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Organisation und Raum

Wieso der Blick auf Schulhöfe die beste Inspiration zur Bürogestaltung ist

  • Wiebke Gronemeyer
  • Eva Zepp
  • Mittwoch, 30. März 2022
Wieso der Blick auf Schulhöfe die beste Inspiration für Gestaltung ist
© Arkadiusz Szwed

Spätestens seit räumliche Begegnungen keine Selbst­verständlichkeit mehr sind, wird ihnen umso mehr Wertschätzung entgegengebracht. Die Organisation ist nicht nur Arbeitsraum, sondern auch Begegnungs- und Lernraum der Menschen, die in ihr arbeiten. Dement­sprechend groß ist der Wunsch, Raumnutzung genau zu planen und jedem Zweck einen Ort zuzuweisen. Am Beispiel von Schulen sehen wir aber: Weniger Planung ist oft mehr.

Wenn Sie sich vorstellen, sie befinden sich auf dem Gelände ihrer ehemaligen Schule: Was nehmen sie wahr? Vielleicht denken Sie an den Geruch der Flure, das alleinige oder kollektive Warten darin; an Treppenhäuser, die zu Sitzgelegenheiten oder Spielgeräten umfunktioniert wurden. Vielleicht denken Sie auch an versteckte Orte auf dem Pausenhof oder geheime Lager in Gebüschen, die es immer wieder von Neuem zu erobern und deren Heimlichkeit es zu schützen galt.

Wenn man Menschen nach ihren Schulräumen fragt, dann schildern sie meistens nicht den formalen Aufbau des Gebäudes, sondern beschreiben „ihre“ Schulräume in einer bemerkenswerten atmosphärischen Dichte. Man wird geführt an Orte des Gemeinsamen, beispielsweise Tischtennisplatten, an Orte des Entkommens, z.B. Bushaltestellen und Raucher:innenhöfe, oder zu Grenzorten, etwa an den Bäckereiwagen außerhalb des Schulgeländes, man wird geführt zu Orten der Sanktion, üblicherweise der Flur oder das Sekretariat.

In Schulen wird die Kluft zwischen geplantem und erlebtem Raumnutzen deutlich

Das, was man in Schulräumen erfährt, unterscheidet sich oftmals stark davon, wie diese Räume konzeptionell angelegt sind. Bebauungspläne und -beschlüsse, Hausregeln, Sitzordnungen, Zeitregimes etc. bilden in den seltensten Fällen die Eigendynamiken ab, die in den Anekdoten überleben. Das kann man als schlechte Raumplanung deklarieren, oder aber man versteht, dass Räume von drei Seiten zu betrachten sind: von den formal angelegten Strukturen, der informal gelebten Praxis und der medialen Inszenierung. In den Bildergalerien auf der Schulhomepage oder Broschüren der Schulleitung werden idealtypische Nutzer:innen entworfen, die sich einer geplanten Nutzung fügen. Mit der Darstellung gegenkultureller Praktiken wie der bekritzelten Klotür ist hier kaum zu rechnen. 

Womit man aber rechnen muss ist, dass sich räumliche Ordnungen verselbstständigen – unabhängig davon, wie sie geplant, genutzt oder dargestellt werden. Die drei Perspektiven, unter denen man Räume betrachten kann, stehen dabei notwendigerweise nur lose miteinander in Verbindung. Empirisch ließe sich etwa folgendes Beispiel beobachten: Ein exzentrisch designtes Sitz- und Liegemöbel im Flur soll den Schulkorridor als Durchgangsraum auflösen, zum Verweilen einladen und den Klassenraum auf spielerische Weise erweitern. Auf Bildern der Homepage wird dieses Möbelstück als innovative Disruption für neue Formen des Lernens in Szene gesetzt. In der alltäglichen Nutzung markiert das Möbelstück hingegen einen Sanktionsraum, wenn Schüler:innen bspw. zwecks „Fehlverhaltens“ aus der Klasse ausgeschlossen und hierhin geschickt werden. Diese informale Praxis zementiert die Grenze zum Klassenraum einmal mehr, die das Möbel eigentlich versuchte, aufzulösen.

Von Schulräumen zu Arbeitsräumen

In unserer Beratungspraxis beobachten wir: Was für die Organisation von Schulräumen gilt, das gilt auch für die Organisation von Arbeitsräumen. An Zuschreibungen, was die Arbeitsräume der Zukunft leisten sollen, mangelt es jedenfalls nicht: Man möchte „das Zusammenspiel von Mensch, Raum und Technologie unterstützen“ oder „Mitarbeiter:innen zu Wohlbefinden, Leistungsvermögen und Motivation verhelfen“.

Geht es dann an die Realisierung, ist das Spielfeld weit gesteckt: Man möchte einen gleichberechtigten Zugang zu Räumen, Werkzeugen und Techniken schaffen; kreative Prozesse gemeinsamen Arbeitens ermöglichen; Fokusräume für persönliche Denkzeit bereitstellen; Flächen gestalten zum Experimentieren – kurzum: Arbeitsräume so flexibel anlegen, dass sie jeglichen Bedürfnissen gerecht werden können.

An der Nutzung vorbei geplant

Oftmals wird schon vorab versucht, jegliches informale Verhalten in die Nutzung einzuplanen. Dabei wird die konzeptionelle Anlage von Informalität in Räume in den Mittelpunkt gestellt – beispielsweise durch den Kickertisch, der zwischen Küchenzeile und Mittagstisch seinen Platz findet.

In den drei Seiten gesprochen wird hier versucht, Informalität planerisch anzulegen, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Kickertisch ist nicht nur das nette Angebot, sich nach dem Essen mal ein bisschen zu entspannen, sondern die konkrete Ansage, dass Entspanntheit, Spaß und kollegiale Konkurrenz hier angeordnet werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass sich die formal angelegten Räume in der Realität verselbstständigen, verändern, oder trickreich ausgehebelt werden. Der Kickertisch stört also nicht nur bei der Frage, wie man in der Pausenzone informal zusammenfinden kann, sondern verhindert dies wahrscheinlich sogar.

Die Anforderungen der Arbeitsteilung an die Raumaufteilung

Was aus dem Blick gerät sind die Erwartungen, die seitens der Mitarbeiter:innen an die Arbeitsräume gestellt werden. Sie ergeben sich aus der Art und Weise, wie die Arbeit in der Organisation geteilt wird und welche einzelnen und gemeinsamen Leistungen es braucht, um sie wieder zusammenzuführen.

Mit Blick auf die drei Seiten von Räumen sollte man sich bei der Planung der Räume folgende Fragen stellen: Hat man Aufgaben, die man in enger Abstimmung erledigen muss? Finden diese Abstimmungen spontan oder nur zu bestimmten Zeiten statt? Betreffen diese Abstimmungen viele oder wenige? Wie sichtbar soll welche Arbeit sein? Wie gut lässt sich die Arbeit planen? Und wenn sie geplant wird, wie oft wird vom Plan abgewichen? Was tut man, wenn man keinen Raum für die gedachte Arbeit findet?

Zwischen „Entplanung“ und Planung der Planung

Gute Planung beginnt deswegen mit einem Eingeständnis der Planer:innen, dass Räume eine performative Überlegenheit gegenüber ihrer formalen Planung haben. Im Detail heißt das: Man kann die Nutzung von Räumen kaum einplanen, die tatsächlich Verwendung ist der Planung immer ein Stück voraus. Planende können jedoch zwei Dinge tun:

  1. Das Eigenleben von Räumen vordenken. Hier hilft ein Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse, um herauszufinden, welche Nutzungen sich herausbilden können. Dazu sollten klug moderierte Diskurse über die typischen Phänomene der täglichen Raumnutzung geführt werden – und zwar in dem Wissen, dass man formal vorgesehene Arbeit mit Raumplanungen erleichtern, aber informalen Austausch selbst mit Kickern und Billardtischen nicht anordnen kann. Planer:innen sind also aufgerufen, Räume – ganz im Sinne von Terrains Vagues – ein Stück weit sich selbst zu überlassen.
  2. Auf die Souveränität der Nutzer:innen vertrauen. Es ist stets damit zu rechnen, dass sich für formale Setzungen (von Möbelstücken, von Sitzordnungen etc.) informale Workarounds ausbilden. Diese sind nicht als Regelbrüche zu ahnden, denn erfahrungsgemäß sind diese für die Organisation höchst funktional. Eine Telefonbox wird nie ein Konferenzraum und das Großraumbüro nur selten Platz für Heimlichkeiten bieten. Doch bei allen Räumen lohnt es sich, mit einzuplanen, dass Nutzer:innen selbst am besten wissen, wie sie den Raum mit Leben füllen.

Schulen haben den Luxus von ehrlichem Feedback – Unternehmen nicht

Wie erfolgreich man mit Entplanung und der Öffnung für andere Nutzungsmöglichkeiten gewesen ist, kann man in Arbeitsorganisationen oft leider weniger deutlich als in Schulen erkennen. Auch sind die Phänomene andere – etwa ist die Notwendigkeit, dass Kunst am Bau auch als Klettergerüst brauchbar ist, in einer Bank eher selten gegeben. Diese gnadenlose Ehrlichkeit, ob eine intendierte Raumnutzung angenommen, abgelehnt oder in ihr Gegenteil verkehrt wird, bekommt man in einem Umfeld, das zu einem Höchstmaß von Takt und Mikropolitik geprägt ist, leider (fast) nie.

Entsprechend ist es wichtig, auch die kleinen Zeichen ernst zu nehmen und nicht anzunehmen, dass ein Raum erfolgreich genutzt wird, nur weil sich keiner über seine Untauglichkeit beschwert.

Autorinnen

Dr. Wiebke Gronemeyer

freut sich besonders über Gelegenheiten wie diese, wenn Kunst- und Organisationsfragen so nah beieinander sind.

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Eva Zepp

sehnt sich in so manch schnieker Teeküche an den schäbigen Raucher:innenhof ihrer Schule zurück.

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