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Digitalisierung im Vertrieb

Die Macht wird neu verteilt

  • Isabell Hager
  • Sebastian Barnutz
  • Donnerstag, 8. Juli 2021
Die Macht wird neu verteilt
© plainpicture/Lubitz + Dorner

Über die Macht kluger Kooperationen zwischen Innen- und Außendienst in der Pharmaindustrie.

Vertriebswege zu digitalisieren bietet die Chance, Vermarktung neu zu denken und Kooperationen zwischen Innen- und Außendienst zu stärken. Doch beim Neuordnen der Kundenkontakte kommt es oft zu Widerständen. Warum eigentlich? Für die Antwort lohnt es sich, auf die noch geltenden Machtverhältnisse zu schauen – und wie diese jetzt neu erschüttert werden.

Wenn es im Digitalisierungsprozess hakt, werden Machtverhältnisse neu sortiert.

Spätestens seit der Covid-19 Pandemie müssen kundenorientierte Branchen neue Wege finden, um mit Stakeholdern und Kund*innen in Kontakt zu bleiben. Hygienekonzepte machen Besuche des Außendienstes der Pharmaindustrie vor Ort unmöglich, klassische Vertriebslogiken wie „mehr Leute im Feld, mehr Kund*innen, mehr Absatz“ sind plötzlich nicht mehr umsetzbar und altbewährte Erfolgskennziffern, wie die Besuchszahlen bei Behandler*innen geben schlicht keine Orientierung mehr. Aber auch schon vor der Pandemie war den Meisten klar: Der Markt verändert sich. Die Digitalisierung klassischer Vertriebswege wird früher oder später unvermeidbar sein.

Digitale Kanäle haben viele Vorteile gegenüber dem Kontakt vor Ort. Doch die digitale Neuordnung der Kundenkontakte geht oft mit Grabenkämpfen zwischen Innen- und Außendienst einher. Sie bringt nämlich nicht nur eine neue Arbeitsteilung mit sich – auch die eingespielte Zusammenarbeit wird auf die Probe gestellt. Das Problem ist dabei nicht, dass neue, digitale Tools beherrscht werden müssen oder die alten Herren plötzlich Zoom-Konferenzen veranstalten sollen. Die Herausforderung liegt vielmehr darin, das mit Strukturveränderung auch bisher stabile Machtbeziehungen aufgebrochen werden – ob man will, oder nicht!

Um die Digitalisierung des Vertriebs erfolgreich umzusetzen, ist es wichtig diese Effekte zu antizipieren und die alte Machtverteilung neu zu sortieren. Dabei gilt es, die möglicherweise schwergängige Übergangsphase im Digitalisierungsprozess zu nutzen, um die wechselseitigen Abhängigkeiten über eine kluge Orchestrierung von digitalen und analogen Kontaktpunkten aufzulösen.

Mit der Strukturveränderung werden auch bisher stabile Machtbeziehungen aufgebrochen – ob man will oder nicht.

Isabell Hager

Ein Blick in die Blackbox: Wie ist die Macht zwischen Innen- und Außendienst verteilt?

Machtvoll sind in Organisationen diejenigen Akteure, die für andere relevante Probleme lösen können – aber ungewiss halten können, ob sie dies auch wirklich tun. Dafür braucht man keine höhere Position in der Hierarchie, sondern nur eine Leistung, auf die der andere kaum verzichten kann.

Eine solche wechselseitige Abhängigkeit lässt sich gut beobachten im Verhältnis zwischen Innen- und Außendienst in der Pharmaindustrie. Meist gibt es hier eine gut etablierte Machtverteilung, die sich über die Jahre hinweg entwickelt hat und in meisten Pharma-Organisationen einer ähnlichen Logik folgt:

  • Indem der Außendienst die Behandler*innen mit guten Argumenten von einer Therapieoption überzeugt, gewährleistet er den Absatz der Produkte und sichert sich eine starke Position am Tisch der Entscheider*innen. Als Gesicht der Firma hat der Vertrieb außerdem die Aufgabe, eine vertrauensvolle Beziehung zu Behandler*innen aufzubauen. Er muss ihre Bedürfnisse kennen, um sich individuell auf sie einzustellen. Mit diesem Wissen hält der Außendienst sich in der Organisation relevant. Die Mitarbeiter*innen können nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Informationen in die Organisation zurückgespielt werden.
  • Diese Machtquellen des Außendienstes werden allerdings durch die Abhängigkeit vom Innendienst eingehegt: Der Innendienst hat letztlich die Kontrolle darüber, mit welchem Material der Außendienst losziehen muss. Dazu stellt er wissenschaftliche Informationen bereit und schmiedet an der Positionierung des Produktes. Nur wenn die dort sitzenden Kolleg*innen dem Außendienst gute Geschichten und beim Kunden anschlussfähige Materialien liefern, kann der sich als relevanter Gesprächspartner positionieren.

Die einmal aufgeteilte Arbeit der beiden Funktionen läuft beim Dreh- und Angelpunkt – der gelungenen Interaktionen mit Behandler*innen – wieder zusammen. Für Außendienstler ist sie das Herzstück ihrer Arbeit, für Innendienstlerinnen war das Gespräch lange eine Blackbox.

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Die digitale Neuordnung des Kunden-kontakts mischt auch die Karten im Machtspiel neu.

Genau hier setzt die digitale Neuordnung der Kontaktstruktur an. Es werden neue digitale Touchpoints mit Behandler*innen gesetzt, die das Kräfteverhältnis zwischen Innen- und Außendienst verändern:

  • Der eigentlich vom Außendienst exklusiv besetzte Kompetenzbereich der „Arztgespräche“ wird nun durch digitale Kanäle mitgesteuert. Durch die Analyse von Datenspuren (z. B. welche Fachdisziplin interessiert sich besonders für das Nebenwirkungsmanagement einer Therapie?) wird das Wissen über Kund*innen breiter in der Organisation gestreut. Direkter Kund*innenkontakt bedeutet nicht mehr, die Deutungshoheit über ihre Bedürfnisse beanspruchen zu können.
  • Digitale Formate öffnen auch anderen Akteur*innen den Zugriff auf die Interaktion mit Behandler*innen. Für digitale Gesprächsrunden kann sich auch die Zentrale in die Diskussion einklinken. Und setzt man auf Webcasts mit Meinungsführer*innen, kann auch der medizinische Innendienst Anknüpfungspunkte mit Kund*innen finden.

Spätestens jetzt wird deutlich: Digitalisierung kommt nicht als „neutraler Faktor“ daher, der „mal eben“ das, was vorher analog abgewickelt wurde, in digitale Sphären verlegt. Das ursprünglich gut gemanagte Machtspiel zwischen Innen- und Außendienst entflammt mindestens dort zum Konflikt, wo die Tätigkeitsfelder des Außendienstes durch Steuerung und Transparenz für den Innendienst weniger ungewiss werden, oder andere Akteur*innen der Organisation ebenfalls Zugriff auf die Interaktion mit Behandler*innen erlangen.

Und genau hier liegt das Potenzial, Digitalisierungsprozesse zu nutzen, um nicht nur die Aufgabenprofile auf die neuen Gegebenheiten anzupassen, sondern auch die zwar spannungsgeladenen, aber produktiven wechselseitige Abhängigkeiten zwischen Innen- und Außendienst besprechbar und gestaltbar zu machen.

Über kluge Kooperationen das Potenzial von Digitalisierungsprozessen richtig nutzen

In dem Maße, in dem eine Organisation die Machtverteilungen und Abhängigkeiten zwischen Außen- und Innendienst orchestriert, können die Aufgabenprofile auf die neuen, digitalen Gegebenheiten angepasst werden. Wenn Informationen über Kund*innen durch vielfältigere Kanäle in die Organisation getragen werden, gilt es Arenen zu etablieren, in denen die Betroffenen Funktionen aushandeln können: Wo braucht es das persönliche Gespräch und wo nutzt ein digitales Grundrauschen, um eine breitere Zielgruppe zu bespielen? Wie spielt man Informationen, die jetzt vermehrt zentral auflaufen, zurück an die Kolleg*innen ins Feld und vice versa? Was heißt das konkret für die Kontaktpunkte mit Kund*innen?

Hat sich der Innendienst beispielsweise vorgenommen eine digitale Informationsplattform zu etablieren, um zentral Kontakte mit Behandler*nnen zu ermöglichen, kann das Projekt so angelegt werden, dass die Kolleg*innen im Außendienst davon profitieren. Für sie können Gesprächsanlässe mit Behandler*innen geschaffen werden, um gemeinsam Inhalte und Vorgehen für das Projekt zu erarbeiten. Ausgehandelt werden muss dann, welche Kund*innen durch persönliche Gespräche eingebunden werden sollen und wer zur Zielgruppe der Plattform gehört. Gleichzeitig sollte man vordenken wie der Innendienst, der über den neuen Kontaktpunkt ‚Plattform‘ Datenspuren von Kund*innen sammeln und interpretieren kann, diese Informationen an den Außendienst spiegeln kann.

Um diese Klaviatur zu spielen, wird sich das Profil des Außendienstes hin zu einem Sammler von Informationen und Daten aus dem Markt wandeln müssen. Der Innendienst wiederum muss Wege und Foren finden, um über diese Insights im Bilde zu bleiben. Und beide Parteien müssen akzeptieren: nur weil es anders läuft als bisher, hat die eigene Arbeit nicht weniger Relevanz – nur andere Anlässe und gemeinsame Knotenpunkte!

Der Wechsel zum digitalen Vertrieb macht somit nötig, das dominante Narrativ des absatzsichernden Außendiensts zu verlassen – das ohnehin in der Pharmaindustrie ins Wanken geraten ist. Gleichzeitig bietet sich hier die Chance, den Kund*innenkontakt über die Corona-Pandemie hinaus anzupassen. Jetzt geht es darum, die Bewegung im Markt zu nutzen, um alteingefahrene Muster auch langfristig zu hinterfragen. Das gilt besonders für die Frage, wie digitale und analoge Kontaktpunkte gut kombiniert werden können.

Entscheider*innen, die dies angehen wollen, sollten aber dringend die alte Spannung zwischen Innen- und Außendienst mitdenken – oder sie werden sich wundern, wie viel Gegenwind sie für Ideen bekommen, die auf den ersten Blick wie den Alltag verbessernde Tools aussehen.

Autor:innen

Isabell Hager

ist fasziniert von den kreativen Lösungen, die ihre Kunden finden, um ihre Ökosysteme in Zeiten von COVID-19 sinnvoll zu bearbeiten.

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Dr. Sebastian Barnutz

ist Partner bei Metaplan und übersetzt mit den Kunden Values und qualitative Erkenntnisse in Entscheidungen.

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