Ein „Ausgezeichnet in…“ ist für Organisationen aller Art ein Aushängeschild, das sie gerne mitnehmen. Auch ganz vorne auf einem Ranking aufzutauchen, erfüllt diesen Effekt. Wenn physische Produkte verglichen werden, gibt es noch Anhaltspunkte, wie so ein Ranking zustande kommt. Aber wie funktioniert das Ranking für Dienstleistungen – etwa, Beratungen?
Rankings sind Instrumente zur Produktion von Aufmerksamkeit
Beim Blick in die Massenmedien könnte man den Eindruck bekommen, dass inzwischen versucht wird, alles irgendwie in die Form eines Rankings zu bringen. Es gibt Rankings für alles mögliche:
- die Korruptionsanfälligkeiten von Ländern
- die Qualität von Lehre an Business Schools
- die Beliebtheit von Hotels in einer Stadt
- den Leistungsgrad von Spielern in nationalen Basketballligen
- die eigene Attraktivität auf einer Dating-Plattform
Ein Ranking kann man sich vergleichsweise einfach zusammenbasteln. Man erhebt für eine vorher definierte Kategorie – Restaurants in einer Region, Unternehmen in einer Branche, Mitarbeiter in einer Organisation – Daten, lässt andere im Internet die Daten bewerten, oder erhebt solche Statistiken selbst, etwa durch Befragungen. Diese zu einer Kategorie gehörenden Einheiten macht man dann vergleichbar, indem man sie in Reihenfolgen von mehr oder weniger bringt.[1] In der sich mit Prozessen der Quantifizierung auseinandersetzenden Forschung wird eine solche Hochaggregierung von Zahlen in Form von Rankings – oder auch von Ratings oder Indizes – als Meta-Messungen bezeichnet.[2]
Die Macht von Zahlen wird an anderer Stelle noch ausführlicher beschrieben. Für Rankings ist besonders von Bedeutung, wie leicht Zahlen transportierbar und vergleichbar sind. Eine quantitative Bewertung, in Form einer Platzierung in den Top 100, lässt sich ohne weiteren Kontext einordnen: Platz 56 ist besser als 57, und Platz 1 besser als alle hundert anderen.
Rankings sollen dramatisieren
Die damit einhergehende Vereinfachung von Kontexten macht Rankings zu einer dankbar schlichten Form der Informationsdarstellung. Sie können in einer mit Informationen überfluteten Welt Aufmerksamkeit zu produzieren. Man weiß oder ahnt zumindest, dass die Korruption in verschiedenen Ländern der Welt unterschiedlich funktioniert, aber erst wenn Organisationen in eine Rangliste gebracht werden entsteht ein entsprechendes Interesse, weil es sich für eine massenmediale Dramatisierung eignet.[3]
Die Aufmerksamkeit wird dadurch generiert, dass Ranking nach dem Prinzip des Nullsummenspiels funktionieren – der erste Platz des einen geht stets mit dem Umstand einher, dass jemand anderes diesen ersten Platz nicht mehr einnehmen kann. Der Aufstieg des einen bedeutet zwangsläufig immer auch den Abstieg eines anderen. Mit „Spielen ohne Gewinner“ oder „Win-Win-Situationen“ haben Rankings überhaupt nichts zu tun – diese wären für eine Aufmerksamkeitsgenerierung nämlich viel zu langweilig.
Die Daten bestimmen die Qualität des Rankings
In Organisationen werden Rankings dafür genutzt, um Druck für Veränderung zu produzieren. Es werden über verschiedene Organisationen einer Branche hinweg „Gemeinkostenwertanalysen“ angefertigt, die dabei helfen sollen, einen Rationalisierungsdruck in der Organisation zu „verargumentieren“. Es werden „Organizational Health Indices“ erstellt, die versprechen, alle zentralen Elemente einer Organisation – etwa der Innovationsgrad oder die Produktivität pro Mitarbeiterstelle – im Vergleich zu anderen Organisationen der gleichen Branche zu messen.[4]
Die Datenqualität, die den Meta-Messungen in Form von Rankings zugrunde liegt, ist unterschiedlich. Das Ranking der Mannschaften einer Basketballliga auf der Basis von gewonnen oder verlorenen Spielen kann kaum angezweifelt werden, weil nur Rechenfehler die Datengrundlage gefährden könnten. Doch nimmt man etwa den Index für Korruption, so ahnt man zwar, dass etwa Österreichs 29 von 100 möglichen Korruptionspunkten einen begrenzten Aussagewert haben. Dennoch man davon aus, dass die Qualität wenigstens so gut ist, dass sich die Daten für eine grobe Einschätzung und den Vergleich zu anderen Ländern eignen.
Berater-Rankings: Wie man das nicht Vergleichbare vergleicht
Wenn Beratungsfirmen gerankt werden, wird dieser begrenzte Aussagewert in teils unfreiwillig komischer Form deutlich. Die Datenerhebungsmethoden mancher Rankings haben einen so offensichtlichen Fiktionsgehalt, dass sich einige als Top-Firmen geführte Beratungsunternehmen von den Veranstaltern dieser Zahlenlotterien unter Androhung von Klagen aus den Rankings haben entfernen lassen. Anders als bei einer Sportmannschaft, bei der jeder Schritt gezählt und jedes taktische Manöver quantifizierbar ist, handelt es sich bei Dienstleistungen (wie Beratung) um Tätigkeiten, die nur mit großem Willen zur Realitätsbeugung quantifizierbar sind.
Verzichtet man darauf, komplexitätsvereinfachende Maßnahmen wie Benchmarking als Vergleichskategorien heranzuziehen, bleibt zur Quantifizierung der Dienstleistung nur das Abfragen von Zahlen bei Kundinnen und Kunden ab. „Auf einer Skala von 1 – 10, wie bewerten Sie die Qualität der Beratung?“ Durch die Abfrage einer Zahl werden unvergleichliche Projekte plötzlich vergleichbar: Ob Arbeitssicherheit in der Stahlindustrie untersuchen, eine agile Transformation für ein Tech-Startup aufsetzen, oder eine Chefetage zur effektiven Zusammenarbeit zwingen: Hier erwartet Sie eine Beratungsqualität von 9,5.
Rankings als Entscheidungshilfen und -legitimationen
Es stimmt, dass solche Rankings für die Entscheidungsfindung herangezogen werden. Firmen wählen Beratungen, Studierende Universitäten, und Touristen ein Restaurant, auf Basis der Informationen, die ihnen ein Ranking gegeben hat. Doch das hat weniger damit zu tun, dass Rankings „objektiv“ in der Lage dazu sind, Entscheidungen zu unterstützen, als dass ihnen diese Eigenschaft zugesprochen wird. Angesichts des Dilemmas, dass man trotz unvollständiger Information entscheiden muss, um handlungsfähig zu bleiben, sind Rankings ein hilfreiches (weil legitimes) Mittel, die Unsicherheit mittels Informationsfiktion zu absorbieren. Sie sind die Antwort auf die Frage, was eine Entscheidung motiviert hat – wenn Intention, Bauchgefühl oder schlicht Willkür keine akzeptierten Optionen sind.
In der Regel wird die Qualität der Datenbasis, die Rankings zugrunde liegt, erfolgreich „verdunkelt“. Manager wissen, dass die quantitativen Rankings, die ihnen große Expertenberatungsfirmen zur Einschätzung der Leistungsfähigkeit ihrer Organisation liefern, häufig nicht aussagekräftiger sind als grobe Schätzungen. Trotzdem nutzen sie die Reputation der Firma, um die Zahlen intern zu „validieren“. Personaler wissen, dass die quantitativen Potenzialeinschätzungen von Mitarbeitern kaum Aussagekraft besitzen, aber nutzen eine visuell aufgemotzte Darstellung, um sie plausibel erscheinen zu lassen.[5]
Rankings können Lernen verhindern
Trotz des Wissens über den hohen Grad an Konstruiertheit scheinen Organisationen den Reflex, sie für sich zu nutzen, kaum unterdrücken zu können. Unternehmen richten eigene Stellen ein, die die Außendarstellung so optimieren sollen, sie auf den Rankings für „die attraktivsten Arbeitgeber“ ganz oben erscheinen. Universitäten, die um Platzierungen auf Tabellen für Top-Universitäten erscheinen wollen, richten – jedenfalls teilweise – ihre eigene Struktur auf die Kriterien dieser Rankings aus und leisten sich auf ihren Gehaltslisten Professorinnen und Professoren, die zwar fast nie anwesend sind, aber aufgrund ihrer Publikationstätigkeiten versprechen, die Universität in den relevanten Rankings weiter nach oben zu bringen.[6]
Mit ihrem Fokus auf Rankings machen sich Organisationen – oder zumindest Organisationseinheiten – abhängig von Kriterien, die nicht ihre eigenen sind. Sie übernehmen die ihnen von außen vorgegebenen Messverfahren und setzen sich einem Druck aus, den sie selbst nicht kontrollieren können. Im extremen Fall wird dadurch situationssensibles Lernen der Organisation verhindert, weil alle Bemühungen darauf ausgerichtet sind, durch die Verbesserung auf dem für sie nach externen Kriterien ausgerichteten Ranking weiter nach oben zu rutschen.
Literatur
[1] Siehe dazu Bettina Heintz: „Wir leben im Zeitalter der Vergleichung“. Perspektiven einer Soziologie des Vergleichs,. In: Zeitschrift für Soziologie 45 (2016), S. 305–323, hier S. 317.
[2] Siehe zum Konzept der „meta-measurements“ oder „second-order-measurements“ Michael P. Power: Counting, Control and Calculation: Reflections on Measuring and Management. In: Human Relations 57 (2004), S. 765–783.
[3] Zur Entstehung des Korrputionsindex von Transparency International lesenswert Jens Ivo Engels: Alles nur gekauft? Korruption in der Bundesrepublki seit 1949. Darmstadt 2019, 204f.
[4] Duff McDonald: The Firm. The Story of McKinsey and its Secret Influence on American Business. New York et al. 2013, S. 302.
[5] Für eine der beste Studien über die Konstruktionsweise von Zahlen siehe Alexander Gruber: Beraten nach Zahlen. Über Steuerungsinstrumente und Kennzahlen in Beratungsprojekten. Wiesbaden 2015.
[6] Zur „reactivity“ in Bezug auf Rankings, siehe einschlägig Wendy Nelson Espeland, Michael Sauder: Rankings and Reactivity. How Public Measures Recreate Social Worlds. In: American Journal of Sociology 113 (2007), S. 1–40.