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Der ganz formale Wahnsinn

Workshop - Weswegen die Phasen vor und nach Treffen häufig wichtiger sind als die Treffen selbst

  • Stefan Kühl
  • Mittwoch, 7. Dezember 2022
workshop

In fast jeder Organisation findet sich die Klage über zu viele Meetings. In Universitäten beschweren sich alle über die grassierende „Meetingitis“, die die Mitarbeiter vom Forschen und Lehren abhält. In Verwaltungen wird beklagt, dass es schwierig ist, für ein Vorhaben auch nur 300,- Euro zu erhalten, gleichzeitig aber keine Hemmungen bestehen, 15 Führungskräfte für ein Treffen zusammenzurufen.[1]   

Diese Klagen stehen in einem auffälligen Kontrast zu den Hoffnungen, die in Organisationen mit Meetings verbunden werden. Derartige Workshops würden es schließlich ermöglichen, Personen mit verschiedenen Auffassungen zusammenzubringen. Die Ergebnisse einer Diskussion in Workshops seien, so das Versprechen, häufig deutlich besser als die von Vorgesetzten diktierten Vorgehensweisen. Die Betroffenen würden dazu mobilisiert werden, einen gemeinsam festgelegten Kurs auszuarbeiten und diesen auch tatsächlich zu befolgen.[2]

Der Grund für die Diskrepanz zwischen den Hoffnungen in Bezug auf Workshops und den Klagen über die grassierende Meetingitis besteht darin, dass derartige Workshops mit Erwartungen überladen werden. Es wird in vielen Organisationen davon ausgegangen, dass es ausreicht, einen externen Moderator für einen Workshop zu engagieren, und sich dann schon eine spannende Debatte entspinnt. Die regelmäßig generierten Aktionspläne suggerieren dann, dass man sich in der freien Diskussion auf eine Vorgehensweise geeignet hat.

Es wird in vielen Organisationen davon ausgegangen, dass die relevanten Themen in einem Workshop alleine schon angesichts der Anwesenheit der betroffenen Personen auf den Tisch kommen, die externen Moderatoren die klärenden Erörterungen auch ohne detaillierte Kenntnisse des Kontextes führen können und die in den Treffen erstellten Aktionspläne unmittelbar danach handlungsrelevant werden[3].

Die Erfahrung ist aber vielmehr, dass relevante Themen in Workshops gerade nicht besprochen werden. Stattdessen werden Pseudoanliegen generiert, um die Tabus der Organisation nicht zu berühren. Die Treffen werden dafür genutzt, um auf rituelle Weise die immer gleichen Klagen vorzubringen, wohl wissend, dass kein Interesse besteht, selbige abzustellen. Es werden Entscheidungen getroffen, von denen alle wissen, dass sie keine Folgen haben werden.

Übersehen wird, dass die eigentlichen Diskussionen und Entscheidungen nicht in den Workshops, sondern in den Sondierungsgesprächen vor, zwischen und nach den Seminaren stattfinden. Erst in den Einzelgesprächen ist es möglich, Tabus anzusprechen, Empfindlichkeiten aufzufangen und Entscheidungsmöglichkeiten zu testen. Aber auch wenn die Verständigung nicht in den Workshops stattfindet, kann man nicht komplett auf sie verzichten, weil sie als Anlass und Bezugspunkt für Sondierungsgespräche notwendig sind. Nichtsdestotrotz muss akzeptieren werden, dass die Workshops häufig nur noch dazu dienen, die schon vorher ausgemendelten Vorgehensweisen ein allerletztes Mal zu prüfen.

[1] Siehe zur Einberufung von Meetings als Sabotage-Strategie in Organisationen auch hier schon US Office of Strategic Services: Simple Sabotage Field Manual (wie Anm. 248), S. 29.

[2] Siehe zu diesen Hoffnungen schon früh Niklas Luhmann: Strukturauflösung durch Interaktion. Ein analytischer Bezugsrahmen. In: Soziale Systeme 17 (2011), S. 3–30.

[3] Für Ausnahmen siehe A. Kieserling: Kommunikation unter Anwesenden (wie Anm. 294), 371f.

Stefan Kühl

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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