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Kolumne Günther Ortmann

Die Bürde des Entscheidens

  • Günther Ortmann
  • Dienstag, 18. April 2023
Die Bürde des Entscheidens

Vor ein paar Jahren habe ich ein kleines Buch geschrieben, das den, mit Stefan Kühl zu sprechen, „ganz formalen Wahnsinn“ speziell mit Blick auf das Entscheiden auf’s Korn nimmt. Es hieß: Kunst des Entscheidens. Ein Quantum Trost für Zweifler und Zauderer (Weilerswirst 2011, Verlag: Velbrück Wissenschaft, dem wir für die Erlaubnis danken, von den 111 Stücken darin einige nacheinander, abwechselnd mit anderen Texten, als Kolumnen in VERSUS einzubringen).

Dass die Kolumne, anders als das Buch, den Titel „Die Bürde des Entscheidens“ hat, trägt den Lasten und Kalamitäten Rechnung, die das Entscheiden mit sich bringt. Ich hatte sie seinerzeit in diesem Vorwort skizziert:

In Texten wildern

Es naht der Augenblick der Entscheidung. Schon beschleichen mich Zweifel. Ich schwanke. Ich zögere. Wer darum nicht weiß, wer da, jeder Zoll James Bond, kein bisschen Hamlet, ohne Zittern und Zagen auskommt, der braucht dieses Buch nicht. Oder besonders dringend?

Für alle anderen hier die erste Tröstung: Für’s Zweifeln und Zaudern gibt es überraschend gute Gründe, besonders diesen: Entscheidungen sind genau dann nötig, wenn gute Gründe fehlen. Das macht aus vernünftigen – gut begründeten – Entscheidungen ein Paradoxon. Alle großen Denker der Entscheidung sind diesem Gedanken jedenfalls sehr nahegekommen. Einer von ihnen, Sören Kierkegaard, hat dazu einen zweiten Trost gespendet: „ein Denker, der ohne Paradox ist, ist wie ein Liebhaber ohne Leidenschaft: ein mäßiger Patron.“ Manche allerdings haben in heroischem Gestus mit dem Feuer der Paradoxie gespielt und sich schwer die Finger daran verbrannt – in einer Feier der Dezision und des Souveräns, vulgo: des Führers.

Entscheiden ist schier zum Verrücktwerden. Wenn man an die kühl kalkulierten Entscheidungen von Hypothekenbankern denkt, Leuten ohne Einkommen und ohne Vermögen riesige Summen zu leihen, Geld, das die Bank nicht hatte, mit dem diese Leute Häuser kauften, die sie nicht brauchten und die heute, nachdem die Immobilienblase geplatzt ist, leer stehen, dann beschleicht einen der unbehagliche Gedanke: Nicht der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, sondern ihre luchsäugige Wachsamkeit.

In den Texten jener Denker der Entscheidung habe ich ein wenig gewildert. Die Beute, gesalzen mit einer Prise Praxis: Witz und Irrwitz. … Auf dass Sie darin ein Gran Zunder finden, und ein Körnchen Wahnwurz.

Die Prise Praxis besteht nicht nur in Einsichten in praktische Verwicklungen, sondern auch, wie der Buch-Untertitel es verhieß, in so manchem Trost für alle, die unter der Bürde zu leiden haben. Gibt es mehr als Trost? Gibt es nützliche Ratschläge? Schon, aber sie müssen in den Köpfen der Leserinnen und Leser entstehen. Dort müssen die Texte zünden. Oder anders gesagt, mit den Worten eines großen Organisationstheoretikers, Karl E. Weick: „Das Feuer steckt drin; Sie müssen nur danach suchen.“

Autor
Günther Ortmann

Prof. Günther Ortmann

war zuletzt Professor für Führung an der Universität Witten/Herdecke im Department für Management und Unternehmertum.

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