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Webcast: Der ganz formale Wahnsinn

Stefan Kühl über das Besondere am soziologischen Blick auf Organisationen

  • Andreas Hermwille
  • Dienstag, 7. März 2023

111 Einwürfe zum Management-Diskurs – die bekommt man in Stefan Kühls Buch „Der ganz formale Wahnsinn“. Im Live-Podcast hat Andreas Hermwille mit ihm über die Entstehung des Buches und die spezielle soziologische Perspektive gesprochen. Außerdem ging es darum, wie die spezielle Form der „kühlschen Provokation“ entsteht.

Live-Podcast: Der ganz formale Wahnsinn

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Es ging unter anderem um diese Fragen und Themen:

Was macht die systemtheoretische Perspektive besonders?

Die Systemtheorie ist eine „Großtheorie“, die von Interaktionen über Organisationen zu Familien und Gesellschaften alle sozialen Dynamiken beschreiben möchte. Sie wirkt dadurch mitunter irritierend, weil ihre Beschreibungen sich von alltäglichen, psychologischen oder betriebswirt­schaftlichen Perspektiven stark unterscheiden. Es werden nicht die psychischen oder biologischen Prozesse in den einzelnen Mitarbeitenden untersucht oder Pläne zur Prozessoptimierung vorgestellt. Stattdessen werden die sozialen Vorgänge in Organisationen erklärt.

Sind Personen in der Systemtheorie also egal?

Nein, im Gegenteil: Sie gelten in Organisationen sogar als „Entschei­dungsprämissen“. Ihr Verhalten formt die Struktur der Organisation. Aber Personen richten auch ihr Verhalten entlang der Erwartungen der Organisation aus. Häufig werden Probleme in Organisationen nur Personen zugeschrieben, doch bei genauer Beobachtung stellen sich die Kommunikationswege oder die Prozesse als problematisch heraus.

Wie bringt man die soziologische Perspektive und Beratung zusammen?

„Den Anspruch der Forschung und den Anspruch der Beratung zusammen zu bringen, ist oft eine Herausforderung“, sagt Stefan Kühl. Man müsse sich bremsen, die Erkenntnisse der Analyse zurückzustellen und sie auf ein Niveau und ein Tempo zu reduzieren, dass die Organisation auch verarbeiten kann. „Oft schreibe ich zwei Berichte über die Organisation. Eine Analyse für mich, eine für die Auftraggeber.“

Fragen nach bestimmten Mechanismen der Organisation

Neben allgemeinen Bezügen zu systemtheoretischer Forschung und Beratung ging es auch um einzelne Themen und Mechanismen, die Stefan Kühl in seinen Einwürfen zum Management bespricht.

Krisen stärken die jeweils betroffenen Abteilungen

Es mag kontraintuitiv klingen, aber: Dort, wo in einer Organisation die meisten Probleme aufschlagen, sitzt auch jeweils die meiste Macht. Wenn das Geld knapp ist, kann sich niemand dem Rotstift der Buchhaltung entziehen. Und wenn jetzt in vielen Organisationen das Personal knapp wird, gewinnt die Personal­abteilung an Bedeutung. Ihre Forderungen nach besserer Unternehmenskultur oder einer gewürdigten Work-Life-Balance finden mehr Gehör.

Innovationen sind Teamarbeit

Die Vorstellung, dass es einzelne Personen braucht, die die Regeln und Routinen brechen, um Innovationen zu ermöglichen, ist weit verbreitet. Sie entspricht aber nicht der Realität von Organisationen. In einer innovationsfeindlichen Organisation hat ein Einzelner keine Chance, eine Idee voranzubringen. Ein üblicher Versuch damit umzugehen ist, ein Innovationsteam von außen in die Organisation zu bringen – der Konflikt mit den bestehenden Strukturen muss dann aber trotzdem ausgetragen werden.

Transformationsskepsis ist ein Ergebnis von schlechten Erfahrungen

Dass Mitglieder einer Organisation sich Veränderungen entziehen oder die Umsetzung torpedieren, ist laut Stefan Kühl vor allem ein Phänomen in Großorganisationen. Hier kommen Transformationen etwa auch zum Einsatz, wenn Personal im Vorstand gewechselt wird. Dann dient das Transforma­tionsprojekt dem Setzen von Fußstapfen. Und oft sind sie die Folge großange­legter Beratungsprojekte. Wenn für große Summen die Struktur einer Organisation analysiert wurde, kann nicht das Ergebnis sein, dass diese Struktur von allen möglichen noch die beste ist.

Nachdem Mitarbeitende solche Transformationen erfahren, die die tatsächliche Arbeit meist nur irritieren, aber nicht verbessern, bleiben sie zu ihrem und zum Schutz des Erfolgs beim gewohnten Muster.

Autor

Andreas Hermwille

freut sich, wenn er soziologische Theorien über eine gute Geschichte erzählen kann.

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