Wieso es so schwer ist, in Organisationen Bewusstsein für eine Krise zu schaffen und wieso trotz Handlungsdruck Ergebnisse nur über Innehalten zu erreichen sind.
Dies ist der erste Teil einer mehrteiligen Serie über Strategiearbeit. Die weiteren Teile werden mit Veröffentlichung an dieser Stelle verlinkt.
Wenn man Vorstandsvorsitzenden eine Herausforderung stellen will, kann man sie bitten, über Unternehmensstrategie zu sprechen – ohne Metaphern der Fortbewegung zu verwenden: Sehr viele Organisationen „halten Kurs“ (oder wechseln ihn), „fahren auf Sicht“ oder „brechen auf zu neuen Ufern“. Dieses Sprechen in Metaphern ist praktisch, denn sie helfen, ein komplexes und zugleich wenig bildhaftes Problem zu umschreiben.
Schaut man allerdings genau hin, stellt man fest, dass diese Metaphern eine der größten Herausforderungen der Strategiearbeit nicht gut fassen können: Sie stellen kein gemeinsames Problembewusstsein her. Wer gemeinsam fährt, fliegt oder segelt, hat es einfach(er), sich gemeinsamer Wahrnehmung zu versichern. Jedenfalls weit einfacher als die Mitglieder einer Organisation.
Als Organisationsmitglied ist es nicht nur möglich, sondern oft auch zwingend notwendig, sich ganz auf die eigene Arbeit zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Für die Organisation ist das meist hilfreich, es kann aber auch zu einer Erfahrung von Machtlosigkeit werden – etwa für Führungskräfte, die die Ziele ihrer Organisation ändern wollen, dabei aber die Beharrungskräfte ihrer Organisation kennenlernen und erleben, wie Normalität und Alltagsroutinen verteidigt werden. Wer am Freitag ruft „Weiter so ist keine Option!“, kann schon am darauffolgenden Montag durch das Verhalten der Mitglieder widerlegt sein.
Manchmal erlebe ich Organisationen, in denen man den Eindruck hat, es könnte sich die Erde auftun, ohne dass es die Mitglieder kümmert: Solange der Abgrund, der zwischen Mülleimer und Kopierer klafft, den Schreibtisch nicht schluckt, kann weitergearbeitet werden. Damit kritisiere ich nicht die Menschen, die sich so “ignorant” gegenüber ihrer Umwelt verhalten. Vielmehr gerät damit die Macht der Routine in den Blick: Alles in Organisationen ist für das „Weiter so“ gemacht. Die Normalität infrage zu stellen, schon die Prüfung, ob noch alles in Ordnung ist, kann so beinahe zum Akt der Unmöglichkeit werden.
Dieses Hinterfragen und die Abkehr vom “Weiter so!” fällt nach meinem Eindruck besonders den Organisationen schwer, die dank einer klugen Innovation ihren Platz am Markt gefunden haben. Man kann sich solche Innovationen wie eine unternehmerische Superpower vorstellen: das eine Angebot, das man machen kann, aber niemand sonst – weil die Technologie nicht vorhanden ist, weil man in bemerkenswert besserer Qualität herstellen kann oder weil es ein Angebot ist, für das noch niemand bisher eine Nachfrage angenommen hatte. Wenn ein Unternehmen es schafft, so ein Angebot jenseits des Angebotsmainstreams zu machen, dann ist es in bester strategischer Position.
Gleichzeitig ist es damit aber auch in einer Position, in der das Hinterfragen gefährlich ist. Eine Superpower kann so identitätsgebend für ein Unternehmen werden, dass ein Dasein ohne sie tatsächlich nicht denkbar ist – Never change a winning team. Auch der Blick in die Umwelt wird dann müßig: Wer außer Konkurrenz verkaufen kann, braucht der Konkurrenz keine Beachtung zu schenken.
Und doch ändern sich Angebote, Nachfragen, Möglichkeiten mit der Zeit. Was mal eine unternehmerische Superpower war, wird allmählich zu einem brauchbaren Geschäftsmodell neben anderen. Und dann wird es gefährlich für die Organisation. Die Schwierigkeit: Anders als beim Fliegen oder Segeln ist die Gefahr verblassender Superpower weder eindringlich noch eindeutig; man muss sie nicht sehen, wenn man nicht will oder kann; sie ist Ansischtssache.
Genau dies führt uns zu wichtigen, scheinbar paradoxen Grundprinzip von Strategiearbeit, das mir besonders wichtig ist: Selbst in größter Krise kann eine Organisation nicht einfach handeln.
Gerade weil Krisen unmittelbaren Handlungsdruck auslösen, ist vor dem Handeln Verständigung notwendig, welches koordinierte Handeln wirksam sein könnte. Ohne Verständigung bleibt der Handlungsdruck nur ungerichtete Erkenntnis, oft nur von wenigen. Auch wenn sich dieser Prozess für diejenigen, die die Krise kommen sahen und wahrnehmen, quälend langsam anfühlt – es braucht einen Diskurs darüber, dass es eine Krise gibt und jetzt der Zeitpunkt ist, die eigene Position am Markt zu reflektieren: Was betrachten wir als unsere Superpower? Wirkt sie noch? Oder wirkt sie schon nicht mehr? Was genau erleben wir gerade?
Erst wenn hinreichend vielen klar ist, dass die Situation unklar ist; erst wenn Verständigung darüber erreicht wurde, dass das erfolgreiche Handeln der Vergangenheit nicht mehr als Muster für die Zukunft taugt – erst dann kann man gemeinsam über neue Handlungsmöglichkeiten nachdenken.
Dieses Nachdenken braucht dann wieder – kluge Gespräche!
Die aber sind das Thema der nächsten Kolumne.
… to be continued …