Denken und Verhalten in Organisationen nach Generationen zu clustern ist ein beliebtes Mittel, um dem komplexen Gemenge aus Wünschen und Bedürfnissen der Mitglieder einer Organisation Ordnung zu geben. Diese Ordnung macht es dann möglich, bedürfnisorientiert die Organisation zu verbessern. Das ist eine gute Sache. Allerdings: Ist das Sortieren nach Generationen dafür überhaupt notwendig?
Abgrenzung und Identifikation hängen eng zusammen. Manchmal ist es schwer zu erkennen, was eine Gruppe besonders macht – bis man sich die anderen Gruppen anschaut. Gehört man zu Gruppe 1 ist wenigstens klar, wir sind ganz sicher nicht Gruppe 2. Und wir stehen dafür, dass wir die Dinge anders machen.
Auch das Teilen von generationsspezifischen Erfahrungen kann zur Identifikation und zur Abgrenzung herhalten. Diese Erfahrungen gehen weit darüber hinaus, noch zu verstehen, wie etwa Musikkassetten und Bleistifte zusammengehören, oder die Titel-Musik von Magnum nach einer Sekunde zu erkennen, aber noch nie etwas von „The Last of Us“ gehört zu haben.
Generationsspezifische Erfahrungen legen zum Beispiel für ganze Alterskohorten auch fest, wie sie über den Berufseinstieg nachdenken. Wer Anfang 2009 mit dem BWL-Studium fertig war und in die Finanzbranche wollte, beginnt sein Arbeitsleben mit ganz bestimmten Eindrücken. Vielleicht sind sie noch vergleichbar mit den Erfahrungen der jungen Menschen, die all ihren Mut zusammennehmen und eine Event-Agentur gründen – Stichtag, 1. Januar 2020. Zusammen mutig in eine neue Dekade starten – was soll schon schief gehen?
Man kann nach Generationen kategorisieren – aber zu welchem Zweck?
Dass ein ähnliches Alter aufgrund ähnlicher Erfahrungen ein Gefühl von Gemeinsamkeit geben kann, ist also nicht überraschend. Schwieriger wird es aber, wenn aus gemeinsamen Erfahrungen kausal auch gemeinsame Verhaltenspräferenzen abgeleitet werden sollen. So sind die Kohorten der heutigen Berufseinsteiger:innen dafür bekannt, dass sie auf eine gute Work-Life-Balance achten würden, während die Kohorten der „Baby-Boomer“ das Prinzip von Aufstieg durch Leistung wesentlich stärker verinnerlicht haben sollen.
Weil diese Zuschreibungen von Werten und Normen entlang des Alters so naheliegend sind, sind sie eine dankbare und scheinbar einfache Orientierung um Maßnahmen der Personalbindung und Retention „generationsspezifisch“ zu gestalten.
Prinzipiell ist natürlich alles, was Organisatonsgestaltung und eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden möglich macht, begrüßenswert. Aber die Hinweise mehren sich, dass diese Verallgemeinerungen an der Komplexität der Wirklichkeit vorbei gehen. (Eine wissenschaftliche Perspektive darauf wird etwa in diesem Paper über die aktuelle Studienlage gegeben, dass die Annahme von gleichen Werten aufgrund von gleicher Generation als „Generationalismus“ bezeichnet)
Eine Frage der Generation – oder der Lebensphase?
Eine Möglichkeit, mit dieser Erkenntnis umzugehen ist, die Kategorien von Generationen durch Kategorien von Lebensphasen zu ersetzen.
Etwa gilt für alle Arbeitnehmer:innen (bestimmter Ausbildungen), dass ihre Arbeitsmarktlage gut ist und sie Auswahl in der Frage haben, für welches Unternehmen sie arbeiten möchten. So trauen sich auch mehr Arbeitnehmer:innen, die eigenen Anforderungen gegen die Zumutungen einer Organisation durchzusetzen. Sie setzen z.B. stärker Grenzen, was Arbeitseinsatz über das vereinbarte Maß angeht, was Verantwortungsübernahme und Verfügbarkeit angeht oder die Frage, wann man noch „arbeitsfähig“ ist oder vielleicht doch eher zu Hause bleibt.
Doch können dabei alleinstehende, flexible, Menschen, „Arbeitsnomaden“, diese Situation besonders gut nutzen. Menschen in dieser Lebensphase gibt es in allen Altersklassen – doch besonders viele stehen am Anfang ihres Berufslebens. Noch hat man sich nicht mit dem Einfamilienhaus verschuldet, noch hat man das gute Gefühl, überall neu anfangen zu können. Also ist auch der Arbeitgeber austauschbar(er). Wer älter ist, hat meist mehr Faktoren als nur den eigenen Arbeitgeber in der Lebensplanung zu berücksichtigen und hat deswegen defacto weniger Optionen beim Wechsel.
Während den Alleinstehenden vielleicht eine Herausforderung, aber ganz sicher eine Kompensation geboten werden muss, wenn die Organisation ihre Flexibilität nutzen möchte, wird in anderen Lebensphasen die Kompensation weniger wichtig – und Planungssicherheit gewinnt an großer Bedeutung. Wer jüngst eine Familie gegründet hat, benötigt feste Arbeitszeiten, um die der Alltag organisiert werden kann. Wer als Mensch in der Lebensmitte ein älteres Familienmitglied pflegt, ebenso.
Und natürlich wünschen sich Menschen aller Lebensphasen ein Arbeitsumfeld mit möglichst wenig Zumutungen – oder mit angemessener Kompensation, wenn man sich den Zumutungen schon aussetzen muss.
Allgemeingültige Lösungen für individuelle Wünsche
Wann ein Umstand, eine Struktur oder eine Situation zur Zumutung wird, erlebt jeder Mensch für sich selbst und damit unterschiedlich. Das macht die Bearbeitung von Zumutungen zu einer umso größeren Herausforderung, gerade wenn sich Organisationsgestaltende nicht auf die Klischees der generationalen Zuschreibungen einlassen wollen. Sie müssen ihre Organisation samt den Zumutungen neu entdecken. Auch Bereiche, die aus Sicht der Organisation perfekt gelöst sind und nicht mehr angefasst werden müssen, können Quellen für Unmut, Ärger, und so letztlich für Kündigungen werden.
Es braucht Fingerspitzengefühl, und nicht „Generationalismus“ um zu erfahren, was Mitarbeitende an ihrer Organisation nervt. Denn nicht alle Probleme sind offen ansprechbar. Etwa Beschwerden über andere Personen sind sozial stark sanktioniert. Kein Teammitglied wird vor anderen seine Leitung oder KollegInnen kritisieren – es sei denn, die Zusammenarbeit ist bereits auf schlechstmöglichem Niveau. Und auch das kritisierte Verhalten kann Ursachen in nachteiligen Strukturen haben. Das alles gilt es rauszufinden.
Beim Eruieren der Zumutungen werden sich Muster ergeben. Eventuell ist das Arbeiten in einem Bereich der Organisation anstrengender, belastender als in anderen. Eventuell sieht man diesen Effekt auch an den Fluktuationsraten in diesem Bereich. Und eventuell ist die Organisation gerade für Mitglieder, die sich in bestimmten Lebensphasen befinden, eher eine Zumutung als für andere. Und natürlich kann man auch einmal die Generationsbrille aufsetzen und versuchen zu erkennen, ob dies ein Muster ergibt. So kann also auch die falsche Frage zu einer Lösung führen.
Entscheidend ist aber, dass die Bildung von Kategorien, die Suche nach individuellen Bedürfnissen, schließlich zu Strukturlösungen führt. die allen oder möglichst vielen Mitgliedern der Organisation helfen. Ob gestaltet wird aus Angst vor Kündigungen, aus gutem Willen, aus Freude daran, der Konkurrenz die guten Leute abzujagen, oder weil man schlicht leistungsfähige Teams aufbauen will: Die Motive sind ganz gleich, wenn sie am Ende zu besseren Organisationen führen.
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