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Neue Teamformen

Einzelgänger zusammenhalten

  • Ines Vogel
  • Carmen Lopera Kovermann
  • Mittwoch, 24. November 2021
Einzelgänger Zusammenhalten
© plainpicture/Freudenberger

Die Führungskraft koordiniert aus der Organisation heraus ihre Teammitglieder, die außerhalb sitzen. Herausforderungen in diesem Setting sind der gefühlte Kontrollverlust für Vorgesetzte, sowie der schwächer werdende Bezug der Mitglieder zur Organisation.

Man kennt es aus dem Außendienst

Organisationen mit einem großen Außendienst sind mit hybriden Arbeitsformen schon lange vertraut. Die Aufgabe von Führungskräften lautet dort: Teams leiten, die sich dezidiert dem Kunden widmen. Die Außendienstler von Pharma-Unternehmen fahren zu Ärzten, um Medikamente zu besprechen, sie besuchen Buchhändler:innen, um Neuerscheinungen zu präsentieren, sie treffen sich mit Reifenhändlern, um innovative Gummierungen vorzustellen.

Sie haben den zentralen Zugang zu den Kunden und organisieren in Absprache mit ihren Vorgesetzten und der Marketing-Abteilung Inhalt und Struktur der Besuche. Ihre Führungskraft sitzt in der Mutterorganisation, stimmt sich mit den anderen Führungskräften vor Ort cross-funktional ab, vertritt die Interessen des Außendiensts formal und informal. Den Kontakt zu ihren Teammitgliedern hält sie per Telefon one-on-one, ergänzt um Wochen-Calls mit dem gesamten verteilten Team. In manchen Fällen gehört die Führungskraft selbst auch zum Außendienst, etwa wenn Teams regional aufgestellt sind oder der/die Vorgesetzte ebenfalls Kunden besucht.

Dann kam die Pandemie

Viele klassische Büro-Teams katapultierte der Corona-Ausbruch in eine ähnliche Konstellation: Plötzlich hielt am Standort nur noch ein sehr kleines Team die Fahne hoch, während sich der größte Teil der Mitarbeitenden sich im Homeoffice vereinzelte. So wollte man die Ansteckungsgefahr für alle und für jeden Einzelnen niedrig halten – und gleichzeitig das Problem abmildern, vor dem alle Eltern kleiner Kinder standen: Die Schulen waren geschlossen, die Kinder monatelang zuhause.

Inzwischen denken nicht nur Kreativagenturen laut darüber nach, ob Hybrid-Konstellationen nicht zu einer Art Dauerzustand werden könnten. Was sich während Krisenzeiten bewährt hat, muss doch in der Normalität auch gut funktionieren. Und das Zusammenziehen vieler Einzelgänger zu Teams, ohne dass sie den Ort wechseln müssen, hat viele Vorteile: Man kann einstellen, ohne Rücksicht auf die eigenen Räumlichkeiten. Mitarbeitende sind leichter anzuwerben, weil sie nicht mehr in die Nähe der Organisation ziehen müssen. Und wer will, ist auch nicht an ein Arbeitszimmer gebunden, sondern kann auch auf dem Hausboot, am Pool und, ganz Klischee, aus dem Café arbeiten – Hauptsache, es gibt Internet.

Doch um einen solchen Dauerzustand in seiner gesamten Auswirkung beurteilen zu können, muss man den rosa Schleier des Post-Kriseneffekts beiseite ziehen. Wir wollen dieses Modell deshalb hier von vier Seiten her abklopfen.

Einzelgänger zusammenhalten: Diese Fragen helfen

Wie strukturiert man die Kommunikation?

Digitale Kommunikationsstrukturen können im Einzelgänger-Modell zu Monstern werden – wenn sie nicht bewusst angelegt und regelmäßig auf ihre Funktionalität hin überprüft werden. So landen Absprachen, die früher zwischen Tür und Angel getroffen wurden, als Termineintrag in überquellenden Kalendern. Zeit für konzentriertes Arbeiten geht verloren. Meetings drohen unproduktiv zu werden, wenn sie aus Zeitmangel nicht gut vorbereitet werden. Wichtig ist daher, den Diskursraum klug anzulegen: Führungskräfte müssen mit ihrem Team besprechen, wer in Regelmeetings was und mit wem bespricht; welche Themen ad hoc, welche in Datenströmen per Chat, welche in einer Holstruktur im Intranet kommunikativ bearbeitet werden sollen – und welche Punkte letztlich ohne Rücksprache entscheidbar sind.

Es lohnt sich aber, auch noch einen weiteren Schritt zurückzugehen und ganz grundsätzlich zu prüfen: Wer sollte mit wem zusammenarbeiten, damit nicht allzu viel Zeit in Absprachen fließt, aber dennoch genug Kommunikation und Wissensaustausch stattfinden?

Wie sorgt man für Zusammenhalt?

Das hohe Kohäsions-Level der Corona-Krisenzeit entstand aus der Not – aber beruht auch auf der Tatsache, dass die ins Homeoffice versetzten Kolleginnen und Kollegen Nähe und Vertrautheit aus einer langen Präsenzarbeitszeit mitbrachten. Diese „soziale Aufladung“ schaffte es, der plötzlichen Distanz eine ganze Weile standzuhalten. Aber diese Wirkung galt nicht für alle Mitarbeiter:innen gleich. Insbesondere neue Organisationsmitglieder oder Kolleg:innen mit einer isolierteren Aufgabenstellung erlebten die erzwungene Distanz als deutlich einschneidender und schmerzhafter.

Zudem wurden die informalen Netzwerke zwischen Teammitgliedern durch die räumliche Trennung noch exklusiver – oder sie verschwanden ganz. Die Interaktion zwischen Kolleg:innen bezog sich oft nur noch auf die Arbeitsinhalte, die soziale Beziehung hingegen ging verloren – und damit auch Nachsicht und Verbindlichkeit, was insbesondere in Konflikten spürbar wird. Daher sollten ein klug gewähltes Mentoring und Patenschaften von exzellent vernetzten Teammitgliedern für Neulinge ebenso zur Grundausstattung gehören wie Meetings (oder Meeting-Teile), die Smalltalk und privaten Austausch ermöglichen (und nicht nur die Sichtbarmachung von Leistung). Entscheidend ist ein wacher Blick der Führungskraft auf eine gute Integration in Informationsflüsse, auf Redezeiten und (Un-)Sichtbarkeit im Team. Und es hilft auch, diese Punkte in Feedbackgesprächen offen zur Sprache zu bringen.

Wie viel Formalisierung braucht die gemeinsame Arbeit?

Klar ist: Der digitalen Kommunikation vereinzelt arbeitender Teams fehlt der face-to-face-Kontakt, der auch Unausgesprochenes oder nur Beobachtetes berücksichtigt. Ohne diese wichtige Kommunikationsebene muss die Führungskraft in der Tendenz stärker formalisieren. Das betrifft insbesondere Absprachen, Eskalationsstufen, Informations- und Prozessfragen. Daneben hat sich in vielen Fällen gezeigt, dass sich größere Freiheitsgrade für das ‚Wie‘ auf Seiten der Mitarbeiter:innen und das Führen über Ziele auf Seiten der Vorgesetzten positiv auf Selbstwirksamkeit, Geschwindigkeit und auch die Qualität der Arbeit auswirken.

Wir beobachten oft eine detailliertere Abstimmung zu Beginn einer Aufgabe, die im Verlauf des Projekts Kommunikationsaufwand sparen soll. Ob das funktioniert, müssen Führungskräfte letztlich je nach Komplexität und Risiko der Aufgabenstellung, Erfahrung und Professionalität der Zuständigen abwägen.

Führen über Distanz bedeutet, dass man die Arbeit von Teammitgliedern nicht beobachten und auf diese Beobachtungen Bezug nehmen kann. Vieles bleibt verborgen für die Führungskräfte und im Unklaren.

Die besondere Lernerfahrung für Führungskräfte ist nun: Das funktioniert! Es ist nicht problematisch, nicht genau zu wissen, wie die Teammitglieder arbeiten – solange die Ergebnisse stimmen.

Für eine Gruppe von einzeln verorteten Teammitgliedern ist es also besonders naheliegend, über Ziele zu führen, anstatt den Prozess zu formalisieren. Mit einigen Kontrollpunkten zu den Zielen im Prozessverlauf lässt sich so auf die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden setzen. Dazu lohnt der Diskurs mit dem Team: Wie lassen sich die Vorgaben für sie in kluge Ziele und Zwischenziele herunterbrechen und was brauchen sie, um sie zu erreichen?

Wie stellt man Kontrolle und Übersicht her?

Die Krise hat gezeigt: Ihren remote Beschäftigten können Führungskräfte sehr weitreichend vertrauen. Sie haben am heimischen Schreibtisch nicht ihre Freizeit optimiert, sondern engagiert (oft sogar entgrenzt) gearbeitet. Auch ohne viel Anleitung und Kontrolle haben die Mitarbeiter:innen nach guten Lösungen gesucht und sie gefunden.

Uns geht es an dieser Stelle aber um das Vertrauen bzw. das Kontrollbedürfnis, das sich durch eine funktionale Arbeitsteilung ergibt. Die Marketing-Abteilung ersinnt Verkaufsmaterialien und Präsentationsslides, schult den Außendienst – aber sie muss darauf vertrauen, dass der Außendienstler im Gespräch mit der Kardiologin, der gemeinsam besprochenen Strategie auch folgt. Und das, obwohl alle Beteiligten wissen, dass die neue Gesprächsstrategie nicht allen Außendienstlern gleich gut liegt, sie unangenehme Themen gerne aussparen und lieber einen nächsten und übernächsten Termin in der Praxis bekommen wollen.

Was soziale Kontrolle in face-to-face-Settings leistet, versucht man in „Außendienst-Konstellationen“ durch eine starke Steuerung aufzufangen: Die bereit gestellten Materialien geben den Gesprächsfluss mit dem Kunden vor; es gibt eine Ergebniskontrolle durch den Wettbewerb der Vereinzelten untereinander (wie „Verkäufer des Monats“ oder interne Rankinglisten). KPIs und Sales Incentives sollen die Akteure on track halten.

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Wie viel Präsenz braucht man noch?

Nun kann man prüfen, welche dieser Instrumente für die eigene ‚Homeoffice-Flotte‘ hilfreich wären, ohne auf eine 1:1-Übertragung der Außendienst-Führung zu setzen. Aktuell setzt man oft sehr eindimensional auf Meetings, was aber die Produktivität eher abwürgt, als dass es sie fördert. Wichtig ist ein Mix aus der Anerkennung von Einzelleistungen mit einem großen Anteil teamfördernden Incentives. Zumal die Homeoffice-Flotte für den Erfolg meist viel stärker zusammen arbeiten muss, als der klassische Außendienst. Teamfördernd kann die Konstruktion der Ziele, Team-Boni oder auch das Bühnen-Bauen in die Organisation hinein sein.

Fazit: Auf die Interessenvertretung nach innen kommt es an

Remote Arbeitende können wesentlich schlechter für ihre Selbstdarstellung sorgen, als Akteure in Präsenz-Teams. Deshalb hat man als Führungskraft in der Organisation – mit dem Ohr am Flurfunk und wesentlich mehr Zugang zu den mikropolitischen Spielen – eine deutlich höhere Verantwortung zur Repräsentation seine Mitarbeiter im Orbit.

Gerade weil man seltener präsent ist, werden Außendienste gern grundsätzlich infrage gestellt und weniger gut an internen Entscheidungen beteiligt. Gute Leitung von Vereinzelten zeichnet sich deshalb durchaus durch starke Ellenbogen aus, mit denen die Relevanz der Truppe in die Organisation hinein verteidigt wird. Diese Erwartung wird explizit an sie gestellt und im Zweifel mit Loyalitäts- und Performanceentzug bestraft, wenn sie ungenügend erbracht wird. Wer meisterhaft Interessen verteidigt und Sichtbarkeit organisiert, sichert letztlich auch die Bindung der über Distanz Arbeitenden an die Organisation und dient damit beiden Seiten.

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Autorinnen

Ines Vogel

interessiert sich besonders für technische Innovationen und wie sie Zusammenarbeit in Organisationen beeinflussen.

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Carmen Lopera Kovermann

ist immer auf der Suche nach den Zutaten, die in Organisationen für gute Wissensvermittlung und Zusammenarbeit sorgen.

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