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Kolumnenbeitrag

Personalentwicklung – Über die schwierige Koordination von Selbst- und Fremderwartungen

  • Stefan Kühl
  • Freitag, 2. Dezember 2022
personalentwicklung

In der Managementliteratur wird in der Regel davon ausgegangen, dass Veränderungen in Organisationen nur durch eine geschickte Kombination von Personal- und Organisationsentwicklung möglich sind. Das Motto: Ein modernes Management braucht beides – sowohl gezielte Eingriffe in das Regelwerk der Organisation, den hierarchischen Aufbau sowie die Karrierestrukturen als auch die Weiterentwicklung des vorhandenen Personals.

Solche „Sammler-Positionen“ haben immer die Spontanplausibilität auf ihrer Seite: „Wir machen alles, was zu einer modernen Personalarbeit gehört“ klingt erstmal gut, weil diese Aussage suggeriert, dass alles gleichzeitig optimiert werden kann. Arbeit am Menschen und Arbeit an den Organisationsstrukturen; Experten- und Prozessberatung; Friede und Freiheit – oder wie es in den 1970er Jahren ironisierend hieß: Friede, Freude und Eierkuchen. Diese Positionen klingen gut, weil sie suggerieren, dass alles gleichzeitig optimiert werden kann: Wir optimieren den Menschen und die Organisationsstruktur. Wir sind Experten in einer Sachfrage und gestalten gleichzeitig die Prozesse. Wir bekommen Frieden, Freiheit, Freude und Eierkuchen.

Der Bezug auf Werte beruhigt

In der Abstraktion kann man sich mit dieser Sowohl-als-auch-Position immer im Recht wähnen: Sie machen sich als Statement in Gottesdiensten, auf Wahlplakaten oder in den Leitbildern von Unternehmen und Verwaltungen ganz hervorragend. Wer mag sich auch dem Anspruch an Ganzheitlichkeit entziehen? Aber wenn es konkret wird, ist es häufig eine Entscheidung zwischen dem einen und dem anderen. Und in dieser Situation hilft einem dann die Flucht in die Wertformulierungen wenig weiter.

Natürlich muss man sich gerade aus einer soziologischen Perspektive für solche abstrakten Wertformulierungen interessieren – schließlich haben diese doch wichtige Beruhigungsfunktionen in Unternehmen, Verwaltungen, Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen oder Parteien. Aber dies ist lediglich der eine Beobachtungsfokus. Gerade in Bezug auf Organisationen traut sich die Organisationsforschung auch Aussagen zu, die eine Auskunft darüber geben, was einflussreich und was weniger einflussreich ist – und sie hält die Personalentwicklung für einen schwachen Hebel, um die Strukturen von Organisationen zu verändern.

Strukturen sind die Software der Organisation

Im Alltag von Organisationspraktikern wird in der Regel so getan, als ob die Programme, die Technologien und die Dienstwege die Hardware der Organisation darstellen. Gleichzeitig wird alles, was „den Menschen“ betrifft, als Software begriffen. Für diese weichen Aspekte, die so genannten Softfaktoren, seien dann die Personalspezialisten aus der Psychologie, Pädagogik oder humanorientierten Betriebswirtschaftslehre zuständig.

Organisationswissenschaftlich informiert würde man das Argument umdrehen: Die Strukturen der Organisationen sind – um die Sprache der Informations- und Kommunikationstechnologie zu verwenden – die Software. Sie sind bei und trotz allen Verhärtungen durch einfache Entscheidungen „umzuprogrammieren“. Die Personen sind dagegen Hardware, weil sie sich diesen einfachen Programmierprozessen entziehen. Organisationsprogramme oder Kommunikationswege lassen sich par ordre du mufti umstellen – erwachsene Personen lassen sich dagegen nur sehr ungern verändern.

Man kann kaum etwas alleine verändern

Das Problem ist unter Trainern und Beratern wohl bekannt. Die Mitarbeiterin kommt hoch motiviert von einem Wochenendseminar zurück und will einiges anders machen. Dann stößt sie aber auf Vorgesetzte, Kollegen und Untergebene, die mit ihren alten Fremderwartungen an sie herantreten, und innerhalb von wenigen Tagen ist der Effekt des Seminars verpufft. Die Mitarbeiterin hat aber das Problem, dass sie sich selbst nach dem Seminar vielleicht als eine andere Person sieht, ihre Umgebung aber, einschließlich ihres Lebenspartners oder ihrer Lebenspartnerin, dessen ungeachtet von ihr Kontinuität im Rahmen ihrer üblichen Verhaltensweisen einfordert.

Die Veränderung wird, um es systemtheoretisch auszudrücken, durch das „zirkuläre Zusammenspiel von Selbst- und Fremderwartung“ blockiert. „Selbst wenn der einzelne bereit wäre, sich zu ändern“, so die Begründung Niklas Luhmanns, „sieht er sich durch die sozialen Erwartungen festgelegt, mit denen er sich tagtäglich konfrontiert findet; und ebenso treffen veränderte Anforderungen immer noch auf dieselbe Person, die für viele soziale Kontakte ihre Identität wahren muss. Personales und soziales Gedächtnis verfilzen so stark, dass eine planmäßige Änderung kaum jene Asymmetrie herausfinden kann, die sie bräuchte, um ihren Hebel anzusetzen“. [1]

Die schnelle Lösung, die von der Praxis angeboten wird, ist eine gleichzeitige Veränderung von Selbst- und Fremderwartung: Die Managerin soll ihr Selbstbild ändern und gleichzeitig sollen auch die Vorgesetzten, Kollegen und Untergebenen ihr Bild von ihr so anpassen, dass zukünftig eine andere Verhaltensweise unterstützt werden kann. Das Problem – und darauf will Luhmann aufmerksam machen – ist, dass ein solches Vorhaben eine unrealistische Steuerungsfantasie von Trainern oder Beratern ist. Veränderungen der Selbst- und Fremderwartungen so takten zu wollen, dass am Ende ein anderes Verhalten herauskommt, bedeutet die Komplexität von sozialen Erwartungshaltungen völlig zu unterschätzen.

[1] N. Luhmann: Organisation und Entscheidung (wie Anm. 147), S. 280. Die hier dargestellte Kritik der Personalentwicklung basiert auf den grundlegenden Überlegungen Niklas Luhmanns.

Stefan Kühl

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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