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Der ganz formale Wahnsinn

Workflow - Versteckte Taylorisierungsfantasien im Rahmen der Digitalisierung

  • Stefan Kühl
  • Mittwoch, 7. Dezember 2022
workflow

Angesichts der erdrückenden internen Komplexität in vielen Organisationen geistert ein Wort durch die Büros: Workflow-Management. Unter Workflow-Management wird dabei der über die Informations- und Kommunikationstechnologien abgewickelte Arbeitsablauf in Unternehmen verstanden. Das Management definiert dafür die Beziehungen zwischen den einzelnen Arbeitsbereichen in einem Unternehmen und lässt die übergreifenden Arbeitsabläufe anschließend über speziell entwickelte Softwareprogramme regulieren.

Die Idee, genau abgrenzbare Module zu definieren, um diese dann über Schnittstellen zu verbinden, wurde zuerst bei der Entwicklung von komplexen Softwareprogrammen ausprobiert. Auffällig ist jedoch, dass sich im Zuge der über die Organisationen schwappenden Digitalisierungswelle diese Arbeitsweise nach Vorstellungen vieler Manager nicht nur auf die Softwareentwicklung beschränken soll, sondern auch zur typischen internen Organisationslogik generalisiert wird.

Schon lange vor der Digitalisierungseuphorie hat der Informatiker und Unternehmensberater Tom DeMarco in seinen Studien über Softwareprojekte darauf aufmerksam gemacht, dass Projektmanager vieler IT-Firmen dazu tendieren, ihre Mitarbeiter wie Module zu betrachten: Die Modularisierungslogik, die ihnen als Softwareentwickler den Erfolg gebracht hat, wird nun übergeneralisiert und nicht nur auf Programmcodes, sondern auch auf Mitarbeiter angewandt.[1]

Hier zeigt sich im Softwarenentwicklungsbereich eine Tendenz, die sich bei allen hoch entwickelten Professionen beobachten lässt. Das Handlungswissen der Professionen wird nicht nur als Lösung für den unmittelbaren Wertschöpfungsprozess betrachtet, sondern auch als Lösung für wesentlich komplexere gesellschaftliche oder organisatorische Prozesse. Ein Arzt behandelt nicht nur seine Patienten mit medizinischem Wissen, sondern geht auch an politische Probleme mit dieser Logik heran. Ein Jurist prozessiert nicht nur die an seine Rechtsabteilung herangetragenen Probleme nach allen Regeln der Rechtskunst, sondern sieht etwa die „Vertraglichung“ und die „juristische Klärung von Problemen“ auch als Lösung für umfassendere Probleme der Organisation. Ein Theologe bietet seine religiösen Serviceleistungen nicht nur seinen Kunden an, sondern möchte am liebsten auch die kirchliche Organisation, in der er arbeitet, nach Prinzipien der Nächstenliebe gestalten.

Je stärker sich eine Professionalisierung der Informatiker durchsetzt, je wichtiger sich also ihre Rollen in Organisationen auswirken, und umso mehr ihre Tätigkeiten zum unmittelbaren Wertschöpfungsprozess der Organisation wreden, desto stärker setzt sich scheinbar auch ihre professionelle Logik in den Fantasien durch, wie eine Organisation aufgebaut ist bzw. auszusehen hat. Welche Auswirkung haben Konzepte wie das Workflow-Management jetzt auf die Funktionsweise von Firmen?

Die Technisierung von Organisationsabläufen hat für Unternehmen erst einmal einen Entlastungseffekt. Man braucht sich über die durch Technik strukturierten Prozesse erst einmal keine Gedanken zu machen. Die Einführung der Schreibmaschine macht die vorher existierenden Regeln über die Größe und Form von Buchstaben überflüssig. Die Einführung von Grafikcomputern machte es unnötig, dass Studierende der Ingenieurswissenschaften, wie in der Vergangenheit noch üblich, die genormten Schriften zu lernen hatten, um die am Reißbrett entworfenen Maschinen zu beschriften. Die ehemals durch die Normen genau definierten Rundungen und Abstände der Buchstaben sind jetzt in die Computerprogramme eingeschrieben. Abrechnungs-, Produktionsplanungs- sowie Kundenmanagementsysteme ermöglichen, dass viele vorher in bürokratische Prozeduren gefasste Anweisungen aufgegeben werden konnten, weil die Inhalte jetzt über Softwareprogramme vermittelt werden.

Durch Technisierung werden die Programme der Form „wenn x eintritt, dann mache y“, die lange Zeit über detaillierte Anweisungen und hierarchische Kontrolle sichergestellt wurden, perfektioniert. In einem durchtechnisierten Prozess gibt es nur die Möglichkeit der Annahme oder Ablehnung. Der niedrigbezahlte Mitarbeiter in einem Callcenter einer Bank kann auf den Computermasken nur eingeben, ob ein vorher ausgearbeitetes Programm ausgelöst wurde oder nicht. Bei allem persönlichen Anschein, der durch die Sprache des Callcenter Mitarbeiters erweckt wird: Sonderwünsche sind nicht möglich. Weswegen gibt es in vielen Firmen – und besonders in der Softwareindustrie – die Tendenz zu der Technisierung von Organisationsabläufen?

In den durch Softwareprogrammen vorgegebenen Handlungsanweisungen wird der Charakter der Hierarchie nicht sofort offensichtlich. Deswegen bietet sich die technische Vorstrukturierung von Handlungssituationen gerade in solchen Gegebenheiten an, in denen die Hierarchie als Steuerungsform nicht mehr als legitim erscheint. Die Informationen kommen in der Wahrnehmung der Mitarbeiter aus dem Computer, aus dem Drucker oder von der Informationstafel. Sie werden nicht mehr als eine Anweisungskommunikation, sondern als „Sachzwänge“ verstanden. Man schimpft auf die Maschinen, vielleicht noch auf die „IT-Spezialisten“ oder „EDV‑Heinis“, aber nicht mehr auf die Chefs.

Paradoxerweise nähern sich einige Softwarefirmen dadurch einer Organisationslogik an, die von den Vordenkern neuer Formen des Wirtschaftens immer als teuflisch beschrieben worden sind: dem Taylorismus. Die Erzeugung von Stabilität durch Technik ist in ihrer tieferen Logik nicht allzu weit von dem Gedanken einer „Maschinenbürokratie“ entfernt, in dem Angestellte lediglich als begrenzt rationale Wesen betrachtet werden, die man von außen durch Technik steuern, kontrollieren und  motivieren kann.

[1] Tom Demarco: Slack. Getting Past Burnout, Busywork, and the Myth of Total Efficiency. New York 2001.

Stefan Kühl

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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