Im Maschinenbau ist Entwicklung ein teures Geschäft. Eines der größten Risiken ist es, Zeit, Personal und Geld in eine Entwicklung zu investieren, die im Markt beim Fallenlassen nicht mal ein Echo verursacht. Bearbeitet wird das Risiko im Zusammenspiel zwischen Vertrieb und Entwicklung: und das mal recht, mal schlecht.
Wir teilen Insights aus der Branche, welche Lösungsansätze für bessere Zusammenarbeit es gibt – und welche Probleme man sich mit ihnen einhandelt.
Vertrieb und Entwicklung im Konflikt
Die Bereiche Vertrieb und Entwicklung pflegen im Maschinenbau traditionell eine zwiespältige Beziehung. Man braucht einander, aber beide wären froh, würde die jeweils andere Seite nur liefern, was man von ihr erwartet.
Ginge es nur um gelegentliche Reibereien, wie sie zwischen vielen Bereichen in Unternehmen üblich ist, wären die Spannungen kaum der Rede wert. Doch kann fehlende Klärung zwischen Vertrieb und Entwicklung im Maschinenbau tüchtig ins Geld gehen – dann wird Entwicklungszeit investiert und Maschinen bzw. Features entwickelt, die niemand kauft.
Dieser Artikel
- Beschreibt die konfliktbehaftete Ausgangslage zwischen Vertrieb und Entwicklung
- geht auf die Ursachen ein, die für dieses Auseinanderfallen der Perspektiven verantwortlich ist
- liefert Lösungsansätze, die bereits in der Praxis eingesetzt werden
- benennt die Folgen oder offenen Fragen, die diese Lösungen mit sich bringen.
Sales: „Die Entwicklung entwickelt am Markt vorbei“
Wie der Vertrieb die Arbeit der Entwicklung regelmäßig einschätzt, lässt sich, drastisch ausgedrückt auf drei Adjektive einkürzen: Behäbig, unnütz, teuer.
Behäbig: Dass die Konkurrenz schneller und zielgenauer entwickelt, ist eine stete Sorge des Vertriebs. „Time-to-Market ist immer ein Thema“, sagte uns ein Vertriebler. „Der Eindruck, dem Wettbewerb hinterher zu sein, lässt sich nicht abschütteln.“
Unnütz: „Ihr entwickelt am Markt vorbei. Unsere Kunden haben kein Interesse an euren Innovationen – wünschen sich aber Features, die wir nicht anbieten!“ Dieser Vorwurf ist bestens geeignet, den Graben zwischen Entwicklung und Vertrieb zu vertiefen. Kaum diplomatischer hörten wir es bei einem Hersteller von Verpackungsmaschinen: „Wenn die Entwicklung eine Lösung gefunden hat, ist die Existenz des dazu gehörigen Problems zweitrangig. Das ist nichts anderes als Happy Engineering.“ Es wird berichtet, dass Entwickler entweder keinen Kontakt zu Kunden haben oder, wenn sie einmal einem Kunden begegnen, z.B. weil sie wegen eines technischen Problems mit beim Kunden waren, seine Anforderungen für allgemeingültig halten.
Teuer: Weil man nun Maschinen hat, denen Merkmale fehlen, die dafür Leistungen bieten, die allenfalls von wenigen gebraucht werden, weigern sich Kunden, die abgerufenen Preise zu zahlen. „Der Weg, vom Gipfel der Innovationsführerschaft hinab in den Graben des Over-Engineering, ist bedenklich kurz“, ließ uns ein Sales-Leiter wissen. Und selbst, wenn eine Maschine grundsätzlich ein attraktives Leistungsprofil bietet, hat die Entwicklung es oft genug versäumt, auf einen Target Price zu entwickeln.
Alle drei Probleme werden dadurch verschärft, dass (nach wie vor, aus Perspektive von Sales) die Entwicklungsingenieure nicht mit sich reden lassen. „Ein Ingenieur hört nur zu, wenn ein anderer Ingenieur spricht“, so einer unserer Gesprächspartner. Statt in die Auseinandersetzung mit dem Vertrieb zu gehen, würden in der Entwicklung schlicht Fakten geschaffen, mit denen man anschließend umzugehen hätte.
Entwicklung: „Der Vertrieb ist nicht im Stande unsere Innovationen zu verkaufen, geschweige denn zu erklären“
Wir finden eine Spiegelung dieser Vorwürfe, wenn die Entwicklung über Sales spricht. Hier lassen sich die Charakterisierungen auf fehlendes Technikverständnis, mangelnde Vermittlung und mangelnde Bedarfsanalyse herunterbrechen.
Fehlendes Technikverständnis: Um Features verkaufen zu können, müssen sie erklärt werden. Und um Features zu erklären, müssen sie verstanden sein. Der Vorwurf der Entwicklung lautet schlicht: Ihr habt die Maschine nicht verstanden und gebt euch auch nicht die nötige Mühe, sie den Kunden zu erklären.
Mangelnde Vermittlung: Damit die Entwicklung zielgenaue Innovationen hervorbringen kann, muss sie die Probleme und Bedingungen bei Kunden kennen. Wer sollte die besser kennen als der Vertrieb? Hier wirft die Entwicklung dem Vertrieb vor, dass Kundenanforderungen unverständlich, undifferenziert und ungefiltert weitergegeben werden. Statt präzisen Vorstellungen landen diffuse Wünsche in der Entwicklung, die allenfalls ein Achselzucken und das Urteil, „eure Kunden wissen selbst nicht, was sie wollen“, auslösen.
Der Blick geht zu schnell zur Konkurrenz
Mangelnde Bedarfsanalyse: Wenn das eigene Geschäft nicht zieht, geht der Blick schnell zur Konkurrenz. Zu schnell, ist ein Urteil der Entwicklung. Dann reicht ein einziges Feature, das sich bei Konkurrenzmaschinen, jedoch nicht den eigenen findet, um den Vertrieb sehr nervös zu machen. Doch diese Unruhe habe mit der faktischen Nachfrage nichts zu tun: „Es ist ein willkommener Grund für Nichtverkauf. Sales sucht eben gerne Entschuldigungen“, ist die Erklärung, die ein Entwicklungsleiter uns für dieses Verhalten gab.
Es ist selten falsch, guten Willen zu unterstellen
Es wäre offensichtlich Unsinn, auch nur einer von beiden Seiten Desinteresse an guten Maschinen oder an guten Verkaufszahlen zu unterstellen. Gerade bei einem Phänomen, das branchenweit zu beobachten ist, kann man eher von einem Wirken der Strukturen als von unkooperativen Egoisten ausgehen. Niemand hat Freude daran, andere zu sabotieren. Man macht also nichts falsch, wenn man unterstellt: Die Menschen beider Bereiche, Vertrieb und Entwicklung, wollen gute Arbeit und ihren Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Der Bruch entsteht, weil entgegen aller Schauseitenkommunikation eben nicht alle in einem Unternehmen das gleiche Ziel haben. Wenn es eines gibt, so ist es so abstrakt, dass für das Treffen von Entscheidungen irrelevant bleibt. Für die alltägliche Arbeit gibt es jeweils andere, konkrete Ziele. Was ist jeweils zu erreichen? Woran wird man formal gemessen? Was erachten die Kolleginnen und Kollegen als gute Arbeit?
Gleicher Gegenstand, unterschiedliche Fragen
Für die Entwicklung bleibt im Alltag stets die Frage wichtig, wie sieht die technisch beste Lösung aus? Sales dagegen fragt, wie erreichen wir unsere Umsatzziele im nächsten Zeitabschnitt?
Die Entwicklung findet technische Antworten: Weniger Energieverbrauch, mehr Leistung, weniger Verschleiß, höhere Produktivität, geringere Vibration, bessere Oberflächenstruktur, genauere Daten, etc. Das alles sind Gradmesser, die eine technisch bessere Lösung anzeigen können.
Sales dagegen schaut immer auf den einen Kunden bzw. auf ein Segment. Verkäuflichkeit einer Maschine ändert sich entlang der Marktsegmente und Kunden, auf die die Vertriebler schauen. Bedarfe und Zahlungsbereitschaft, Interesse an technischen Innovationen oder an simplen Lösungen, variieren entlang der Gespräche, die geführt werden. Das bedeutet: Sales weiß (bzw. kann einschätzen) welche Maschinenleistungen und -features beim einzelnen Kunden auf Interesse stoßen würden. Für die Umsetzung zu einem bezahlbaren Preis wird jedoch die Entwicklung verantwortlich gemacht.
Drei Fragen für bessere Zusammenarbeit
Welche Lösungen gibt es für diese Gemengelage? Wie kann ein Maschinenbau-Unternehmen verhindern, dass es am Markt vorbei entwickelt? Auf Basis unserer Gespräche haben wir drei Fragen identifiziert, die zu organisationsspezifischen Antworten führen können. Wir stellen erprobte Lösungen aus einzelnen Maschinenbauunternehmen vor.
Wie bleiben Forderungen des Vertriebs am Marktbedarf orientiert?
Um Entwicklungsforderungen, die rein auf Vermutungen basieren, zu verhindern, setzen verschiedene Gesprächspartner auf stärkere Datenorientierung: systematische Analysen von Konkurrenzmaschinen, die Nutzung von Verbandsinformationen, die differenzierte Betrachtung von Kunden. Größere Maschinenbauer beschäftigen dafür einen kleinen Stab. Der kann als Druckmittel oder Service fungieren. Wer klug ist, nutzt den Stab für Technologie- oder Marktrecherchen. Wer glaubt es, es besser zu wissen, kann mit Informationen des Stabs eines Besseren belehrt werden.
Klar ist dabei auch, allein mit Analysen lässt sich kein Geschäft machen. Der Vertrieb muss sich auf die Kunden und ihre spezifischen Bedarfe orientieren. Die Entwicklung muss Ideen haben und sie vorantreiben. Aber das allein greift zu kurz. „Man muss genauer hinschauen,“ formulierte der Geschäftsführer eines international orientierten Mittelständlers.
Wie balanciert man zwischen freier und kundenorientierter Innovation?
Um Entwicklungen in einer Form zu halten, die auch Absatz findet, gibt es verschiedene Varianten. Orientierung am einzelnen (Problem-)Kunden ist als ein Beispiel (mitsamt den Risiken) bereits beschrieben. Neue Trends zeigen Richtung Co-Development. Das ist schon fast eine agile Entwicklung, wie man sie in Software-Agenturen findet. Allerdings ist die Welt der ständigen Moderation und des iterativen Prozesses noch neu für viele Maschinenbauer.
„Unser Entwicklungsleiter fremdelt noch damit, ständig Rechenschaft ablegen zu müssen“, berichtete uns ein Geschäftsführer. „Aber es gibt Vorteile, die auch er nicht wegdiskutieren kann. Wir lernen sehr genau die Anforderungen kennen, unter denen unsere Maschinen eingesetzt werden. Und der spezifische Kunde, mit dem wir jetzt arbeiten, kann auf jeden Fall nicht mehr Nein sagen.“
Ob agile Entwicklung, oder entlang von Requirement Engineering – ein Problem entsteht dabei dennoch: Es kann nur entwickelt werden, was innerhalb der aktuellen Realität der spezifischen Kunden eine Lösung darstellt. Damit bleibt wenig Raum für disruptive Innovation: Die Lösung, die sich keiner gewünscht hat, aber alle brauchen.
Auf der Suche nach der Disruption – oder etwas, das zumindest nah dran ist – besteht immer das Risiko, „Geld in ein Loch zu schaufeln“, weil ein Entwicklungs-Team von seiner genialen Idee überzeugt ist. Dieses Thema kennen sicherlich viele Maschinenbauer. Hier gilt es, mithilfe eines offenen Diskurses Grenzen zu setzen und gemeinsam die wenigen Ideen zu identifizieren, die es wert sind, in freier Innovation verfolgt zu werden. Der Fokus der Entwicklung muss aber auf dem sicheren Geschäft bleiben. „Das ist Führungsarbeit, die immer wieder geschehen muss“, beschrieb uns ein Geschäftsführer „Dafür braucht es jemanden aus der Hierarchie, mit technischem Verständnis – der sich gleichzeitig nicht von der Begeisterung so leicht anstecken lässt.“
Wie kann die Kommunikation zwischen Sales und Entwicklung gelingen?
Blicken wir abschließend noch auf die Lücke in der Kommunikation zwischen Sales und R&D. Hier setzen kluge Maschinenbauer Vermittlungsinstanzen ein, die die beiden Perspektiven integrieren können.
Auf dem Papier ist das eine Aufgabe des Product-Managements. Doch gibt es das in kleinen und mittelständischen Unternehmen mitunter gar nicht (jedenfalls nicht als formale Rolle), oder aber: die „Vermittlung“ wird hier direkt vom Chef übernommen. Oft genug, weil der jeweilige geschäftsführende Gesellschafter, Geschäftsführer oder Vorstand, die Geduld darüber verliert, dass zwei Bereiche wieder mit dem Finger aufeinander zeigen. Und wie es so oft passiert, wenn eine Sache zur Chefsache wird, „ist dann kein Platz mehr für andere“, brachte es ein Branchenkenner auf den Punkt.
Ob die Lösung auf dem Markt funktioniert, hängt dann allein vom Sachverstand oder der Fortune des Chefs ab, der kraft seiner Position die Begründungslücke schließt und den Konflikt entscheidet. Vielleicht ist der Chef aber auch erst dann klüger als seine Vertriebler und Entwickler, wenn er von ihnen Begründungen und Analysen fordert. Wenn er sie also zwingt, genauer hinzuschauen, als sie ohne Herausforderung tun würden. Wer genauer hinschaut, muss Arenen schaffen, in denen immer wieder um die besten Lösungen gerungen wird.
Es muss eine Streitkultur etabliert werden, in der man bei der Sache bleibt, statt der anderen Seite Unwillen oder gar Dummheit zu unterstellen. Es muss ertragen werden, dass der Konflikt zwischen Sales und Entwicklung eben nie abschließend entschieden wird, weil erst in der dauernden Auseinandersetzung gute marktfähige Lösungen entstehen.