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Der ganz formale Wahnsinn

Aktionspläne: Die Suggestion von Handlungsorientierung

  • Stefan Kühl
  • Mittwoch, 7. Dezember 2022
aktionsplaene

„Wer macht was mit wem bis wann?“ – an diesen Festlegungen am Ende eines Workshops wird häufig der Erfolg eines Zusammentreffens bemessen. Change Manager, die am Ende eines Workshops nicht die Ergebnisse in Aktionslisten gegossen haben, handeln sich Kritik ein. Denn Tätigkeitslisten und Aktionspläne signalisieren allen Beteiligten, dass nicht nur „gequatscht“ wurde, sondern auch, dass man über eine systematische Ergebnissicherung den Transfer der Gruppengespräche ins Alltagsgeschäft sichergestellt hat.

Die regelmäßig zu hörende Klage lautet jedoch, dass Tätigkeitslisten oft nicht in die Praxis umgesetzt werden: Die Aufgaben werden zu generell formuliert, das spätere Abchecken der Listen werde vergessen und Aufgaben würden nur zu dem Zweck erledigt werden, um in der nächsten Workshoprunde signalisieren zu können, dass man etwas gemacht hat.

Probleme bei der Verfolgung von Tätigkeitslisten und Aktionsplänen werden häufig auf eine mangelnde Veränderungskultur in Organisationen, fehlenden Durchhaltewillen des Managements oder handwerkliche Ungeschicklichkeiten bei der Erstellung der Tätigkeitslisten zurückgeführt. Alles wird als Ursache für die Wirkungslosigkeit der To-Do-Listen herangezogen – bloß der Zweck dieser Listen wird nicht in Frage gestellt. Die Idee und das Konzept sei gut, lediglich die Praxis, die lasse zu wünschen übrig.

Für Change Manager ist diese Erklärung dankbar, können sie doch die fehlerhafte Praxis als Auftrag zu immer neuen Perfektionierungsversuchen dieser doch so wichtigen Tätigkeitslisten verstehen. Sicherlich ist solch ein ewiger Beschäftigungsauftrag für Beraterinnen, Personaler und Weiterbildner finanziell interessant. Aber es ist fraglich, ob die hinter den Tätigkeitslisten liegende Dimension wirklich erfasst wird.

Aktionspläne sind ein Resultat von Zufällen

Die Organisationswissenschaftler Michael Cohen, James March und Johan Olsen haben festgestellt, dass Handlungen in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern, Schulen und Universitäten selten das Ergebnis systematischer Überlegungen, Planungen und Vereinbarungen sind. Viel häufiger komme es vor, dass Aktionen Resultate zufälligen Zusammentreffens von Problemen, von im Raum schwirrenden Lösungen und von interessierten Akteuren seien. Die Anschaffung einer neuen Maschine resultiert nicht das einer langen, systematischen Investitionsvorbereitung, sondern ist das Ergebnis zufällig vorhandener Mittel, und die Schaffung eines neuen Postens ist keine Folge eines neu entstandenen Aufgabenprofils, sondern dient dazu, einen vorhandenen, altbewährten Mitarbeiter von zentralen Stellen des Unternehmens zu entfernen[1].

Der Clou dieses Denkens ist, dass es die Chaotik, Sperrigkeit und Komplexität von Entscheidungsprozessen in Organisationen so beschreibt, wie sie sind, ohne diese im Stil der meisten Managementratgeber allzu schnell mit einem stringenten, zielorientierten Idealmodell zu kontrastieren. Woher kommt jetzt aus dieser Perspektive die Begeisterung für Tätigkeitslisten?

Die Popularität dieser Tätigkeitslisten hängt mit der Handlungsorientierung von Managern zusammen. Schließlich gilt das „do it“ als Ausdruck eines guten Managementstils. Für Berater, Projektleiter und Veränderungsmanager ist die Erstellung von Aktionsplänen ein einfacher Mechanismus, um das organisatorische Glaubensbekenntnis der Handlungsorientierung zu pflegen.

Man braucht als Berater, Projektmanager oder Change Manager nicht darauf zu verzichten. Bloß – und das ist der zentrale Gedanke – man sollte nicht darüber enttäuscht sein, wenn viele Tätigkeitslisten im Unternehmen nicht in konkrete Handlungen umgesetzt werden. Es ist wie mit den Glaubensbekenntnissen in der Kirche, die sehr häufig auch folgenlos bleiben, aber natürlich trotz (oder auch in) ihrer Folgenlosigkeit wichtige Funktionen für das religiöse Leben erfüllen.

Aktionspläne erfüllen ganz andere Funktionen, als die offiziell propagierten. Erst indem man signalisiert, dass man sich über konkrete Handlungen unterhält, findet in Diskussionen Verständigung statt. Solange nicht die Drohung im Raum steht, dass das, was diskutiert wird, auch Konsequenzen haben könnte, sehen Mitarbeiter nicht die Notwendigkeit, sich wirklich ernsthaft miteinander auseinanderzusetzen. Nur durch die mit Aktionsplänen symbolisierte Drohung „Es könnte auch ernst werden“ werden Diskussionen nicht zu reinen Scheingefechten. Zentral ist nur, dass in der Regel diese Verständigungen das Ergebnis der Diskussionen sind und nicht die Aktionspläne, die häufig ihre wohlverdiente Ruhe in den Schubladen der Organisationen genießen. Aktionspläne haben häufig ihre Schuldigkeit bereits getan, bevor sie überhaupt in Aktionen umgesetzt werden.

[1] Michael D. Cohen, James G. March, Johan P. Olsen: Ein Papierkorb Modell für organisatorisches Wahlverhalten. In: James G. March (Hrsg.): Entscheidung und Organisation: Kritische und konstruktive Beiträge. Wiesbaden 1990, S. 329–372.

Stefan Kühl

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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