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Führungspositionen im Theater

Intendant:in sein ist schwer, als Co-Leitung zu arbeiten noch viel mehr

  • Alexander Keil
  • Donnerstag, 30. Mai 2024

Was verspricht man sich von Co-Leitungsmodellen an Theatern? davon? Wie kommt es, dass das Theater seine Führungsstrukturen neu aufsetzt? Über die Erwartungen und Folgeprobleme von Co-Leitungsmodellen an Theatern.

„Die Leitung kann auch als Co-Leitung besetzt werden.“

So oder so ähnlich sehen viele Stellenausschreibungen künstlerischer Leitungen und Intendanzen von Theatern und Schauspielhäusern im deutschsprachigen Raum zurzeit aus. Besonders schweizerische Häuser scheinen den Trend mit Begeisterung aufzunehmen: Das Schauspielhaus Zürich, das Theater Neumarkt, das Theaterhaus Gessnerallee, das Theater Basel besetzten alle die künstlerische Intendanz oder Spartenleitungen in Co-Leadership-Modellen. Auch in Deutschland sieht man mehr Varianten davon aufkommen: Das Theaterhaus Jena arbeitet seit vielen Jahren erfolgreich mit diesem Modell, für das Theater junge Generation wurde gerade frisch eine neue Co-Leitung gewählt, und sofern die Pläne umgesetzt werden, rückt das Theater Erfurt 2027 nach: Das Erfurter Kulturdezernat will die bisher allein geführte Stelle auf ein siebenköpfiges Team aufteilen.

Von außen kann man den Aufwind rund um dieses noch relativ neue Rollenmodell aus angenehmer Distanz beobachten und gleichzeitig die Frage stellen: Was verspricht man sich davon? Wie kommt es, dass das Theater seine Führungsstrukturen neu aufsetzt? Um es noch leicht systemtheoretisch gedreht auf den Punkt zu bringen: Was sind die Probleme, für die Co-Leadership-Modelle im Theater eine Lösung sein sollen? Und inwiefern können diese Modelle den an sie gerichteten Erwartungen gerecht werden?

Die Ziele: Entlastung und Entmachtung

Die künstlerische Intendanz im Theater ist eine Rolle mit einzigartigen Gestaltungsmöglichkeiten sowie damit verbundenen Verantwortungen und Machtbefugnissen. Formal führen zwar die künstlerische und kaufmännische Leitung ein Theater häufig gleichberechtigt, doch faktisch ist die kaufmännische Geschäftsführung der künstlerischen nachgeordnet. Von der künstlerischen Leitung hängt also viel ab – mitunter zu viel.

Das äußert sich im erlebten Druck auf die Stelle, die gleichzeitig in vielerlei Richtung Orientierung geben muss. Dazu nur zwei Beispiele: Wenn es im Theater zum Konflikt kommt, ist es ein gut eingeübter Mechanismus, ihn zur Kunstfrage zu erklären. Dadurch wird er zur Verantwortung der künstlerischen Intendanz. Einigen sich im Produktionsprozess beispielsweise Bühnenbildner:in und Werkstattleitung nicht zum Aufwand für die Gestaltung eines Bühnenbildteils, ruft man nicht selten die künstlerische Intendanz zur Problemlösung. Auch die umfangreiche Beziehungsarbeit mit Mäzen:innen und Sponsor:innen wird üblicherweise persönlich von der künstlerischen Intendanz geleistet. Denn auch die Geldgeber erwarten, eine Nähe zu der Person aufzubauen, die das künstlerische Geschehen im Theater maßgeblich bestimmt.

Vor dem Hintergrund eines großen Bündels aus formalen Zuständigkeiten und gewachsenen Erwartungen ist es naheliegend, dass die Besetzung der Stelle für die jeweils Zuständigen ein Politikum mittleren Ausmaßes geworden ist. Die eine Person zu finden, die dieser vielschichtigen und mitunter widersprüchlichen Rolle gerecht werden kann, ist schwer, weil in jede dieser Entscheidungen zusätzlich immer auch lokale, historisch gewachsene und regelmäßig auch latente politische Erwartungen einfließen.

Ein Team einzusetzen, statt einer Einzelperson, kann also als Akt der Entlastung verstanden werden. Doch ist das nur ein Teil der Überlegung. Ebenso geht es um Entmachtung: Dass eine Person allein so viele Befugnisse und noch mehr Einfluss hat, mutet für manche kurios an in einer Institution, die üblicherweise Spiegel oder sogar Provokation der Gesellschaft sein will.

Von der Macht des Einzelnen hin zur Machtverteilung auf mehrere Personen ist ein erstes Zeichen einer Demokratisierung. So verteilen sich beispielsweise Entscheidungen über die Engagements von Ensemblemitgliedern oder Gästen auf mehrere Schultern. Das schwächt die strukturell angelegte Abhängigkeit von Spieler:innen zu Intendant:innen und erhöht die Autonomie mit Blick auf deren Karrieregestaltung. Auch für die Aufsichtratsgremien ergeben sich Vorteile: Bei einem Leitungsteam sind Stellenwechsel einzelner leichter zu bearbeiten. Es wird möglich, durch teilweise Neubesetzungen neue Akzente zu setzen und gleichzeitig Kontinuität zu wahren. Im Einpersonenmodell ist die Neubesetzung der künstlerischen Leitung dagegen immer ein Neuanfang für das gesamte Haus. Denn mit dem Wechsel der künstlerischen Intendanz sind sehr häufig auch weitreichende Stellenwechsel im künstlerischen Bereich verbunden. Nicht selten werden dadurch weite Teile der Ensemblestellen neu besetzt, nehmen neue Dramaturgie- und Vermittlungsteams ihre Arbeit auf und gestalten Marketing- und Kommunikationsverantwortliche neue Außenauftritte, die den künstlerischen Neuanfang unterstützen.

Des Weiteren ist der Wunsch nach einer Vielzahl an Leitungspersonen seitens der Aufsichtsratsgremien häufig mit einem verstärkten Wunsch nach Pluralität auf verschiedenen Ebenen des Theaters verbunden: Die Vielzahl an Stimmen in der künstlerischen Intendanz soll eine Vielfalt an künstlerischen Positionen im Spielplan und damit eine ebenso vielfältige Ansprache verschiedener Zielgruppen absichern. Auch zielt man so auf eine Personalpolitik ab, die beispielsweise vielfältigen Bildungs- und Erfahrungshintergründen, aber auch einer gewissen kulturellen und Altersdiversität Rechnung trägt. Auch kann man in einer Co-Leitung gleichzeitig Intendanzen besetzen, die selbst inszenieren, dramaturgisch arbeiten und selbst auf der Bühne stehen. Weiterhin hat eine vielköpfige künstlerische Leitung auch ein Vielfaches an Möglichkeiten in der Beziehungsarbeit. Das Haus kann auf höchster Hierarchiestufe verschiedene Ansprechpartner:innen und damit Arbeits- und Verstehensweisen und Zugang zu persönlichen und professionellen Netzwerken anbieten und damit die Zugänglichkeit in verschiedene Richtungen erhöhen: zum Publikum, zur lokalen Theaterszene oder auch zu potentiellen Sponsor:innen.

Hohe Erwartungen bei wenig Veränderungen

Viele Vorstellungen und Wünsche sind also mit dieser Setzung verknüpft: Man öffnet die Ausschreibung für Co-Leadership-Modelle und Leitungsgremien, mit mal deutlicher, mal impliziter Kommunikation, dass Teambewerbungen gegenüber Individuen einen Vorteil hätten.

Die faktische Umsetzung eines erfolgreichen Co-Leadership-Modells wird weitestgehend den Teams überlassen. Diese sind in der Regel darauf vorbereitet und haben mindestens eine Idee, wie sie ihre Zusammenarbeit gut gestalten wollen. Häufig setzen diese Gestaltungsansätze auf der Werteebene der Zusammenarbeit an. Man verständigt sich zum Beispiel auf relativ hoher Flugebene auf einen respektvollen Umgang, eine gewaltfreie Kommunikation miteinander oder den Abbau von Zugangshürden für Mitarbeiter:innen und Publikum. Einige Teams definieren Leitplanken für ihre Arbeit mit Blick auf die Einhaltung von Mindestgagen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und einigen sich auf visionäre künstlerische Ideen.

Allerdings fehlt häufig genug die Übersetzung dieser schauseitigen Werte- und Prinzipienstatements auf die formale Seite des Theaters. An Werten orientieren sich die/der Einzelne:n in der konkreten Entscheidungssituation nur wenig, denn sie besitzen beispielsweise keine Zeitlichkeit (bis wann soll das Werteziel erreicht werden?). Sie erzeugen zuerst einmal kaum Widerspruch, weil sie relativ unkonkret sind und viele sich hinter ihnen versammeln können. Jede:r hat ein anderes Verständnis von gegenseitigem Respekt. Was beispielsweise als Zugangshürde wahrgenommen wird, ist individuelle Auslegungssache.

Zuständigkeiten innerhalb des Leitungsteams werden öfter entlang der professionellen Hintergründe und Erfahrungen der Mitglieder grob festgelegt. Eine:r übernimmt eher die Aufgaben und den Blick der Regie, Dramaturgie, Produktion oder Vermittlung. Die anderen, die jeweils ihnen naheliegenden Perspektiven. Letztlich fühlen sich aber alle Leitungsmitglieder für ein schlecht zu definierendes „Alles“ zuständig – insbesondere, wenn sie neu in die Rolle kommen. Eine klar umrissene Arbeitsteilung wäre hier wichtig, um ein Theater gemeinsam zu führen und zugleich weitestgehend unabhängig voneinander zu entscheiden. Andernfalls ist das Resultat eine Teamleitung, die sich im permanenten Ringen selbst um die kleinsten Entscheidungen befindet. Dadurch wird auch der Abstimmungsprozess häufig genug (unnötig) kompliziert. Neben mehr Personen für eine Veränderungen, muss daher auch über die grundlegenden Strukturen des Entscheidens nachgedacht werden.

Solche Strukturen sind auch für das Arbeiten mit der Mitarbeitendenschaft wichtig, wenn dieses einfacher werden soll. Ansonsten lernen sie die ganz normalen Widersprüche und Kommunikationslücken in einem Leitungsteam zu nutzen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Auch für die Zusammenarbeit mit der externen Umwelt braucht es andere Strukturen, wenn man mehr Menschen an der Spitze hat: Denn ohne klares Ausflaggen der Zuständigkeiten wissen externe Anfragende nicht genau, an wen sie sich wenden sollen. Selbst die Kernaufgaben, wie z.B. die künstlerische Arbeit am Spielplan oder die Schaffung von kreativen Freiräumen für die Produktionsteams, werden zunächst viel komplexer. Theoretisch müsste sich ein Leitungsteam zu all den damit verbundenen Fragen abstimmen, bevor entschieden werden kann. Das vervielfacht den mit der Leitungsarbeit verbundenen Aufwand enorm. Hinzu kommt, dass es im Theaterfeld auch für Co-Intendant:innen wichtig bleibt, als Künstler:innenpersönlichkeit sichtbar zu werden, Akzente zu setzen und so die eigene Karrierechancen zu steuern. So kommt es häufig nicht zur erhofften gemeinsamen Co-Entwicklung, sondern zu latenten Konkurrenzsituationen untereinander.

Wie kann es besser gehen?

So wie die Besetzung einer künstlerischen Leitung mit einer Person, erzeugt auch das Modell Co-Leitung ungewünschte Folgeeffekte, die es fortwährend zu bearbeiten gilt. Was ist also ganz pragmatisch möglich? Was kann ein künstlerisches Leitungsteam selbst tun, um die eigene Arbeit gut zu gestalten?

Zunächst lohnt es sich, innerhalb des Leitungsteams vertieft über die Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten nachzudenken. Hierbei können die folgenden Fragen helfen: Wer kümmert sich um welche Aufgaben? In welchen Meetingformaten informiert man sich gegenseitig regelmäßig über den Arbeitsstand im eigenen Ressort? Welche Themen will man bewusst aus verschiedenen Perspektiven angehen und gemeinsam entscheiden? Wie tauscht man sich über Beobachtungen im Theater aus, die noch keine bereits zugeteilten Aufgaben sind, weil sie erst im Verlaufe der Zeit auftauchen? Es gilt sicherzustellen, dass alle Leitungsmitglieder Aufgabenpakete erhalten, die sie weitestgehend unabhängig voneinander bearbeiten können. Auf diese Weise entsteht die beabsichtigte Vielfalt an Entscheidungen und zugleich wird man so dem Leitungsanspruch der jeweiligen Co-Leitungsmitglieder gerecht.

Mit dem Nachdenken über die Arbeitsteilung einher geht auch die Verständigung über Entscheidungsverfahren. Es ist ganz normal, dass man nicht immer einer Meinung ist innerhalb einer Co-Leitung. Daher sollte man sich überlegen: Entscheidet man im Konsensverfahren, diskutiert also so lange, bis alle Beteiligten aktiv zustimmen? Oder eignet sich das Konsentverfahren mehr und man diskutiert nur, falls jemand einen schwerwiegenden Einwand hat?

Alle Arbeit, die geteilt wird, muss zum Beispiel in Regelmeetings wieder  zusammengeführt werden. Für diese Reintegration sowie eine Ausrichtung auf gemeinsame (künstlerische) Ziele sorgt auch eine handlungsleitend formulierte Strategie. Strategie meint hier eine recht pragmatische Vereinbarung darüber, was man sich konkret als Co-Leitungsteam und Haus vornimmt. Orientierungstiftende Strategien enthalten konkrete Ziele, die u.a. mit Zuständigkeiten und Zeitlichkeiten versehen sind. Sie geben sowohl der Co-Leitung als auch den weiteren Mitgliedern des Theaters Leitplanken dazu, wie grundsätzlich zu entscheiden ist und welche größeren Maßnahmen man sich zu Erreichung der Ziele vornimmt.

Schließlich braucht es in einem Theater mit Teamleitung sowohl auf der Ebene der nachgeordneten Führungskräfte wie auch unter den Mitarbeiter:innen Menschen, die bereit sind, die Komplexität solcher geteilten Führungsmodelle mitzutragen und zu gestalten. Viel mehr als in einem Einpersonenmodell gilt es, etwaige Spannungen soweit möglich selbstständig produktiv aufzulösen und für eine organisationskluge Bearbeitung zu sorgen.

Ein Plädoyer für die Arbeit an Organisationsstrukturen

Künstlerische Intendanzen sind heute (und waren es immer schon) verantwortlich dafür, ein ganzes Haus und die damit verbundenen Strukturen zu gestalten. Dabei wirkt die Vielfalt an Strukturen, die Entscheidungen beeinflussen, manchmal unüberblickbar: Tarifverträge geben Arbeits- und Pausenzeiten vor. Drehpläne für Kino oder TV wirken in die Probenpläne hinein. Verwaltungen erlassen Nachhaltigkeitsrichtlinien. Aufsichtratsgremien drängen auf möglichst hohe Auslastungszahlen. Und dabei hat man noch keine einzige Sekunde lang darüber nachgedacht, wofür das Theater da sein soll, wie es in die Gesellschaft hinein wirkt oder wie man den nächsten Spielplan gestaltet.

Man kann die künstlerische Intendanz auf verschiedene Art und Weise von dieser Managementkomplexität entlasten: Die Entwicklung neuer Arbeitsteilungsmodelle zwischen künstlerischer und kaufmännischer Intendanz sind genauso denkbar, wie eine stärkere Aufstellung auf der Ebene der Abteilungsleitungen. Das Modell Co-Leitung ist hier lediglich ein funktionales Äquivalent von vielen.

Will man Co-Leitungsmodelle (oder auch andere Leitungsmodelle) längerfristig und unabhängig von Personenlösungen in Theatern etablieren, bildet die grundlegende Arbeit an den Organisationsstrukturen einen großen und effektiven Hebel hierfür. Sie ist ungleich wirkungsvoller als der (alleinige) Versuch der Veränderung auf der Ebene der Mitarbeiter:innen. An einigen Orten verbreitet sich bereits eine gewisse Müdigkeit, sich der teilweise kleinteilig anmutenden Strukturarbeit zu widmen. Als Co-Intendant:in widmet man die vergleichsweise wenige Zeit, die nicht für operative Themen verwendet werden muss, aus nachvollziehbaren Gründen lieber der künstlerischen Arbeit. Zugleich muss man festhalten: Strukturarbeit schafft im besten Fall Räume für die Co-Leitung, um selbst weniger operativ tätig zu sein und dafür mehr Kapazität für Strategisches und Künstlerisches oder auch für Freizeit zu haben. Mit jedem neuen Co-Leitungsteam in einem Theater sammelt man zudem wertvolle Erfahrungen hinsichtlich Strukturalternativen zum Einpersonenmodell. Co-Leitung braucht den Willen, die damit verbundenen Gestaltungsräume tagtäglich zu füllen von allen Beteiligten im Haus. Solange dieser Wille jedoch nicht als Status quo in der Theaterlandschaft vorherrscht, bleibt sie leider weiterhin der neue Sonderweg einzelner Theater. Angesichts der Vielzahl an Folgeproblemen von Einpersonenmodellen lohnt sich die Reflexion und Arbeit an ihr allemal.

Autor
Alexander Keil

Alexander Keil

freut sich am meisten über soziologische Tricks, die bessere Partizipation ermöglichen.

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