Wenn Organisationen sich verändern wollen, schalten sie schnell in den Lösungsmodus. Doch damit fangen die Schwierigkeiten erst richtig an.
Das Organisationsmodell Holacracy, die Matrixorganisation, Prozesse a lá Lean Management oder Mechanismen wie Time Boxing haben etwas gemeinsam: Sie sind der Versuch, knifflige Aufgaben des Organisierens zu lösen, indem man neue Strukturen schafft. Das ist typisch, denn egal, ob Organisationen auf veränderte Kundenbedürfnisse reagieren, auf neue interne Anforderungen oder Krisen: Strukturbildung ist der Modus, mit dem Organisationen Probleme angehen.
Aber: Leider sind die strukturellen Lösungen oft selbst Probleme. Und zwar im doppelten Sinne. Erstens zielen sie oft am eigentlichen Problem vorbei. Zweitens erzeugen Lösungen immer auch neue Folgeprobleme, denen man sich dann wieder neu stellen muss. Die Frage ist: Wie kann man diese Fallstricke umgehen? Um das zu verstehen, muss man sie sich jeweils etwas genauer ansehen.
Lösungen zielen oft an den eigentlichen Organisationsproblemen vorbei
Warum also verfehlen Lösungen so oft ihr Ziel? Kurz gesagt: Weil man auch in Organisationsfragen nicht beides sein kann: schnell und gründlich. Wenn neue Wettbewerber, sich verändernde KundInnenbedürfnisse oder auch nur eine neue Führungsriege Veränderungsdruck erzeugen, ist die Reaktion nur selten: Gemach, gemach! Stattdessen macht man sich flugs auf die Suche nach einem neuen Organisationsmodell, einer klugen Strategie oder einem agilen Produktionsprozess.
Stimmen die Annahmen, die über das zu lösende Problem getroffen wurden, überhaupt?
Im Fieber der Lösungsfindung passieren dann oft zentrale Fehler. Man kann z.B. das Problem erst gar nicht richtig verstehen und zu schnell beginnen, in Lösungen denken. Ist die neue Strategie wirklich die Lösung für das Kooperationsproblem im Vorstand – oder nur ein geübter Krisenreflex? Ist der radikale Organisationsumbau wirklich nötig, um die funktionalen Silos aufzubrechen – oder müsste man eigentlich nur die informalen Abstimmungsprozesse auf Arbeitsebene endlich mal formalisieren?
Vor allem aber: Stimmen die Annahmen, die über das zu lösende Problem getroffen wurden, überhaupt? Die Antwort auf diese wichtigste aller Fragen findet man nur, wenn man sich tief hinab wagt in den Morast der Organisationsprobleme. Hieran scheitern viele, wenn nicht die meisten Lösungen in Organisationen – die aufwändige Einführung der zu eilig herangezogenen Strukturveränderungen gerät dann zum managerialen Schattenboxen. Gewinner dabei: keine.
Komplettlösungen verhindern den Zugang zum Problem
Ein weiterer Aspekt verhindert oft das notwendige Problemverständnis: Während man noch darum ringt, das Problem einzukreisen, wird einem von interessierter Stelle bereits ein hübscher Strauß an Kompaktlösungen entgegen geworfen. Diese sind ebenso schlicht wie überzeugend, funktionieren sie doch nach einem erprobten Rezept. Sie nutzen eine Zeitdiagnose (VUCA), beschreiben einen hoch erfolgreichen Use-Case (Zappos) und generalisieren dann ein leicht verkaufbares Konzept (Holacracy), das den diagnostizierten Bedarfen Rechnung tragen soll – in der Regel durch die einseitige Verabsolutierung bereits bekannter Organisationsprinzipien.
Wenn die Umsetzung dann nicht so klappt, wie man sich das vorgestellt hat – oder wie es einem verkauft wurde – z.B. weil die eigene Abteilung schlicht nicht Zappos ist, dann wird der Fehler in der Umsetzung gesehen (oder noch bequemer: im Mindset der Menschen), nicht aber in der ja durch den populären Managementdiskurs legitimierten Lösung.
Nicht zuletzt kommt es vor, dass eine tatsächlich gute Lösung unter die Räder der Mikropolitik gerät und so lange mitgeschleift wird, bis sie in der Folge nicht mehr auf das Problem einzahlt. Das zielgenaue Adressieren von Problemen ist also aus einer ganzen Reihe von Gründen eine echte Herausforderung. Dazu kommt nun auch noch Fallstrick Nummer zwei.
Lösungen erzeugen Folgeprobleme
Angesichts von Arbeitsteilung und notwendigen Koordinationsabhängigkeiten in Organisationen ist jede Lösung nie nur eine Lösung. Sie ist immer auch selbst problematisch. “Das faktische Verhalten in Organisationen ist zumeist mit abgeleiteten Problemen beschäftigt, welche sich aus Nachteilen anderer Entscheidungen oder aus Folgeschwierigkeiten struktureller Weichenstellungen ergeben, die als solche nicht mehr bedacht oder, weil zu viel daran hängt, praktisch nicht mehr in Frage gestellt werden”, beschrieb der Soziologe Niklas Luhmann diesen Umstand schon 1964. Lösungen – und das heißt in Organisationen eben immer Strukturen – erzeugen demnach Folgeprobleme, die man antizipieren kann oder zumindest: könnte.
Dieses Phänomen lässt sich ganz einfach an verschiedenen Organisationsmodellen visualisieren: Eine rein funktional aufgestellte Organisation ermöglicht die Spezialisierung und Selbstoptimierung einzelner Bereiche, erzeugt in der Folge aber eher kooperationsunfähige Silos, die schnell ins Schlingern geraten, wenn es plötzlich auf die cross-funktionale Kooperation ankommt. Eine Matrixorganisation wiederum will die Erstarrung in Silos verhindern, erzeugt dafür aber oft Loyalitätskonflikte im Mittelmanagement und verringert die Möglichkeiten der Hierarchie, moderierend einzugreifen. Dezentrale, agile Organisationsstrukturen wiederum ermöglichen prozessnahes Entscheiden und damit eine stärkere Kundenorientierung. Gleichzeitig wird eine bereichsübergreifende, gemeinsame Ausrichtung der Organisation erschwert.
Plädoyer für ein problemzentriertes Organisieren
Wer die eigene Organisation für neue Anforderungen wappnen will, tut also gut daran, die anstehenden Strukturveränderungen nicht nur auf der Ebene von Lösungen zu betrachten. Stattdessen lohnt es sich in doppelter Hinsicht, sich auf problemzentrierte Lösungsfindungsprozesse einzulassen, die einerseits das zu lösende Bezugsproblem konsequent zum Prüfstein der eigenen Lösungsansätze erheben und die zum anderen ernst nehmen, dass eine Entscheidung für Lösungen immer auch eine Entscheidung für ein immerhin gut antizipierbares Set von Folgeproblemen darstellt.
Nur – wie schürft man nun nach diesem Gold des klugen Organisierens? Mit welchen Instrumenten erkennt man die Bezugs- und Folgeprobleme, die sich in der Gemengelage von Aufmerksamkeitsknappheit, Zeitdruck und mikropolitischen Interessen ja nur selten von selbst offenbaren? Eine dafür hilfreiche Heuristik bietet die funktionale Analyse. Aus dieser organisationssoziologischen Perspektive lassen sich Strukturen als aktuelle Problem-Lösungskonstellationen erkennen, für die es jeweils auch funktionale Äquivalente gibt. Also: unterschiedliche Alternativ-Lösungen für ein und dasselbe identifizierte Bezugsproblem, die jeweils spezifische vorhersehbare Folgeprobleme mit sich bringen. Erst wenn einem klar ist, dass man sich also nie nur für eine Lösung entscheidet, sondern eben immer auch für ein spezifisches Set an Folgeproblemen, kann man sich in aller Bewusstheit für das eine oder das andere (mit-)entscheiden.
Man muss hinab in die jeweilige Organisationsrealität
Damit öffnet sich der Diskurs hin zu einer problemzentrierten Organisationsgestaltung und -beratung, die sich nicht darum herum schummelt, auf den Problemgehalt von Lösungen hinzuweisen. Die Orientierung an Bezugsproblemen wird bei der Lösungsfindung dabei konsequent eingefordert.
Ein solcher Diskurs kann nicht auf Ebene von Kompaktlösungen und normativer Managementmodenrethorik stehen bleiben. Man begibt sich mit ihm hinab in die konkrete Organisationsrealität. Das ist nicht immer der Weg des geringsten Widerstands. Aber nur so kommt man zu tragfähigen Lösungen, die den faktischen Problem-Lösungskonstellationen der eigenen Organisation ehrlich Rechnung tragen. Und nur so lassen sich vorab Lösungen vordenken und finden, die die antizipierten Folgeprobleme bestmöglich abfedern.