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Bürde des Entscheidens

Politiker-Nachtwächter-Gemeinsamkeiten

  • Günther Ortmann
  • Donnerstag, 16. Januar 2025

Der Übergang von der Fiktion des enactment zu der des Schauspiels ist gleitend. Daraus lassen sich gute Chancen für Karriereübergänge der Beteiligten ableiten. Das einschlägige Konzept stammt von Norman G. Anderson. 

„Körper- und Augenbewegungsstudien bestätigen meine Beobachtung, dass Dirigenten fähig sind, in genau festgelegten Augenblicken einzelne Musiker visuell zu fixieren und schwungvolle Gesten in ihre Richtung zu vollziehen. In einer älteren Studie hatte ich herausgefunden, dass erfolgreiche Quarterbacks im Football dasselbe tun, wenn sie in bestimmten Spielsituationen unter ihren vielen Mitspielern einen auswählen und ihm mit einer genauen Handbewegung die Richtung einer Vorlage andeuten.

Da die Altersverteilung von Quarterbacks und Dirigenten kaum Überschneidungen zeigt, ist es klar, dass erstere mit einigem Erfolg letzteres werden könnten. Dieses Konzept, das wir als Folge-Karrieren-Gemeinsamkeitsnutzung bezeichnen, wird jetzt auf die verschiedensten Gebiete angewendet, und die zuständige Unterabteilung soll in Kürze sogar Abteilungsstatus erhalten. Der größte Durchbruch, den diese Unterabteilung erzielte, war die Entdeckung der Politiker-Nachwächter-Gemeinsamkeiten wie zielloses Umherwandern, in die Dunkelheit Starren und Fehlen eines Bedürfnisses nach intelligenter Unterhaltung, welche nahe legen, dass jeder von beiden den anderen ersetzen könnte“. 

Die Nähe der beiden Arten von Fiktionen macht verständlich, warum für Schauspieler und Wrestler der Job des Politikers eine schöne Folge-Karriere bietet. Das wissen wir seit Ronald Reagan, Arnold Schwarzenegger und Jesse Ventura. Wrestler-Politiker-Gemeinsamkeiten wie Muskeln-Zeigen, Den-starken-Mann-Markieren, Scheingefechte-Führen und Hinfallen-und-gleich-wieder-Aufstehen sind erst seit Jesse Ventura, seinerzeit Gouverneur von Minnesota, einer breiteren Öffentlichkeit aufgefallen. Bekannter sind Schauspieler-Entscheider-Gemeinsamkeiten wie So-tun-als-ob, Simulation des Packen-wir’s-an und impression management.

Nicht nur jedoch können Schauspieler Politiker werden. Das Folge-Karrieren-Gemeinsamkeitsnutzungs-Konzept erlaubt vielmehr die Einsicht: Politiker können ins Schauspielfach wechseln. Und wieder einmal beginnt die Eule der Minerva ihren Flug in der Dämmerung. Guido Westerwelle ist in den Big-Brother-Container schon eingezogen, Gerhard Schröder in Der große Bellheim längst aufgetreten. Nachdem Madeleine Albright, 68, 2005 in der amerikanischen Fernsehserie „Gilmore Girls“ geglänzt hat, schien Angela Merkels Auftritt in der Telenovela „Verliebt in Berlin“ nur eine Frage der Zeit. 

In diesem Zusammenhang ist es nicht ohne Interesse, das schon Thomas Hobbes jede Person – persona – und so auch den Leviathan, jenes wilde Seeungeheuer aus dem alten Testament, das bei ihm den absoluten Souverän verkörpert, als Maske, Visier und Schauspieler bestimmt hat. Wenn man sich nun noch den Nachtwächter-Staat des Liberalismus hinzudenkt, also die Folge-Karriere des Leviathan als Nachtwächter, der sich jedweden regulierenden Eingriffs tunlichst enthält, dann schließt sich ein Kreis. Es ist ein Kreis der Folge-Karrieren-Gemeinsamkeitsnutzung. 

In den Fällen von Hustler-Verleger Larry Flint, Angelyne, dem schwerreichen Busenwunder, dem zwergenwüchsigen ehemaligen Kinderstar Gary Coleman aus der Vorabendserie „Diff’rent Strokes“ oder Darrell Issa, der in seiner Jugend zweimal als Autodieb verhaftet und später mit Autoalarmanlagen reich wurde – auch das eine schöne und folgerichtige Folge-Karriere –, sind die Möglichkeiten der Folge-Karriere-Gemeinsamkeitsnutzung in den von ihnen jeweils angestrebten öffentlichen Ämtern noch nicht im Einzelnen erforscht. Plausibilitätsvermutungen und erste explorative Studien sprechen aber für hohe Potentiale. 

Günther Ortmann

Prof. Günther Ortmann

war zuletzt Professor für Führung an der Universität Witten/Herdecke im Department für Management und Unternehmertum.

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