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Neue Teamformen

Fraktionen führen

  • Ines Vogel
  • Carmen Lopera Kovermann
  • Mittwoch, 17. November 2021
Fraktionen führen
© plainpicture/Freudenberger

Die Führungskraft führt räumlich oder zeitlich voneinander getrennte Teams. Fehlende Kohäsion zwischen den Teamfraktionen und unterschiedliche Verständnisse davon, was wichtig ist, können hier zur Herausforderung werden.

Wie kommt es in Organisationen zu Fraktionen?

Wenn wir von Fraktionen sprechen, gehen wir von einer Organisation aus, die willentlich oder zufällig ihre Mitglieder in mehrere Gruppen geteilt hat, die jeweils unter sich vielfältige Formen des Austausches pflegen (virtuellen und vor Ort präsenten), sie mit anderen Fraktionen meistens nur in virtuellem Kontakt stehen, wenn überhaupt. Die Führungskraft ist in der Organisation verortet und hält diese Gruppen zusammen – das ist zumindest ihr Auftrag.

Fraktionsbildung ist typisch für über mehrere Orte verteilte Organisationen

Organisationen, die mehrere Standorte betreuen und Mitarbeitende über die Distanz hinweg koordinieren und managen müssen, haben keine andere Wahl als mit Fraktionen umzugehen. Das wiederkehrende Thema in diesem Modell ist die Beziehung zwischen dem Headquarter und den unterschiedlichen vor Ort befindlichen Affiliates. Wie man diese handhabt, zeigt etwa der Fall einer Reederei, die ihren Hauptsitz in Rotterdam und einen Firmensitz auf der Isle of Wright (Großbritannien) hat. Die grundlegende Kommunikation passiert mit wöchentlichen Calls eng getakteten virtuellen Meetings. Für zwei Wochen im Monat ist außerdem Abteilungsleiter aus dem Headquarter auf der Isle of Wright und begleitet die Umsetzung der Vereinbarungen. Ganz anders handhabt es eine deutsche Krankenversicherung: Diese setzt auf Kundennähe und betreibt dafür viele regionale Geschäftsstellen, die vor Ort beraten und so klein sind, dass nicht jede eine eigene Führungskraft hat. Stattdessen werden sie aus der Hauptgeschäftsstelle geführt. Auf eine Leitung kommen dabei vier bis fünf Geschäftsstellen. Früher war es eine Kombination aus virtuellen Meetings und vor-Ort-Besuchen, zu Pandemiezeiten geschah die Kommunikation nur noch virtuell. Als die ‚guten Teams‘ galten diejenigen, die man seltener besuchen muss.

Homeoffice und New Work-Konzepte lassen mehr Fraktionen entstehen

Dass Organisationen sich in Fraktionen aufteilen, passiert immer häufiger, selbst wenn die Mitglieder eigentlich alle dem gleichen Standort zugeordnet sind. Beispielhaft steht dafür etwa ein dänischer Energieversorger. Ursprünglich als Schutzmaßnahme gegen die Verbreitung des Corona-Virus hatte man immer eine Hälfte an Mitarbeitenden ins Homeoffice geschickt, während die andere Hälfte in der „Präsenzschicht“ arbeitete. Da das Prinzip erfolgreich war, hat man sich zur Fortsetzung entschieden – und diese mit baulichen Maßnahmen unterstrichen: Die Zentrale des Energieversorgers verfügt nun über ein Großraumbüro mit großzügig angelegten Schreibtischen und einem Pausenbereich, der alle New-Work-Fantasien erfüllt – dafür sind aber deutlich weniger Arbeitsplätze verfügbar, als Mitarbeitende angestellt sind.

Allerdings werden die Schichten nicht mehr formal verteilt – stattdessen herrscht die unausgesprochene Erwartung, dass sich die Knappheit von selbst ausgleicht und es Abwechselung gibt, wann Mitarbeitende im Homeoffice und wann sie im Büro sind. Faktisch gibt es doch wieder Pläne, nur keine formal angeordneten: Die Mitarbeitenden verabredeten sich in ihren jeweiligen informellen Netzwerken zu gemeinsamen Präsenztagen. Aus Gewohnheit und zur Herstellung der heiß begehrten Planungssicherheit blieb man immer bei den gleichen Wochentagen, bis es schließlich eine M- (montags/mittwochs) und D-Belegungen (dienstag/donnerstags) gab. Ohne dass jemand die Teilung in Fraktionen formal beschlossen hatte, wurde sie durchs Handeln der Mitarbeitenden hergestellt.

Mit Fraktionen umgehen: Diese Fragen helfen

Wie regelt man die Kommunikation?

Entlang der Kommunikationswege wird der Graben zwischen den Gruppen sichtbar, wenn nicht gar verstärkt. Dies gilt besonders, wenn die Fraktionsbildung nicht formal geplant war. Dann kann es passieren, dass immer die gleichen Teammitglieder der Wochenbesprechung in Präsenz beiwohnen, während die andere Gruppe wiederholt aus dem Homeoffice „sich dazu schaltet“ – hier verrät bereits die Rhetorik etwas über die Hierarchie. Die Gruppe der Anwesenden kann sich untereinander wesentlich leichter verständigen. Gesprächssituationen entstehen, in denen die jeweiligen Einzel-Teilnehmer sich ausgeschlossen fühlen – allerdings können diese untereinander chatten, ohne dass dies irgendwer mitbekommt.

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Zwei Möglichkeiten, mit diesem Szenario umzugehen: Man bringt alle Teilnehmenden in die gleiche Situation – man trifft sich also gemeinsam im Raum oder gemeinsam virtuell. Oder man stellt sicher, dass der Präsenz-Vorteil zwischen den Fraktionen wechselt. Weiterhin hilft es, wenn Führungskräfte sich auch selbst im Wechsel präsent bzw. remote einschalten, um die Bedürfnisse keiner Seite aus den Augen zu verlieren.

Wie sorgt man für Zusammenhalt?

Zwischen den Teammitgliedern, die einander in Präsenz begegnen, entstehen Gemeinschaftsgefühle natürlich schneller. Die gegenseitige Wahrnehmung und Möglichkeiten zur Interaktion sind umfassender und nuancierter. Es lassen sich Unter-Team-Identitäten mit eigenen Zuschreibungen, Inklusions- und Exklusionsmechanismen beobachten. (‚Wir Montag-Leute sind einfach auf Zack!‘). So können Brüche in Teams entstehen und sich Konkurrenzen verschärfen, z.B. wem Erfolg zuzurechnen oder Verzögerungen nachzutragen sind.

Führungskräfte sollten diese Entwicklungen im Blick haben – sie ist allerdings nicht per se problematisch. Subgruppen-Identitäten können als Kohäsions- und Antriebsfeder in einem organisationseigenen Wettbewerb dienlich sein. Wenn aber die Unterscheidung wichtiger wird als die Zusammenarbeit, sollte man die Fraktionen vermutlich wieder durchmischen.

Wie viele Regeln braucht die gemeinsame Arbeit?

Formale Regeln für die Zusammenarbeit sind in diesem Modell vor allem nötig, um Missverständnisse und Probleme zwischen den Fraktionen zu vermeiden. Innerhalb einer Fraktion sind die Abstimmungswege kurz, die Kenntnisse der anderen Person ausgeprägter. Man weiß mehr darüber, woran der oder die Andere gerade arbeitet und kann besser antizipieren, wie man einander gut hilft und wie gute Zuarbeit aussieht, ohne dass man eine Vorlage oder eine Checkliste abarbeiten muss.

Zwischen verschiedenen Präsenzgruppen ist es anders: Hier wird der Ruf nach verbindlichen Regeln und Prozessen lauter, da das Risiko höher ist, dass Vorgehensweisen nicht zueinander passen oder sich für lose Enden keiner zuständig fühlt.

Gerade für diese Teamübergänge lohnt es sich, eine gemeinsame Systematik zu erarbeiten, die Orientierung und Sicherheit gibt. Innerhalb der Präsenzgruppen reicht es dagegen meistens, mit Zielvorgaben und Statusberichten zu arbeiten, um so gemeinsam auf Kurs zu bleiben.

Wie stellt man Kontrolle und Übersicht her?

Diese Frage ist nicht allzu drängend, wenn es sich bei den Fraktionen um rotierende Gruppen handelt, die jeweils auch vor Ort in der Organisation sind und dort auf ihre Führungskraft persönlich treffen können. Doch wenn Gruppen permanent aus der Distanz arbeiten, sind sie in gewisser Weise ihre eigene Isle of Wright, oder lokale Niederlassung einer Versicherung – mit dem Nachteil, dass es keinen physischen Ort gibt, wo die gesamte Fraktion aufgesucht werden kann.

Für diese Fraktionen gelten dann die typischen Sorgen, die Vorgesetzte über permanent im Homeoffice arbeitende Mitglieder haben: Dass außerhalb der Gruppe oder Schicht außerhalb ihrer Kontrolle eine eigene Dynamik entwickelt, die es erlaubt, die gestellten Ziele zu erfüllen, das als Gemeinschaft gut dazu stehen – und eine möglichst angenehme Arbeitssituation zu schaffen. Diese Ziele müssen nicht mit denen der Organisation oder der Führungskraft des Teams übereinstimmen. Sie wirken im Zweifel wie ein Filter, der Informationen zu tatsächlichen Arbeitsständen, Konflikten und aufkommenden Risiken von der Teamleitung fernhält.

Es bleibt oft unsichtbar, wenn die Ziele einer aus der Distanz arbeitenden Fraktion nicht mehr mit den Organisationszielen übereinstimmen.

Diese Entwicklung ist oft gar nicht oder erst im Eskalationsfall sichtbar. Dann bleiben Spannungen im Team unerkannt – oder auch der Grad der Distanzierung unterschätzt. Wenn man nun bei Fraktionen, die sich von der ‚Heimat‘ unabhängig gemacht haben, wieder stärker steuern und kontrollieren will, kann das weitgehende Folgen haben. Wenn es noch halbwegs gut läuft, werden diese Versuche nur ignoriert. Schlimmstenfalls werden sie als Gängelung wahrgenommen, der man ‚Dienst nach Vorschrift‘ entgegensetzt und nur noch tut, was formal explizit verlangt wurde.

Fazit: Kohäsion ist gut, Verständnis für andere ist besser

Die größten Schwierigkeiten für Organisationen, die sich in diesem Arbeitsmodell wiederfinden, sind demnach Prozesse von gesteigertem Zusammenhalt und Kohäsion, die die jeweilige Gruppe über die Logik der Abteilung oder der Organisation stellen. Wenn eine Gruppe eigene Interessen und Ziele entwickelt, sprechen wir dabei auch von „lokalen Rationalitäten“. Damit soll ausgedrückt werden, dass es sich durchaus um sinnvolle Anliegen handeln kann, die innerhalb einer Fraktion verfolgt werden. Sie sind aber womöglich eben nur aus der Sicht der Fraktion sinnvoll.

Um zu verhindern, dass solche lokalen Rationalitäten eine nicht mehr zu überblickende Eigendynamik entwickeln, ist es sinnvoll, von Zeit zu Zeit Fraktionen zu durchmischen. Handelt es sich nur um zeitlich getrennte Gruppen wie die Mo/Mi- und Di/Do-Belegungen, ist der Vorschlag leichter umzusetzen wenn die Fraktionen auch räumlich und durch den Einsatz an verschiedenen Standorten getrennt sind. Aber gerade dann lohnt sich der Aufwand. Die Mitglieder gewinnen jeweils Einblick in die Arbeitsweisen vor Ort und lernen die formalen und informalen Regeln, die innerhalb der jeweiligen Fraktion gelten. Kommt es zu Abstimmungsfragen zwischen diesen Gruppen, können nun die, die die Logiken beider Lager kennen gelernt haben, als Vermittler wirken – und so dabei helfen, dass Verständigung zwischen Fraktion und Organisation gesichert möglich bleibt.

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Autorinnen

Ines Vogel

interessiert sich besonders für technische Innovationen und wie sie Zusammenarbeit in Organisationen beeinflussen.

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Carmen Lopera Kovermann

ist immer auf der Suche nach den Zutaten, die in Organisationen für gute Wissensvermittlung und Zusammenarbeit sorgen.

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