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Der ganz formale Wahnsinn

Vorreiter – Vom Nutzen und Schaden, als Vorbild für eine Managementmode zu dienen

  • Stefan Kühl
  • Montag, 2. Januar 2023
vorreiter

Jede Managementmode hat ihre Vorreiterorganisationen. Die Verkündigung eines Erfolgsprinzips im Rahmen einer Managementmode allein reicht nicht aus. Es braucht die empirisch erprobte Versicherung, dass die propagierten Leitsätze auch tatsächlich funktionieren. Für die Etablierung eines Managementkonzeptes ist es deswegen zentral, dass sie durch Organisationen illustriert wird, die durch besagte Maßnahmen erfolgreich geworden sind. Es muss so erscheinen, als ob „reale Manager“ mit dieser Mode „reale Probleme“ in „realen Organisationen“ gelöst haben.[1]

Häufig wird die Geschichte des Erfolges in einer Vorreiterorganisation stark personalisiert.[2] Die Rede ist beispielsweise von der Entdeckung des Lean Management beim Autohersteller Toyota durch den späteren Vorstandschef Eiji Toyoda und sein „Produktionsgenie“ Taiichi Ohno.[3] Ein anderes Exempel bildet die Vision Percy Barneviks über eine konsequent dezentralisierte Organisationsform, die der Vorstandsvorsitzende des Automatisierungs- und Energieunternehmens ABB entwickelt hat und in Folge dessen als der „beharrlichste Feind der Bürokratie“ gefeiert wird.[4] Oder es wird die Geschichte von Tony Hsieh, vom Gründer der Schuhvertriebsfirma Zappos erzählt, der sein Unternehmen, auf sich selbstorganisierende Teams umgestellt hat.[5] 

Bei den Erzählungen über die Vorreiterorganisationen werden die Kausalbeziehungen zwischen dem eingeführten Managementprinzip und dem Erfolg einer Organisation stark vereinfacht.[6] Obwohl diese Konzepte sich häufig erst in ihrer Niederschrift als Leitbild ausgebildet haben, wird im Nachhinein so getan, als ob sich das Managementprinzip auf eine Entscheidung der hierarchischen Spitze zurückführen ließe. Zwischen den propagierten Strategien und dem Erfolg des Unternehmens wird eine unmittelbare Verbindung hergestellt, und es wird ausgeblendet, dass auch ganz andere Faktoren zum Erfolg der in Frage kommenden Organisation beigetragen haben könnten.

Die Geschichten der erfolgreichen Vorreiterorganisationen verbreiten sich dann über einfache „Copy and Paste“-Prozesse. Ein Betrieb wird in einem Managementbestseller als ein Beispiel für ein propagiertes Managementprinzip gepriesen. Die Darstellung basiert in der Regel auf einem zumindest oberflächlichen Einblick des Autors in die Organisation. Dann setzt jedoch ein Prozess der ungeprüften Übernahme des Beispiels ein. Berater, die auf eine Modewelle aufspringen, präsentieren die in dem Erfolgsbuch behandelte Organisation als Vorbild, ohne dass sie diese selbst aus eigener Anschauung kennen. Manager, die versuchen, die nunmehr populäre Mode in ihrer eigenen Organisation einzusetzen, stellen die im Bestseller behandelte Organisation als Vorbild dar, obwohl sie bestenfalls die Schauseite durch eine eintägige Organisationsbesichtigung kennengelernt haben.

In dem Prozess der permanenten Wiederholung einer Geschichte durch immer mehr Erzähler verfestigt sich das Bild einer ganz bestimmten Organisation (oder mehrerer) als Trendsetter für ein Managementprinzip. Schließlich kann eine derart häufig erzählte Story, so der sich verbreitende Eindruck, gar nicht falsch sein. Der Effekt ist, dass diese Vorreiterorganisationen über Jahre – manchmal auch über Jahrzehnte – durch die Managementdiskussion geistern, obwohl sie häufig kaum noch etwas mit den Unternehmen zu tun haben, die ursprünglich einmal in einem der vielen Managementbestseller hochgepriesen worden sind.

Für die Organisationen, die in der Managementliteratur als Vorreiter einer gerade aktuellen Managementmode dargestellt werden, ist diese Aufmerksamkeit ein zweischneidiges Schwert. Kurzfristig profitieren sie durch das Lob, da sie durch den massenmedialen Diskurs fast schon zwangsläufig nach oben gespült werden. Kunden kaufen ein Produkt nicht mehr nur angesichts dessen Qualität, sondern auch bzw. vor allem wegen des modernen Images des Unternehmens. Das Anwerben neuer Mitarbeiter fällt leichter, weil die Belobigungen der Wirtschaftspresse eine kostenlose Unterstützung bei der Personalrekrutierung ist. Die Berater des Unternehmens können sich als erfolgreiche Umsetzer einer hochgehandelten Managementkonzeption feiern lassen.

Aber die Kehrseite der Medaille liegt in dem Umstand, dass der Organisation ebenso beim Abschwung der Mode eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Die Wirtschaftspresse bringt Berichte über – zumeist reale, aber manchmal auch nur vermeintliche – Probleme dieser ehemaligen Vorreiterorganisationen. Schwierigkeiten werden nicht auf veränderte Marktbedingungen oder unglückliche Zufälle, sondern kausal auf die inzwischen stark an Popularität verlierende Managementmode zurückgeführt. Ein wenig fühlt man sich an das Schicksal von bekannten Sportlern oder Sängern erinnert, die erst von den Massenmedien hochgeschrieben und danach in ihrem Scheitern vorgeführt werden.

[1] Timothy Clark, David Greatbatch: Management Fashion as Image-Spectacle. In: Management Communication Quarterly 17 (2016), 3, S. 396–424, hier S. 413.

[2] Siehe zu den Beispielen Alfred Kieser: Rhetoric and Myth in Management Fashion. In: Organization 4 (1997), S. 49–74, hier S. 58.

[3] Jeffrey K. Liker: The Toyota Way. 14 Management Principles from the World’s Greatest Manufacturer. New York 2004.

[4] Percy Barnevik: Percy Barnevik on Leadership. 200 Lessons from 50 Years‘ Experience. Stockholm 2014.

[5] Tony Hsieh: Delivering Happiness. A Path to Profits, Passion, and Purpose. New York, Boston 2010.

[6] James G. March: Zwei Seiten der Erfahrung. Wie Organisationen intelligenter werden können. Heidelberg 2016, 54ff.

Autor

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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