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Die Bürde des Entscheidens

Eine falsche, richtige Landkarte

  • Günther Ortmann
  • Donnerstag, 15. Februar 2024

Karl E. Weick, der geistreichste unter den Organisationsforschern, hat die Geschichte von jenem Militärmanöver in den Schweizer Alpen erzählt, während dessen eine kleine ungarische Aufklärungseinheit in die eisige Wildnis entsandt wurde.

Zwei Tage lang schien sie schon verloren, aber am dritten Tag kehrte sie zurück. Wie hatten die Leute es geschafft? „Wir waren eingeschneit und hatten uns schon aufgegeben“, antworteten sie ihrem erleichterten Leutnant, der schon geglaubt hatte, sie in den Tod geschickt zu haben, „aber dann fand einer von uns eine Karte in seiner Tasche, und wir beruhigten uns. Wir schlugen ein Lager auf, überstanden den Schneesturm und fanden mit Hilfe der Karte den Rückweg.“ Der Leutnant ließ sich diese bemerkenswerte Karte zeigen. Sie zeigte nicht die Alpen, sondern die Pyrenäen. 

Sogleich nimmt Weick diese Geschichte als Allegorie für Organisation, Management und Planung. Wenn du verloren bist, tut es manchmal auch die falsche Karte. Strategische Pläne sind wie Karten. Sie animieren und orientieren die Menschen. Wenn Leute erst zu handeln beginnen, schaffen sie handfeste Resultate in bestimmten sozialen Kontexten, das hilft ihnen, im Nachhinein zu entdecken, was geschieht, was es zu erklären gibt und was als Nächstes zu tun ist. Manager vergessen dauernd, dass nicht die Planung, sondern das Handeln ihren Erfolg erklärt. Sie verlassen sich weiter auf das Falsche, den Plan, verbringen, gestützt auf diesen Irrtum, noch mehr Zeit mit Planung und weniger mit Handeln, und sind am Ende sehr erstaunt, wenn mehr Planung nichts besser macht. 

Soweit Weicks Lesart des Gleichnisses von der Pyrenäen-Karte, die den Weg aus den Alpen wies. Die Schlusspointe steuerte Bob Engel bei, Vizepräsident und Finanzvorstand von Morgan Guaranty, dem Weick die Geschichte erzählt hatte. „Nun, eine wirklich hübsche Geschichte wäre das gewesen, wenn der Führer da draußen mit seinem verlorenen Trupp gewusst hätte, daß es die falsche Karte war, und er es auch dann noch geschafft hätte, sie zurückzubringen.“ Dann hätte die Lage der Situation geglichen, mit der die meisten Führer, und nun erst recht die Manager, dauernd konfrontiert seien. „Followers are often lost and even the leader is not sure where to go.“ Oft wissen letztere, dass ihre “Karten” nicht viel taugen, aber sie müssen Zuversicht verbreiten, einen Weg weisen, für Aufbruchstimmung sorgen, die anderen zum Handeln bewegen und darauf achten, dass die Leute die Hinweise, die sie durchs Handeln gewinnen, zum Lernen nutzen – um zu lernen, wo sie stehen und wohin sie wollen. 

Die Soldaten – keine umgebogenen wie bei Alice im Wunderland – haben mit einer schlechten Karte einen guten Weg gefunden, weil sie unterwegs aufgepasst und dazugelernt und so die falsche Karte in eine self-fulfilling prophecy verwandelt haben – die Fiktion „Wir wissen, wo es lang geht“ in eine werdende, selbsterzeugte Realität. 

Günther Ortmann

Prof. Günther Ortmann

war zuletzt Professor für Führung an der Universität Witten/Herdecke im Department für Management und Unternehmertum.

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