Reisende soll man nicht aufhalten? Vielleicht. Aber was waren die Gründe, die sie erst zu Reisenden gemacht haben? Und kann man wirklich sagen, dass Kündigungen egal sind, solange man die Stelle wieder neu besetzen kann?
In dieser Reihe schauen wir auch darauf, wie Organisationen zu Zumutungen für ihre Mitglieder werden können und was man dagegen tun kann. Den Anfang machen wir beim Wieso: Nämlich mit einem Blick auf die versteckten Kosten von hoher Fluktuation.
- Punkt 1
- Punkt 2
- Punkt 3
Welcher Job hat Sie zum ersten Mal denken lassen, „Mir reicht’s!“?
Vielleicht waren Sie Aushilfe im Einzelhandel und es irgendwann leid, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kundschaft auch die größten Absurditäten einfordert. Vielleicht haben Sie in der Gastronomie gearbeitet, wo auch die Kundschaft, oft aber auch die Köche es sind, die den Arbeitsplatz vermiesen. Oder es war ein Job am Fließband – der lange erträglich war, bis eine neue Klausel in der Arbeitssicherheit das Hören von Podcasts beim Arbeiten verboten hat.
Was es auch war: Die erste Kündigung vergisst man nicht. Ganz besonders dann nicht, wenn man gute Gründe hatte. Wenn man mit rechtschaffenem Zorn, Selbstmitleid ob der verschwendeten Zeit oder aus purer Galligkeit die Brocken hinwerfen und gehen konnte. Und womit? Mit Recht. Das ist das Schöne an Arbeitsverhältnissen: Man muss sich vor niemandem rechtfertigen als sich selbst, wenn man sie verlassen will (Fälle, die vorm Arbeitsgericht landen, mal außen vor gelassen); der Organisation bleibt zumeist nichts anderes übrig, als einen gehen zu lassen. Die Vertreter:innen der Organisation können das bedauern, können Besserung der Bedingungen in Aussicht stellen oder bessere Gehälter anbieten. Sie können auch mangelnde Moral vorwerfen, wenn sie so tief sinken wollen. Oder auf das Kleingedruckte im Vertrag hinweisen (womit wir zurück beim Arbeitsgericht wären). Aber sie können Mitglieder nicht zum Bleiben zwingen.
Die Organisation kommt auch an die individuelle Urteilsfindung ihrer Mitglieder nicht heran. Sie kann nicht ändern, was die Mitglieder über sie denken – jedenfalls nicht direkt. (Zwar ist Mindset Change immer noch populär im Management-Diskurs, aber wie soll das gelingen, wenn noch nicht einmal Mindset-Read möglich ist?) Wenn eine Organisation ändern will, wie ihre Mitglieder über sie denken, dann kann sie nur sich selbst ändern.
Wieso lohnt es sich Mitarbeitende halten zu wollen?
Das Folgende ist kein Paper das Ihnen hilft, aus Ihrer Organisation eine New Work Utopia zu machen, in dem alle voller Überzeugung einen wichtigen Beitrag leisten, bei maximal freier Gestaltung der eigenen Tätigkeit im Rahmen von basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen. Wir glauben es gibt ein Ziel, das realistischer ist und doch sehr anspruchsvoll. Bei der Arbeit an diesem Ziel möchten wir Sie unterstützen:
Beim Herstellen einer bleibewürdigen Organisation.
Man muss weder Marxistin noch New-Work-Evangelist sein, um sich für eine bleibewürdige Organisation einzusetzen. Betriebswirt reicht. Es genügt, die eigenen Bücher zu prüfen und die Kosten aufzustellen. Es beginnt bei den direkten Kosten, die schon mit Preisschild versehen sind. Das sind Austrittskosten in Form von Entgeltfortzahlungen bei Freistellungen, mitunter Anwalts- oder gar Gerichtskosten. Es sind Suchkosten wie Messebesuche, Stellenanzeigen, das Beschäftigen von Personal, dass nichts anders tut, als zu suchen. Hinzu kommen schließlich noch Eintrittskosten, etwa weil man neuen Mitarbeitende höhere Gehälter zahlen und sie weiterbilden muss etc.
Über diese Aufzählung werden einige noch die Schultern zucken: Allzu rot wird diese Zahl doch nicht sein? Interessanter wird es spätestens bei den indirekten Kosten. Die finden selten den Weg in die Bilanz, weshalb sie hier genauer betrachtet werden sollen. Gemeint sind insbesondere Kosten in Form gebundener Zeit. Jeder Austritt erfordert ein Umplanen: Teams müssen sich anders organisieren, Kunden und Zulieferer sich auf neue Ansprechpartner einstellen und neue Routinen der Zusammenarbeit etablieren. Die Zeit für die Suche und Auswahl neuen Personals liegt in größeren Organisationen in Händen einer HR-Abteilung, was es scheinbar leichter macht, die Kosten zu beziffern. Aber ganz ohne die Beteiligung im direkten Bezug der zu besetzenden Stelle geht es eben doch nicht. Also sind Fachkräfte gebunden beim Formulieren von Stellenanzeigen, nehmen teil an Vorstellungsgesprächen, gehen mit auf Messen, um davon zu berichten, wie gut ihr Job ist – und können in dieser Zeit genau diesem Job nicht nachgehen. Und wie lange genau dauert „diese Zeit“? Wie oft müssen eine Fachkraft und die zuständige Managerin oder der Manager ihren Alltag unterbrechen, auf der Suche nach neuen Kräften? Die Frage kann nicht konkret beantwortet werden. Aber die Menge an Aufwand und erst recht der Frust, den eine fast erfolgreiche, aber doch geplatzte Verhandlung für alle Beteiligten erzeugt, hätten es verdient, als Kostenfaktor in einer Bilanz Platz zu finden.
Schließlich müssen noch die Aufwände benannt werden, die eine Einstellung erzeugt. Bis eine neue Mitarbeiterin oder ein neuer Mitarbeiter eingearbeitet ist, sind sie nicht nur selbst nicht voll leistungsfähig – sie senken auch das Leistungsvermögen all derer, die sie einarbeiten. Das scheint selbstverständlich, weil unvermeidbar. Wer auf „Feuertaufen“ oder den Wurf ins „kalte Wasser“ setzt, also sofort die Leistungen erwartet, die eingearbeitetes Personal zeigt, arbeitet bereits an den Voraussetzungen für eine Kündigung in der Probezeit.
Einstellungen sind Investitionen, im Sinne des Wortes. Sie kosten die Organisation Geld, sie kosten die Mitarbeitenden Arbeitszeit (ebenfalls Geld, nur in der Summe nicht direkt messbar) und diese Investitionen sind unvermeidlich, möchte man in der Zukunft auf einen positiven Effekt hoffen können.
Jede Einstellung ist ein Risiko; es gibt keine Sicherheit. Das beste Zeugnis, die wärmsten Empfehlungen können täuschen. Es kann sogar der richtige Mensch sein – aber nicht für die freie Stelle.
So betrachtet sind Neueinstellungen höchst risikoreiche Investitionen, kostenintensiv bei offenem Ausgang. Und es sollte allen Führungskräften mit Budgetverantwortung zu denken geben, wie sehr die Organisation sich von Glück und Pech abhängig macht, wenn sie permanent gezwungen ist, neues Personal einzustellen.
Fluktuationskosten vermeiden – die eigenen Organisationsdynamiken verstehen!
Dabei ist das aus unserer Sicht überzeugendste Argument: Es handelt sich dabei weitgehend um vermeidbare Aufwände – und damit auch um vermeidbare Kosten! Auch in einem Arbeitnehmermarkt, auch angesichts einer neuen Generation von Arbeitnehmer:innen, die angeblich alle höhere Ansprüche haben (oder eben die Vorteile der Zeit für sich einzusetzen wissen), sind viele Kündigungen vermeidbar. Sie sind aus unserer Sicht dann vermeidbar, wenn man sich mit den Dynamiken der eigenen Organisation und damit den Gründen für Kündigungen genau befasst und diese bearbeitet.
Diese Studie soll Sie dazu befähigen, genau das zu tun. Die Dynamiken der eigenen Organisation genau zu verstehen heißt die Frage beantworten: Aus welchen Gründen kommt es hier zu Kündigungen? Wir wollen Sie dabei unterstützen, dieser Frage konkret nachgehen zu können und Sie mit Ideen ausstatten, wie Sie diese Gründe bearbeiten können.
Wir werden dafür zuerst unsere Perspektive auf Organisationen erklären. Denn beim Nachdenken über Fluktuation und das Herstellen einer bleibewürdigen Organisation ausmacht, schauen wir stets erst auf die Organisation, dann auf den Menschen. Wir tun dies, weil uns der Mensch nicht egal ist. Wenn man nach den Verhältnissen in der Organisation fragt, die Kündigungen zur Folge gehabt haben können, erhält man andere Antworten, als wenn allein den einzelnen Menschen und seine individuellen Beweggründe zu verstehen versucht. Das bedeutet auch, uns besonders, wie der Mensch als Mitglied einer Organisation diese Organisation erlebt, welche Freiräume sie ihm gewährt und welche Zumutungen sie ihm auferlegt. Was geschieht, wenn man Mitglied einer Organisation wird? Und was ist dabei anders als in Familien oder Bewegungen?
Danach richten wir den Blick auf die Organisation selbst: Was macht ihre Dynamiken aus? Wie entstehen Gründe zu bleiben? Was bewegt Menschen, eine Organisation zu verlassen? Wir nutzen dabei das in der Organisationssoziologie verbreitete „Drei-Seiten-Modell“ und erläutern, was jeweils auf der Schauseite, der formalen Seite und informalen Seite wichtig wird, wenn es zu Fluktuation kommt bzw. man für Retention sorgen will.
Vor diesem organisationstheoretischen Hintergrund gehen wir einen Schritt weiter Richtung Praxis. Wir diskutieren, wie unterschiedliche Aspekte einer Organisation sich für Mitglieder als Gründe darstellen können, die Organisation wieder verlassen zu wollen. Wir sprechen im Rahmen dieser Studie von Zumutungen. Wir untersuchen, welche Zumutungen Menschen bereit sind, im Rahmen einer Mitgliedschaft auf sich zu nehmen und wann diese Bereitschaft ein Ende hat. In diesem Zusammenhang stellen wir drei Kategorien von Möglichkeiten vor, diese Zumutungen zu bearbeiten. Wir unterscheiden zwischen der Vergeltung, Abfederung und Verringerung von Zumutungen.
Der Hauptteil dieser Studie wird von Berichten aus der Praxis geprägt. Entlang der vorher eingeführten Unterscheidung nach Schauseite, formaler Seite und informaler Seite zeigen wir, was Organisationen ihren Mitgliedern zumuten, obwohl es vermeidbar wäre. Wir diskutieren, welche klugen Wege oft gefunden werden, Zumutungen abzufedern – und wie sich dabei an anderer Stelle neue Zumutungen ergeben. Es sind mal sehr spezielle Arten, Zumutungen zu bearbeiten, mal können sie allgemeine Anwendungen finden.
Und wir werden so schließen, wie wir beginnen: Mit einer Einschränkung. Was in einer Organisation zur Zumutung wird, wird immer spezifisch sein. Wer hier also endgültige Antworten erwartet, kann nur enttäuscht werden. Aber wir sind davon überzeugt, dass Sie hier trotzdem fündig werden können – jedenfalls dann, wenn Ihr Wunsch ist, mehr darüber zu erfahren, was eine bleibewürdige Organisation ausmacht und wie man sie möglich macht.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Whitepaper „Wer geht, hat recht. Retention und die Suche nach der bleibewürdigen Organisation“. Das ganze Whitepaper steht hier kostenlos zum Download bereit.