Für einen störungsfreien Betriebsablauf sind immer wieder Absprachen und Abkürzungen nötig. Diese weithin bekannten, aber ignorierten Verstöße gegen das Regelwerk bringen das Unternehmen voran und federn Zumutungen ab. Doch solche informalen Strukturen, die als Abfederungen für formale Zumutungen ihren Anfang genommen haben, können selbst auf unterschiedliche Weise zu Zumutungen werden.
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Für solche Zumutungen, die aus der Informalität entstehen, ist es eine besondere Herausforderung, die richtige Herangehensweise zu finden. Geht man sie direkt an, bekämpft man nur die sichtbare Wirkung, nicht die Ursache. Diesen auf den Grund zu gehen, ist im Alltag aber nicht leicht. Die jeweils „einfachste“ Möglichkeit, die Zumutung zu verringern wäre, das Bezugsproblem in der Formalität anzupacken. Wir wissen aber auch: Das ist häufig leichter gesagt als getan, manchmal auch schlicht unmöglich, wenn die Zumutung Teil des Organisationszwecks ist.
Lieber unbezahlte Überstunden als bezahlt zusammenbrechen: Zumutungen der brauchbaren Illegalität
Jeder Arbeitsalltag kennt „Workarounds“, die „kleinen Tricks“, um Ziele und Prozessvorgaben irgendwie übereinander zu kriegen, die „Life Hacks“, mit denen man aufwendige und nervige Prozesse umgeht und den „notwendigen Übel“ begegnet, die man selbst nicht gerne hat, die aber nicht vermeidbar sind, soll das Dasein in der Organisation und das Erledigen des Jobs erträglich bleiben. Die Organisationssoziologie hat einen Begriff für diese Verhaltensweisen, der das Gleiche meint. Brauchbare Illegalität: Wenn man gegen die Regeln der Organisation verstößt, um eine Funktion für die Organisation zu erfüllen.
Brauchbare Illegalität ist immer Teil der Kultur einer Organisation und unvermeidliche Folge davon, dass formale Struktur nie vollständig sein kann, oft widersprüchlich ist und dass manche Einzelfälle sich nicht mit allgemeinen Regeln bearbeiten lassen. Hier fokussieren wir uns auf das „illegale“ Verhalten, das Folgeprobleme in Form von Zumutungen für die Mitglieder nach sich zieht.
Die in allen Arbeitsorganisationen am meisten verbreitete brauchbare Illegalität ist ein Verstoß gegen die formal vorgegebenen Arbeitszeiten. Häufig geben die Arbeitgeber die Gesetzesvorgaben als formale Regel der Organisation weiter (weil sie müssen), wohl wissend, dass die faktischen Arbeitszeiten in deutlichem Widerspruch zu dieser Vorgabe stehen. So war es etwa für Mitarbeitende eines Gastronomie-Konzerns filialübergreifend gelernte Praxis, schon gut eine Stunde vor offiziellem Arbeitsbeginn vor Ort zu sein und erste Vorbereitungen zu treffen. Der Workload wäre anders nicht zu stemmen gewesen. Gleichzeitig war es auch nicht möglich, die Stunde formal anzuerkennen – das hätte die Länge der Schicht über die gesetzlich festgelegt Schwelle hinaus verlängert und lange, verpflichtende Pausenzeiten nach sich gezogen. Die Zumutung liegt auf der Hand: Wie viel unbezahlte Zeit möchte man als Mitarbeiter dem Unternehmen schenken?
Nur dann, wenn es gut gelingt, anderweitige Abfederungen für diese Zumutung zu finden, haben solche Vereinbarungen aus der Dunkelgrauzone des Rechts eine Chance, tatsächlich brauchbar zu bleiben für die Organisation – statt einfach nur illegal zu sein.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Whitepaper „Wer geht, hat recht. Retention und die Suche nach der bleibewürdigen Organisation“. Das ganze Whitepaper steht hier kostenlos zum Download bereit.