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Einsichten aus der Metaplan-Studie über Mobile Arbeit

Mobil Arbeiten: Belohnung oder Selbst­verständlichkeit?

  • Lars Gaede
  • Dienstag, 28. Juni 2022
Mobile Arbeit Belohnung oder Selbstverständlichkeit

Mit Betriebs­vereinbarungen und „Dienstbibeln“ geben sich Organisa­tionen Regeln darüber, wie ihre Mitglieder mobil arbeiten können. Für die einen wird mobile Arbeit so zu einem raren Gut, dessen Zugang durch die Vor­gesetzten gestattet werden kann. Die anderen verweisen aufs Regel­werk und verlangen, was ihnen zusteht. Was macht das mit einer Organi­sation?

Die Regel­werke leiten die gelebte Praxis

Von „Flicken­teppich“ und „Grund­orientierung“ zu „Individualvereinbarungen zwischen Leitung und Teammitglied“ – um zu beschreiben, wie in ihrer Organi­sation der Zugang zu mobiler Arbeit formal geregelt wird, fanden unsere Interview­partner:innen viele unterschiedliche Formu­lierungen. Mal gibt es eine formale Vereinbarung, die genau regelt, unter welchen Bedingun­gen Mitglieder mobil arbeiten dürfen. Mal sind es eher Richtwerte. Dann müssen Führungs­kräfte und Mitar­beitende, Abteilungs- und Bereichs­leitungen miteinander aushandeln, wie mobile Arbeit und Arbeit vor Ort funktionieren sollen. Mal kommt es zu individuellen Lösungen, mal bekommt das ganze Team die gleichen Bedin­gungen. Dies führt dazu, dass die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, entweder als Belohnung verstanden werden kann, oder als einforderbare Selbstverständ­lichkeit – mit unterschied­lichen Konsequenzen.

Mobile Arbeit als Belohnung

Wenn es über die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, Interpretations- und Verhandlungs­spielraum gibt, gibt dies den jeweiligen Führungs­kräften ein Tauschgut an die Hand. Einer unserer Interview­partner beschrieb ihre Situation so: „Wir haben eine Betriebs­vereinbarung, aber die orientiert nur schwach. Das heißt, die Führungs­kräfte können ihre eigene Linie suchen – und werden dadurch wichtig für ihr Team.“

Doch auch bei sehr genauen Regelungen kann es Verhandlungsspielraum geben. Bei einem Finanz­dienstleister gehört es etwa zum Prozess, dass die jeweiligen Führungskräfte bestätigen, dass ihre Mitarbei­tenden auch außerhalb des Büros effektiv arbeiten können. Entsprechend motiviert seien die Mitglieder jetzt, sich als geeignet darzustellen. Ähnliches wurde uns aus einem Logistik­unternehmen berichtet, wo die Möglichkeit mobil zu arbeiten nicht als Recht, sondern als „Entgegen­kommen“ der Führungskraft gegenüber den Mitarbeitenden gesehen wird. Und dieses Entgegen­kommen würde dann entsprechend honoriert.

Was handelt man sich ein, wenn mobiles Arbeiten eine Beloh­nung ist?

Für Führungskräfte und die Organisation klingt es wie eine gute Sache, ein solches Tauschgut gegenüber den Mitgliedern halten zu können – motiviert es doch zu mehr Leistung, als man formal verlangen kann.

Doch welche Effekte damit einher gehen, kann im Vergleich zu anderen Belohnungs­systemen in Organisation erkennen. Die alltägliche Zusammenarbeit in Organisationen kennt viele Möglichkeiten, wie Führungskräfte Mitarbeitende belohnen können, wo formal keine Belohnung vorgesehen ist. Viele davon sind „brauchbar illegal“, sind also eigentlich nicht erlaubt, halten aber bei gezieltem und sparsamem Einsatz die Organisation am Laufen. Ein Klassiker der formal nicht vorgese­henen Belohnung, ist etwa das Buchen von Arbeitszeit, ohne das Arbeit stattfand: Die Shopping-Tour in der Mittagspause ohne Ausstempeln, „krank ohne Schein“ feiern, oder gemeinsam bis 12 Uhr frühstücken, aber ab 9 Uhr die Uhr laufen lassen.

Im Gegensatz zu den genannten Beispielen handelt es sich bei der Chance auf mobile Arbeit in aller Regel nicht um einen Bruch mit der Formalität, sondern um eine formal vorgesehene Option. Je nach Regelung kann eine Führungskraft nach eigenem Ermessen entscheiden, wer von der Anwesenheits­pflicht befreit wird, und wer nicht. Sie kann die Konditionen dabei offen kommunizieren, oder für sich behalten. In der Soziologie nennt man dies die „Unsicherheitszone“, die für eine gute Verhandlungsposition sehr wichtig ist.

Wenn Beloh­nungen zum Alltag gehören, werden sie Norma­lität

Doch was eine Belohnung erst zur Belohnung macht, ist ihr Ausnahmecharakter. Sobald etwas Alltag wird, ist es nicht mehr Belohnung. Es wird zur Normalität. Das passiert bei belohnen­den Ereignissen in der Regel selten: das Sektfrühstück, das Fortbildungs­wochenende im Luxushotel, sind schon vorab zeitlich begrenzt. Mobile Arbeit dagegen ist für andere zeitliche Dimen­sionen angelegt. Es geht nicht darum, mal einen Tag von zuhause arbeiten zu können, sondern über Wochen und Monate, zu geregelten Zeiten.

Damit also auch Belohnung bleibt, was als Belohnung gewährt wurde, muss den Beteiligten die Flüchtigkeit ihrer Privilegien bewusst bleiben. Das beginnt mit der zeit­lichen Befristung der getrof­fenen Vereinbarung und setzt damit fort, dass die Erlaubnisse immer wieder als solche benannt werden müssen. Die Möglich­keiten dazu sind aus dem organisa­tionalen Alltag bekannt: Von ironisch wirkenden Stiche­leien, ob man auch wirklich arbeite, über Hinweise, dass etwa im Jahres­gespräch die Situation nochmal besprochen werden soll, hinzu statu­ierten Exempeln, bei denen Mitar­beitende tatsächlich ihre Privi­legien wieder verlieren, gibt es viele Wege, eine Unsicherheits­zone präsent zu halten.

Irgendwann ist also nicht mehr die Belohnung, sondern nur die Strafe, ihr Entzug, Thema. Für alle Beteiligten ist das eine belastende Entwick­lung. Besonders für die Mitarbeitenden, die ihren Alltag mit dieser Unsicher­heit gestalten müssen. Aber auch für Führungs­kräfte, die die „Ich kann auch anders“-Rethorik regelmäßig aufwärmen müssen – oder sonst nur akzeptieren können, dass ihr einstiges Tausch­gut jetzt eine Selbst­verständlichkeit ist.

Mobile Arbeit als Selbstverständlichkeit

Die Perspektive auf mobile Arbeit als Selbst­verständlichkeit ist älter als die Pandemie, doch war diese natürlich ein massiver Beschleu­niger für die Entwicklung. Wo vorher Mitarbei­tende erklären mussten, dass sie mobil arbeiten können, müssen jetzt Diejenigen, die nach Anwesen­heit verlangen erklären, wieso sie nötig ist. Drei Faktoren, die diese Entwick­lung begünstigen, sind uns dabei besonders oft genannt worden:

  1. Die Erfahrungen in der Pandemie mit mobiler Arbeit waren positiv. Vor allem Führungskräfte, die bisher behaupteten, die jeweilige Arbeit wäre mobil gar nicht machbar, geraten jetzt in Erklärungsnot.
  2. Formal eindeutige Regeln machen Verhand­lungen unnötig. „Bei uns gibt jetzt eine Mindestzeit, die man Büro arbeiten muss – und ich kenne niemanden, der freiwillig länger bleibt“, sagte uns ein Interviewpartner. Auch bedeutet die Rück­nahme einer Erlaubnis zu Homeoffice in jedem Fall eine Eska­lation. Mitglieder, die einmal ins Homeoffice „verloren sind“ (wie es eine Teamleitung gegenüber uns formulierte), kommen so schnell nicht wieder.
  3. Organisations­wechsel sind leichter geworden. „Es war noch nie so einfach wie jetzt, sich einen neuen Job zu suchen“, wurde uns auch aus der Personalabteilung eines Automobilkonzerns berichtet. „Der Schreibtisch bleibt am gleichen Platz. Nur für wen man arbeitet, ändert sich.“ Wenn Mitarbei­tende also mobil arbeiten wollen, muss sich die Organisation einiges einfallen lassen, um den Nachteil der erzwung­enen Anwesen­heit auszugleichen.

Was handelt man sich ein, wenn mobiles Arbeiten eine Selbstverstän­dlichkeit ist?

Üblicherweise geht es dabei nicht um volle Abwesen­heit vom gemeinsamen Arbeitsplatz. In den meisten Organisationen, aus denen uns berichtet wurde, lief es auf 60% mobile Arbeit, 40% Arbeit am gemeinsamen Arbeits­platz hinaus. Unabhängig der prozentualen Verteilung steht fest, damit zwar Erwartungs­sicherheit hergestellt wird. Doch wird jede Abweichung noch zäher zu verhandeln.

Dies gilt für beide Richtungen: Auch der Weg zurück uns Büro muss teilweise erstritten werden. Viele Organisa­tionen haben ihre Büro­flächen reduziert, Gemeinschafts­arbeitsplätze zu Einzelkabinen umfunktioniert, oder sogar ganze Etagen gestrichen. In Kombination mit dem „shared desk“-Prinzip führt dies zu dem Umstand, dass Mitarbeitende an manchen Tagen gerne im Büro statt zuhause arbeiten würden – aber nicht können.

Wer sich also einmal das Recht erstritten hat, außerhalb der Räume der Organisation arbeiten zu dürfen, muss damit rechnen, dass die eigene Anwesen­heit auch nicht mehr erwünscht ist – weil die Infra­struktur des gemein­samen Arbeitsorts nicht mehr dazu ausgelegt ist, so viele Anwesende zu stemmen.

Die komplette Studie lesen

Dieser Artikel ist ein überarbeiteter Auszug aus unserer Studie „Wie jetzt führen? Warum mobile Arbeit Führung verändert.“ Die gesamte Studie gibt es hier zum kostenlosen Download:

Metaplan-Studie

Wie jetzt führen?

Autor

Lars Gaede

verwendet seine journalistische Trickkiste jetzt mit Vorliebe, um Organisationen zu durchleuchten.

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