • Donnerstag, 25. November 2021
Zusammen im Büro allein bei der Arbeit
© Silke Bachmann

Warum Zusammenarbeit in Organisationen die wertvolle Ausnahme ist.

Ich gehe gern ins Büro. Da sind nette Menschen, schnelles W-Lan, große Bildschirme und guter Kaffee. Schade nur, dass ich dann oft in einer WebBox verschwinde. So nennen wir unsere schallisolierten Räume, in denen wir unsere Gesprächspartner „anbrüllen“ können, ohne andere bei der Arbeit zu stören, oder um selbst ungestört arbeiten zu können. Schade auch, dass ich meine Kolleg:innen dann nur durch die Glasscheiben sehe oder durch die Fenster, wenn sie im Park spazieren gehen. Erst beim Mittagessen oder der gemeinsamen Parkrunde ist Zeit für ein Gespräch. Meine Arbeit aber, die mache ich oft allein oder für und mit Menschen am anderen Ende der Leitung. Dafür müsste ich auch nicht ins Büro kommen. Die vereinzelte Arbeit überwiegt.

Kein Wunder, denn in modernen Organisationen ist Kollaboration nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Organisation ersetzt Kollaboration durch Arbeitsteilung und notwendige Integration. Es wird entschieden, wer was machen soll, weil sie es besser kann. Oder es geht in Summe schneller, wenn er nur einen kleinen Arbeitsschritt immer wieder macht, statt das ganze Werkstück fertigzustellen. Die Leistung des Systems als Ganzes steigt. Die Arbeit wird nicht mehr gemeinsam getan, sondern jede/r trägt einen Teil bei. Der Blick fürs Ganze geht schnell verloren. Arbeitende entfremden sich vom Produkt der eigenen Arbeit.

Der Mythos der aus sich heraus sinnstiftenden Kollaboration hält sich aus einer Zeit, in der Arbeit in Gruppen für die Sicherung des eigenen Überlebens notwendig war. Aus einer Zeit, in der gesellschaftliche Arbeitsteilung sich noch nicht herausgebildet hatte: Zusammen wurde das Feld bestellt, zusammen das Korn geerntet, wenn es reif und das Wetter schön war, zusammen wurde das Korn gemahlen und das Brot gebacken. Nach Karl Marx kam das Übel der Entfremdung mit der Industrialisierung auf den Plan, als geteilte Arbeit in Gesellschaft und Organisationen Norm geworden war.

Dem Schmerz durch Entfremdung und Verlust an Sinn begegnet die Organisation mit Maßnahmen, die Kohäsion stiften sollen. Eine Schauseite soll das Ganze nach außen wie nach innen zusammenhalten, z.B. als Leitbild und -figur, Marke und Markierung oder Vision und Purpose. Zusätzlich trösten sich die Mitglieder der Organisation selbst. Sie richten in der Informalität der Organisation „Kuschelecken“ ein. Sie helfen sich z.B. kollegial, wo es formal nicht vorgesehen war. Oder sie regen sich am Mittagstisch über die Sinnlosigkeit einer Aufgabe auf und ernten dafür Zustimmung.

Die Sinnstiftung, die nicht mehr von selbst in der Kollaboration entsteht, muss durch Kohäsionsmaßnahmen und Informalität kompensiert werden. Umso wichtiger, dass die raren Momente der Zusammenarbeit als wertschöpfende Interaktionen gut durchdacht angelegt werden. Dann schließen Ideen und das Tun der einen an das Denken und Handeln des anderen an. Ein gemeinsames Produkt der Zusammenarbeit entsteht.

An gut gestalteten Arbeitsorten kann all das zusammenkommen. Eine schöne Schauseite, hinter der man sich gern aufhält, Raum zur Begegnung mit Kolleg:innen, in der sich Informalität ausbilden kann, und Kollaborationsräume, die so ausgestattet sind, dass Zusammenarbeiten fruchtbar möglich und wahrscheinlicher wird.

Fällt der gemeinsame Arbeitsort weg, weil das Team z.B. über mehrere Standorte verteilt oder im Homeoffice arbeitet, muss noch sorgfältiger organisiert werden, um der Entfremdung am häuslichen Küchentisch entgegenzuwirken. Die organisationale Arbeitsteilung ermöglicht zwar erst ein Arbeiten an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten. Sie löst aber die daraus entstehenden Probleme nicht gleich mit. Das bleibt an den Organisierenden und den klugen Organisationsmitgliedern hängen. Allein den Mythos Kollaboration zu beschwören, greift zu kurz.

Ich gehe gern ins Büro. Da sind nette Menschen, … .

Autor
Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augenmerk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisationsmitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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Kommentar (1)

  1. Martin Lang sagt:

    Sehr gut. Auch ich beobachte eine zunehmende Ratlosigkeit bei vielen Veranwortlichen und Mitarbeitern, wenn es um das Warum von verpflichtenden Präsenztagen geht. Wer sagt mir, dass an genau diesen Tag das passiert was uns als Team verbindet, zusammenschweißt, zu einer mehr oder weniger verschworenen Gemeinschaft macht? Ich glaube daran, dass wir an ALLEN Tagen die Möglichkeit nutzen sollten, durch die Wiederentdeckung der echten Kollaboration und durch die Möglichkeit permanenter niederschwelliger Kommunikation auch gemeinsam Freud und Leid, Erfolg und Schmerz zu teilen. Kameradschaftstreffen von Kriegsveteranen, Freundschaften aus dem Studium, die ein Leben lang halten oder die Altersabteilungen von Sportmannschaften zeigen, dass nachhaltige Verbundenheit dadurch entsteht, dass ich über eine lange gemeinsam verbrachte Zeit Freud und Leid, Erfolg und Niederlage teile. Wir sollten uns daher viel mehr überlegen, wie wir das in die hybride Realität übertragen um die Vorteile von Präsenz und Mobilität zu vereinen.

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