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Matthiesen meint

Purpose frisst Incentive

  • Kai Matthiesen
  • Freitag, 7. November 2025

Man kann daran zweifeln, dass Menschen, die Sinn in ihrer Arbeit sehen, sich von Incentives ablenken lassen. Die Ausnahme sind vielleicht Incentives für Sales-Leute– aber um die soll es hier nicht gehen. Es geht um das Festlegen von Zielen und Incentives im Management einer Organisation. 
 
Es ist ein so etabliertes wie nutzloses Ritual, am Anfang des Jahres (oder in noch längeren Schleifen) mit Abteilungs- und Bereichsleitungen festzulegen, was ihre Prioritäten sein sollen. Denn: Wenn man gute Leute auf diesen Positionen hat, dann haben sie einen starken eigenen Kompass, der ihnen sagt, was das Richtige für die ihnen anvertraute Aufgabe ist. Sie haben den Anspruch, sinnvolle Arbeit zu machen – und sie werden sich auch von vereinbarten Zielen nicht davon ablenken lassen. Gute Leute folgen ihrem Eigen-Sinn, ihrem individuell identifizierten Purpose.

Man darf diesen Eigen-Purpose nicht verwechseln mit dem, was in der Management-Literatur rauf und runter als Purpose diskutiert wird: der motivierende Zweck für die Gesamtorganisation, die alle umfassende „Why“-Erzählung. Letzterer ist Ergebnis von Arbeit, vorrangig der einer Kommunikationsabteilung oder -agentur und wird seine Künstlichkeit nie los. Die besagten guten Leute lassen sich vom erzählten Zweck der Organisation aber nicht irritieren. Sie haben ihren Kompass auf die eigene Karte eingenordet. 

Und: Das ist gut so. Wenn Projekte über Sinnhaftigkeit priorisiert werden, gewinnt die ganze Organisation an Dynamik. Es ist teil-autonome Steuerung der Aufmerksamkeit. Jahresziele dagegen stehen für statische Steuerung. Eine Liste von Zielen wird schnell zur Checkliste, an der man stoisch Haken setzt – ungeachtet des Organisationslärms. Das mag in Forschung, Archiv oder Buchhaltung ein Erfolg sein. Aber Management hat gerade die Aufgabe, sich dem Organisationslärm auszusetzen und zu filtern: Was braucht Aufmerksamkeit – und was darf weiterlaufen?

 
Wieso kollektive Incentives besonders nutzlos sind 


Man muss zwischen individuellen und kollektiven Incentives unterscheiden – nicht weil eine Form nützlicher wäre als die andere, sondern weil beide mit erstaunlicher Zuverlässigkeit ihren Zweck verfehlen.  
 
Schauen wir zuerst auf kollektive Incentives. Sie gelten für alle Führungskräfte und das Top-Management gleichermaßen – etwa Bonuszahlungen, die greifen, sobald der Aktienkurs einen bestimmten Wert erreicht oder der EBIT auf dem gewünschten Niveau liegt. Kollektive Incentives sollen das „Wir-sitzen-alle-im-gleichen-Boot“-Gefühl stärken. Die Idee: Weil man gemeinsam belohnt wird, muss ja klar sein, dass alle das Beste für die Organisation wollen – also ist Kooperation der beste Weg, um gemeinsam die Ziele zu erreichen. 

 
In der Theorie klingt das gut: Weil ich weiß, dass auch die anderen nur das Beste wollen, höre ich mir eher ihre Argumente an. Ich habe kein Problem mit zentral verwalteten Mitteln oder gemeinsamen Budgets für Personal, IT und Sonderprojekte. Warum auf Kontrolle pochen, wenn alle das gleiche Ziel haben? 
 
Zum Glück für die Organisation und zum Frust der Incentivierenden funktioniert das in der Praxis nicht. Vielleicht motiviert der in Aussicht gestellte Bonus – aber der Blick bleibt doch auf den eigenen Bereich gerichtet. Man weiß, was für Produktion, Forschung oder Vertrieb das Beste wäre – und ist erst einmal davon überzeugt, dass die Organisation nur profitieren würde, wenn diese Bedürfnisse endlich befriedigt würden. 
 
Der eigene Bereich, das Team, mit dem man täglich arbeitet, dessen Probleme man bearbeitet, kommt immer zuerst. Es ist naiv zu glauben, dass kollektive Incentives diese Logik brechen können. Sie übersehen, wie stark Arbeitsteilung Wirklichkeiten teilt und lokale Rationalitäten schafft. Das Reintegrieren dieser Perspektiven ist Arbeit.  

Individuelle Incentives: Schöner, aber ebenso nutzlos 

 Individuelle Ziele zielen meist auf die typischen Probleme der Arbeitsteilung: weniger Silodenken, mehr crossfunktionale Projekte, bessere Konfliktlösung bei Ressourcenengpässen oder mehr Diversität in den Teams. 
 
Das zeigt immerhin, dass das Top-Management die richtigen Probleme erkennt. Nur schade, dass auch hier gilt: Gute Führungskräfte lassen sich davon kaum leiten. Wenn sie gut sind, sind sie durch ihren jeweiligen Purpose bereits motiviert. Sie erkennen selbst, was getan werden muss, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Ein „First Team Mindset“, in dem die Logik des Führungsteams über die der eigenen Abteilung gestellt werden soll, ist ein sympathischer Gedanke – aber im Alltag kaum umzusetzen. Das „First Team“ bleibt das, mit dem man täglich zu tun hat. Denn das ist das Team, das auf einen zählt – und für das sich gute Manager*innen sich mit voller Kraft einsetzen.

Ja, man muss alles selber machen 

Für CEOs und andere Organisationsverantwortliche ist das die schlechte Nachricht dieses Beitrags: Es lässt sich nicht verhindern, dass Bereichsleitungen immer dazu tendieren, die Perspektive ihres eigenen Bereichs einzunehmen – und sich für dessen Interessen einzusetzen. (And that’s not a bug, it’s a feature!) 
 
Man kann die Reintegration der Arbeitsteilung nicht an Zielvereinbarungen auslagern. Das Auseinanderdriften der Perspektiven ist eines der typischen Probleme, mit denen sich das Top-Management befassen muss – und für das es nur eine sinnvolle Herangehensweise gibt: Verständigung im Diskurs. Das bedeutet, genau die Themen, von denen alle genervt sind und die ständig zu Konflikten führen, müssen immer wieder auf der Agenda landen. Genau die Diskussionen, die erwartbar hitzig werden, führt man ganz bewusst – und verpflichtet so die Beteiligten dazu, die Ergebnisse zu tragen.  Das ist kein Spaß für die Hierarchiespitze, aber es bringt die Organisation weiter als jede Art von Zielvereinbarung. 

Es ist naiv, auf harmonische Ausgänge zu hoffen. Und es ist kindisch, wenn bei Konflikten Führungskräfte nur dazu aufgefordert werden, sich „bitte selbstständig zu einigen“. Eine harte, ehrliche Verhandlung ermöglicht es einer Bereichsleitung, ins eigene First Team zurückzukehren und zu sagen: „Es ist nicht, was wir uns gewünscht haben, aber ich habe das Bestmögliche rausgeholt. Lasst uns sehen, wie wir mit den Ergebnissen arbeiten können.“ 
 
Und dank einer dynamischen Zielorientierung – mit dem Purpose der jeweiligen Aufgabe als Kompass – wird man sicher einen Weg finden. Monetäre Incentives bleiben dann das, was sie sind: eine Möglichkeit ein Entgelt „objektiv“ zu bemessen und ein schwieriges Gespräch über Leistung zu vermeiden. 

Und wenn man ein Problem damit hat, dass sich die Leute selber überlegen, welche Ziele sie verfolgen, dann lohnt sich ein Gespräch über den Zuschnitt der Rolle und der Zuständigkeiten weit mehr, als das Vereinbaren ganz anderer Ziele oder der Appell, sich doch bitte am übergeordneten Purpose zu orientieren. 

Weiter lesen: 

Zur begrenzten Wirkung von Bonifizierungen ist unter anderem Timo Vogelsang eine spannende Quelle – z.B. mit einem Feldexperiment dazu warum monetäres Bonifizieren kontraproduktiv sein kann:  „Talking about Performance or Paying for it?“ 

Auch erwähnenswert sind hier Iryna Alves und Sofia M. Lourenco, die in ihrem Paper „An exploratory analysis of incentive packages and managerial performances“ ebenfalls den Schluss ziehen; „that monetary incentives per se are not sufficient to motivate managers to achieve a high performance. Conversely, providing managers with autonomy and development opportunities appears to be sufficient to obtain high managerial performance.” 

Und abschließend kann man noch auf unser eigenes Paper zu dem Thema hinweisen. Darin diskutieren wir vor allem die Frage, inwiefern sich durch Incentivierungen, Zielsetzungen und -messungen eine performanceorientierte Kultur gestalten lässt – und welche Folgen es hat, wenn das gelingt. 

Autor
Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augen­merk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisations­mitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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