Leben wir in einer von Ranglisten dominierten Welt? Vieles spricht dafür: Universitäten, Restaurants, Krankenhäuser, Künstler, Unternehmen, selbst Unternehmensberater – sie alle (und viele mehr) sind vom allgemeinen Trend zur Erfassung von „Leistungen“ in bundesligaähnlichen Tabellen betroffen. Doch worauf lässt sich die eigentümliche Macht derartiger Listen zurückführen? Wir zeigen: Um die Allgegenwart von Rankings zu verstehen, muss zum einen ergründet werden, wie genau sie Druck auf die Gerankten ausüben; zum anderen ist es auch notwendig, die Rankinghersteller selbst in den Blick zu nehmen.
Rankings stoßen auf reges Interesse, soviel steht fest. Studierende orientieren sich an Universitätsrankings, Kunstliebhaber an Kunstrankings, Investoren an Unternehmensrankings und Unternehmen an Rankings von Unternehmensberatungen. Das hat offensichtlich Auswirkungen auf den Alltag der Gerankten: Zumindest äußerlich orientieren sich viele Universitäten am Ideal der „exzellenten Hochschule“, was nicht zuletzt auf die Popularität von den World University Rankings von Times Higher Education zurückzuführen ist; Softwareunternehmen investieren viel Zeit und Geld, um in einen sogenannten Magic Quadrant von Gartner aufgenommen zu werden oder ihre Position zu verbessern; und unter dem Eindruck des Corruption Perceptions Index der NGO Transparency International beschließen Nationalstaaten teils weitreichende Reformen zur Bekämpfung von Korruption.
Als Betroffener mag man über derartige „Bundesligatabellen“ (wie Rankings gelegentlich von Kritikern genannt werden) scherzen und fluchen, sich erbost und widerständig zeigen oder gar Fundamentalopposition betreiben. Letzten Endes entwickeln Rankings aber ein Eigenleben sobald sie in die Welt gesetzt wurden. Gänzlich unabhängig von ihrer Qualität, schaffen sie eine hierarchische Ordnung, die nur schwer ignorieren kann, wem ein Rang zugewiesen wird. Doch worauf lässt sich diese eigentümliche und durchaus problematische Macht zurückführen? Und wie kommt es, dass es in immer mehr Bereichen Rankings gibt? Die im Folgenden vertretene These lautet: Um die Macht und Popularität von Rankings zu verstehen, muss einerseits ergründet werden, wie genau, d.h. auf der Grundlage welcher Eigenschaften Druck auf die Gerankten ausgeübt wird; weil Rankings im Allgemeinen aber auch viel Kritik entgegenschlägt ist es andererseits ebenso wichtig, ihre Hersteller und deren Rechtfertigungsstrategien genauer in den Blick zu nehmen.
Als Gerankter ist man Teil einer hierarchischen Ordnung, in der es nahe liegt, andere als Konkurrenten wahrzunehmen. Rankinghersteller müssen es sich wiederum gefallen lassen, Zielschiebe von Kritik zu werden, weshalb sie vor der mühseligen Daueraufgabe stehen, ihre Glaubwürdigkeit zu verteidigen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Rankings sind herausfordernde Bewertungen, und zwar in einem doppelten Sinn. Als Gerankter ist man Teil einer hierarchischen Ordnung, in der es nahe liegt, andere als Konkurrenten wahrzunehmen. Rankinghersteller, oder kurz: Ranker, müssen es sich wiederum gefallen lassen, Zielschiebe von teils heftiger Kritik zu werden, weshalb sie vor der mühseligen Daueraufgabe stehen, ihre Glaubwürdigkeit zu verteidigen (Ringel 2021). Beide Herausforderungen sind Kehrseiten einer Medaille: Rankings konnten sich also nur durchsetzen, weil sie (a) bestimmte Merkmale kombinieren, die es ihnen erlauben, Druck auf die Gerankten auszuüben, und (b) weil sie tagtäglich von ihren Herstellern verteidigt werden.
Rankings als Herausforderung – für die Gerankten
Die sozialwissenschaftliche Forschung hat sich intensiv mit Rankings befasst und führt ihre Wirkungsmacht auf eine Reihe von Eigenschaften zurück, die in Summe eine ganz spezifische Form der Leistungsbewertung ergeben (Ringel, Espeland, Sauder, Werron 2021). Dabei stechen drei Eigenschaften hervor:
Quantifizierung. Erstens basieren Rankings auf Zahlen, d.h. es handelt sich bei ihnen um quantitative Bewertungen. Was immer im Fokus steht – nachhaltiges Wirtschaften, die Behandlung von Patienten, die Beratung von Unternehmen – die Grundlage eines jeden Rankings ist die Verrechnung von Informationen. Dies erlaubt es, komplexe und schwer verständliche lokale Gegebenheiten in eindeutige Kennzahlen zu übersetzen, die in der Folge weiter verrechnet und immer wieder neu kombiniert werden können, sodass selbst globale Vergleiche relativ leicht zu bewerkstelligen sind.
Simplifikation. Zweitens werden Rankings in visuell simplifizierten Darstellungsformen aufbereitet und dadurch im eigentliche Sinne kommunikabel. So voraussetzungsreich die zugrundeliegenden Theorien, Methodologien, Methoden oder Praktiken der Datenerhebung und -auswertung sein mögen, die Präsentation moderner Rankings bringt all dies zum Verschwinden. Von der Ästhetik der Rangliste, griffigen Slogans, aufwändigen Grafiken, bis hin zu spektakulären „launch events“: All dies suggeriert eine intuitiv verständliche Gesamtleistungsschau, in der die Platzierung des einen unweigerlich auf Kosten des anderen geht. Erst wenn dies gewährleistet ist, gewinnen Rankings an Unterhaltungswert und werden für die Medien interessant.
Regelmäßigkeit. Die Veröffentlichung in regelmäßigen Intervallenist der dritte Eckpfeiler des Erfolgs von Rankings. Durch das Moment der Wiederholung werden die Gerankten „in Bewegung“ gebracht, da sie ihre Positionen per Definition nur temporär einnehmen: Wer in einem Jahr ganz oben steht, kann (zumindest potenziell) im nächsten Jahr ganz unten landen. Ein gutes Abschneiden ist natürlich auch für sich genommen erfreulich bzw. ein schlechtes ärgerlich – ihre volle Wirkungsmacht können Rankings aber nur dann erzeugen, wenn „nach dem Ranking“ immer zugleich „vor dem Ranking“ ist. Die Gerankten können sich unter diesen Bedingungen nie auf ihren Lorbeeren ausruhen und entwickeln „Aufstiegsgelüste“ bzw. „Abstiegsängste“, was, wie viele Studien zeigen, enorme Auswirkungen auf ihr Verhalten hat.
Rankings als Herausforderung – für die Ranker
Zusammenfassend üben Rankings Druck auf die Gerankten aus, indem sie erstens noch die komplexeste Wirklichkeit auf eindeutige Kennzahl herunterbrechen; zweitens werden mithilfe visuell simplifizierter Darstellungsformen größere Publika und nicht bloß ausgewählte Experten oder Spezialisten angesprochen; und drittens entstehen durch die regelmäßige Veröffentlichung von Rankings fluide Hierarchien, in denen keine Position in Stein gemeißelt ist. Dies ist jedoch nur eine Seite des Erfolgs von „Bundesligatabellen“. Mit ihrem rasanten Aufstieg hat nämlich auch die Kritik zugenommen, sodass der Expertenstatus von Rankingherstellern ständig in der Schwebe steht. Tatsächlich entpuppen sich gerade jene Eigenschaften von Rankings, die sie in die Lage versetzen Druck auf die Gerankten auszuüben, als zweischneidiges Schwert.
Quantifizierung. Rankinghersteller wenden verschiedene Strategien an, um dem Eindruck entgegenzutreten, dass ihre Zahlen mangelhaft sind und zwischen gemessener und tatsächlicher Leistung möglicherweise eine Lücke klafft. Einerseits legen sie großen Wert auf den ostentativen Einsatz von dezidiert wissenschaftlichen Verfahren der Datenerhebung und -auswertung, wodurch den Zahlen eine Aura des Objektiven verliehen werden soll. Zum anderen wenden sie immer häufiger Strategien des „Eingemeindens“ an. Gemeint ist damit, dass demonstrativ das Feedback von kritischen Experten gesucht wird. Unabhängig davon, welches Interesse sich dahinter verbirgt: Soziologisch fällt auf, dass Rankinghersteller sich so in die Lage versetzen, ein „glaubhaftes Interesse“ an Verbesserung signalisieren zu können. Durch die Organisation und den Besuch von Konferenzen bzw. Workshops, die Einberufung wissenschaftlicher Beiräte und ihr Engagement in publizistischen Debatten nehmen sie der Methodenkritik nicht nur den Wind aus den Segeln, vielmehr wird diese zu einem Rädchen im Getriebe der Legitimierung von Rankings.
Simplifikation. Auch an den visuell simplifizierten Darstellungsformen entzündet sich deutliche Kritik. Oft wird moniert, die „Gesamtleistungsschau“ sei schlichtweg unseriös und bloß effekthascherisch. Insbesondere das Festhalten am unsäglichen Format der „Bundesligatabelle“ lasse vermuten, dass es letztlich vor allem um die Maximierung von Aufmerksamkeit gehe und wissenschaftlicher Seriosität nur eine geringe Bedeutung zukomme. Hinter der Fassade des neutralen Bereitstellens von Informationen würden sich partikulare Interessen verbergen, die von Gewinnstreben (im Falle privatwirtschaftlicher Unternehmen wie Times Higher Education) bis hin zu handfesten politischen Zielen (im Falle internationaler Organisationen wie der Weltbank) reichen. Solchen Vorwürfen begegnen die Hersteller durch das prononcierte Zurschaustellen eines wissenschaftlichen Kommunikationsstils und die Tätigung nuancierter Aussagen in methodologischen Statements, Fachartikeln, Blogs und Berichten. Diese publizistischen Aktivitäten – der nicht alle, aber viele Rankinghersteller mit großem Eifer nachgehen – richten sich an ein dezidiert fachliches Publikum und werden bei Bedarf argumentativ herangezogen, etwa um zu beteuern, dass Journalisten, Konsumenten, Studierende, Politiker usw. das Ranking „leider“ falsch interpretieren würden. Selbst wenn es sich dabei um Krokodilstränen handeln mag: Die Hersteller können nun doch behaupten, dass „die Schuld“ bei denen liegt, die die Rangliste zu ernst nehmen.
Regelmäßigkeit. Schließlich verursacht auch die wiederholte Veröffentlichung von Rankings erhebliche Folgeprobleme. Einerseits ist es für die Hersteller essenziell, Vergleichbarkeit zu behaupten: Publizierte Rankings sollen einander hinreichend ähnlich sein, sonst würden sie keine Serie bilden. Andererseits werden Rankings regelmäßig überarbeitet, sei es, um auf Kritik zu reagieren oder um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Dann entsteht jedoch ein Bruch: Wenn beispielsweise nach einer Änderung der Methodologie andere Daten verwendet werden, lässt sich schlecht behaupten, dass die neueste Ausgabe nahtlos an ihre Vorgänger anschließt. Dieser Spannung begegnen Rankinghersteller mit dem, was in der Forschung gemeinhin als „organisierte Scheinheiligkeit“ (Brunsson 1989) bezeichnet wird: Je nach Kontext tätigen sie Aussagen, die in Summe widersprüchlich sind. Konkret kann es vorkommen, dass laut methodischen Stellungnahmen ein Vergleich im Zeitverlauf nicht zulässig ist, während die auf der Internetseite publizierte Rangliste solche Vergleiche nahelegt. Wie Rankinghersteller „organisierte Scheinheiligkeit“ alltagspraktisch umsetzen, wurde in der Forschung bisher nur am Rande thematisiert und ist daher ein lohnenswertes Thema für zukünftige Studien.
Literatur zum Weiterlesen
Brunsson, N., 1989: The Organization of Hypocrisy: Talk, Decisions and Action in Organizations. New York: Wiley.
Ringel, L. (2021). Challenging Valuations: How Rankings Navigate Contestation. Zeitschrift für Soziologie, 50(5), p. 289-305.
Ringel, L., Espeland, W., Sauder, M. & Werron, T. (2021). Worlds of Rankings. In Ringel, L., Espeland, W., Sauder, M. & Werron, T. (eds.), Worlds of Rankings. Research in the Sociology of Organizations 74. Emerald, Bingley, p. 1-23.
Ringel, L. & Werron, T. (2021). Serielle Vergleiche: Zum Unterschied, den Wiederholung macht – anhand der Geschichte von Kunst- und Universitätsrankings. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 73(1), p. 301-331.
Ringel, L., Hamann, J. & Brankovic, J. (2021). Unfreiwillige Komplizenschaft: Wie wissenschaftliche Kritik zur Beharrungskraft von Hochschulrankings beiträgt. Leviathan, 49, Sonderband 38, S. 386-407.