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Eindeutige Erklärungen für ein vieldeutiges Thema

Agile Methoden richtig einsetzen

  • Lukas Fütterer
  • Timothy Nas
  • Mittwoch, 1. Juni 2022
Agile Methoden richtig einsetzen
© Fauxels

Die beste Form der Zusammenarbeit findet in agilen Teams statt – davon sind viele Unternehmen überzeugt. Dabei wird das Konzept von Agilität mal genutzt um eine Haltung zu beschreiben, mal geht es um agile Methoden, die bei der Arbeit helfen. Es ist hilfreich zu wissen, wovon man spricht – auch um zu beurteilen, was man möchte.

Wo in Unternehmen neue Arbeitsweisen zum Einsatz kommen, nennt man sie im Zweifel agil. Mittlerweile gibt es viele agilitätsbezogene Buzzwords, deren Bedeutung oftmals nicht trennscharf definiert ist. Zwischen der Bedeutung flacher Hierarchien oder dezentraler Organisationen, Graswurzelbewegungen oder Scrum Teams, Holocracy Modelle oder Selbstorganisation kann man sich schnell einmal verlieren.

Antrieb für den Einsatz agiler Methoden ist nach allgemeiner Überzeugung die komplexer werdende Arbeitswelt. Dies ist vor allem auf den digitalen Wandel und die damit einhergehenden kürzeren Innovationszyklen von Produkten zurückzu­führen. Dadurch wandeln sich die Märkte rasant. Das wiederum führt zu kurz­fristigeren Änderungen von Kundenwünschen. Ein Begriff für den schnelleren Wandel ist „VUCA“ (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity). Wenn auch das Akronym weder neu ist noch hilfreiche Handlungsoptionen bietet.

Agile Methoden sollen bei der Bewältigung neuer Herausforderungen helfen.

Unternehmen, die agile Methoden einsetzen, erhoffen sich vor allem eine höhere Anpassungsfähigkeit an eine zunehmend komplexe Welt. Man möchte den Kunden schneller Ergebnisse präsentieren und auch kurzfristig auf Ände­rungen in den Produktanforderungen reagieren können.

Auf der Ebene der Mitarbeitenden erhoffen sich Unternehmen eine Förderung des agilen Mindsets. Dazu gehört insbesondere der wertschätzende Umgang miteinander auf Augenhöhe. Außerdem kann durch agile Arbeitsformen auf die sich ebenfalls ändernden Anforderungen der Mitarbeitenden (flexible Arbeits­modelle, sinnstiftende Arbeit, etc.) eingegangen werden. Stark vereinfacht könnte man also sagen: Agile Teams sollen besser, effizienter und glücklicher zusammenarbeiten.

Warum der Einsatz agiler Methoden beliebt ist

Kein Wunder also, dass agile Methoden in Zeiten des digitalen Wandels und Informationsüberflusses hochgelobt werden. Für Management und Unterneh­mensberater:innen gehört es zum guten Ton, Agilität zu fordern. Das liegt auch daran, dass sich rund um die Einführung agiler Prozessstrukturen ein äußerst lukratives Geschäftsfeld für Beratungen und Coaches aufgetan hat.

Agile Strukturen werden gelobt, weil sie einen Umgang mit Komplexität bieten. Sie sollen Kreativität und Gestaltungswillen fördern, Abläufe schneller und effizienter machen und den Umgang miteinander wertschätzender und auf Augenhöhe gestalten.

Was genau bedeutet eigentlich Agilität?

Dennoch treten oft Probleme bei der Einführung agiler Prozesse auf. Eine Herausforderung in der Umsetzung liegt in der Ausdeutung des Wortes Agilität. Organisationen verwenden den Begriff Agilität vielfältig. Die Aussagen reichen von „weg mit Hierarchie“ bis hin zu „wir arbeiten jetzt flexibel“. Die Tatsache, dass der Begriff Agilität zu einem grundsätzlichen Prinzip der Zusammenarbeit ausgeweitet wurde, macht ihn unspezifisch. Das wiederum sorgt für unter­schiedliche, sich teils widersprechende Definitionen. Eine bestimmte, agile Form der Zusammenarbeit kann nicht als neue Leitidee auf die gesamte Organisation übertragen werden. Was bleibt sind abstrakte Prinzipien wie Mut, Fokus, Leiden­schaft oder Selbstverantwortung.

Unabhängig von dem eigentlichen Konzept entsteht also durch Unklarheit des Begriffes ein Problem für Unternehmen und Mitarbeitende. Wenn nicht klar ist, worüber gesprochen wird, kann auch nicht klar sein, wie Agilität konkret umge­setzt werden soll.

Die drei Grundprinzipien agiler Methoden

Agilität findet sich im Rahmen der Informalität in jeder Organisation – und das schon seit langer Zeit. Als Paradebeispiel hierfür dienen Graswurzelbewegungen. Schon in den 1960er Jahren versuchte man, diesem Phänomen einen Namen zu geben. Dabei fielen Begriffe wie „Adhocratie“, „synthetische Organisation“ oder „horizontales System“. „Agilität“ ist seit 2001 als Begriff im Umlauf. Im „agilen Manifest“ sollten Leitlinien für die agile Software-Entwicklung festgelegt werden.

Auch hier gibt es keine genaue Definition. Doch im Wesentlichen geht es um die Fähig­keit, in einer Wettbewerbsumgebung, die charakterisiert ist durch stän­dige, unvorhersehbare, sich ändernde Kundenwünsche, gewinnbringend zu operieren. Die agilen Methoden, die dies ermöglichen, fußen in der Regel auf drei Gemein­samkeiten:

  1. Strikte Grenzen zwischen Silos werden aufgelöst.
  2. Hierarchische Strukturen werden reduziert.
  3. Projekte werden iterativ gedacht.

Auch wenn die Bedeutung eines geregelten Prozesses und die Prüfung von Zwischenergebnissen wichtiger wird, helfen agile Methoden vor allem für eine ergebnisorientierte Arbeitsweise. Das Ziel agiler Teams ist es, vorgegebene Ziele möglichst schnell zu erreichen.  Durch ein inkrementelles Vorgehen können kurzfristige Ergebnisse schnell geliefert, auf dem Markt getestet und anschlie­ßend Anpassungen vorgenommen werden. Auf Marktänderungen kann man somit rechtzeitig reagieren. Im klassischen, langfristig angelegten Wasserfall­projekt fehlt diese situative Flexibilität.

Ein wichtiges Werkzeug der agilen Methoden ist die strukturierte Interaktion.

Bei all den aufgezählten Vorteilen ist das Arbeiten in agilen Teams kein All­heilmittel. Sinnvoll ist der Einsatz nur dann, wenn es konkrete Herausforde­rungen gibt, von denen man sich verspricht, sie durch Agilität bewältigen zu können. In manchen Fällen ist ein Projektmanagement nach der klassischen Wasserfallmethode weiterhin empfehlenswert. Serienfertigungen gehören etwa dazu. Hier sind die Kundenanforderungen von Beginn an eindeutig und die Mitarbeitenden haben im Vorfeld bereits ein genaues Bild ihrer konkreten Aufgaben. Je höher die Anzahl der unbekannten Variablen, desto wahrschein­licher ist es, dass der Einsatz agiler Methoden im Umgang mit der jeweiligen Situation hilft.

Beim Einsatz agiler Methoden geht es insbesondere darum Interaktion zu ver­dichten, um strukturierter zu sprechen und idealerweise schneller zu Ergeb­nissen zu kommen. Die Anzahl der Interaktionen vermehrt sich und auch der Inhalt wird vergleichbar. Die Struktur der Gespräche wird zum Faktor. So werden beispiels­weise in jedem Regeltermin die gleichen Kennzahlen besprochen. Um diese Vergleichbarkeit zu erreichen, können strukturiert moderierte Dailys eingeführt, Weeklys oder Shopfloor Boards genutzt werden. Diese sind leicht umsetzbar, weil sich für die Teilnehmenden in der Durchführung nicht viel ändert und eine klare, leicht replizierbare Struktur vorliegt.

Je unsicherer das Projekt, umso mehr Kontaktflächen sind nötig.

Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Produktanforderungen noch nicht klar sind, wenn eine Änderung des Projektumfangs wahrscheinlich ist oder wenn sich die Marktsituation schnell ändert und darauf mindestens genau­so schnell reagiert werden muss. Kurzum: je höher die Anzahl der unbekannten Variablen, desto wahrscheinlicher ist es, dass agile Gestaltungselemente im Umgang mit der jeweiligen Situation helfen.

Was sollte man bei der Einführung agiler Methoden beachten?

Doch wie wechselt man erfolgreich auf agile Arbeitsweisen? Um sich für ein geeignetes Handwerkszeug zu entscheiden, bietet es sich an, agile Modelle in ihre Einzelteile zu zerlegen und sich die Gestaltungselemente, die für das jewei­lige Team, beziehungsweise das individuelle Vorhaben brauchbar sind, herauszu­ziehen. Dabei ist es wichtig, sich auf dem Weg dorthin die richtigen Fragen zu stellen. Man muss sich bewusst darüber werden, was sich konkret ändern soll, welches Bezugsproblem hinter dem Schmerz steckt.

Organisationsentwicklung

Agilität zerlegen!

Wer diese Frage beantwortet hat, kann überlegen, welche agile Methode auf das Problem passt. Gängig ist beispielsweise der Einsatz von (Elementen von) Scrum, Kanban oder Design Thinking. Eine Methode vollumfänglich und blind aus dem Lehrbuch zu übernehmen, funktioniert dabei nicht. Vielmehr kommt es darauf an, sich einzelne Elemente, die im individuellen Kontext brauchbar sind, auszusuchen. In der Praxis entstehen dabei meist hybride Projektmodelle, die Vorteile der unterschiedlichen Ansätze vereinen. Gleichzeitig sollte ein reines „Cherry-Picking“ und ein zu wilder Methoden-Mix vermieden werden.

Bei der Implementierung agiler Methoden sollte iterativ vorgegangen werden.

Es bietet sich an, die Einführung zunächst in einem kleinen Kreis vorzunehmen. Ein Team testet die neue Form der Zusammenarbeit aus und gleicht sie mit der Veränderung ab, die man sich ursprünglich erhofft hat. Sind die Ergebnisse positiv, können bei Bedarf ganze Abteilungen das Gestaltungsprinzip überneh­men. Das iterative Vorgehen ist besonders deshalb wichtig, weil jede Lösung eines Problems neue Probleme aufdeckt. Wer diesen Folgeproblemen im kleinen Rahmen begegnet, hat die Möglichkeit besser mit ihnen umzugehen.

Von Beginn an flaggt man die Umsetzung als kontingent aus. Dabei muss man mit Widerstand rechnen, da für die Mitarbeitenden Folgeprobleme entstehen kön­nen. Diesen Widerstand gegen die Umsetzung sollte man ernst nehmen. Nur so kann man nachvollziehen, was die jeweiligen Rationalen dahinter sind und wie sie mit einbezogen werden können.

Eine Gefahr: Der Abbau von Strukturen führt zu Orientierungslosigkeit.

Für agile Arbeit werden oft die Grenzen zwischen „Silos“ und Abteilungen abge­baut. Es werden interdisziplinäre Projektteams oder temporäre Kreise gebildet. Alle sollen mit allen zusammenarbeiten können. Die neu formierten, ergebnis­orientierten Einheiten bilden durch ihren Projektbezug jedoch wiederum eigene Identitäten, die nicht immer kompatibel mit dem Rest der Organisation sind. Statt einem Bewusstsein für das Gesamte gibt es nun in den interdisziplinären Teams ein Bewusstsein für ihre gemeinsame Schnittmenge.

Auch der Abbau hierarchischer Strukturen kann zu Folgeproblemen führen. Durch flache Hierarchien oder Selbstorganisation kann der Informationsverlust abgeschwächt werden. Das liegt daran, dass es weniger Stellen in der Organisa­tionsstruktur gibt, an denen der Informationsfluss gefiltert wird. Gleichzeitig verstärken sich aber Machtkämpfe, weil jedes Mal neu ausgehandelt werden muss, wer was wie wann entscheiden darf.

Agile Methoden brauchen Probleme, um richtig zu funktionieren.

Wer sich erhofft, mit agilen Teams die Komplexität der Zusammenarbeit zu reduzieren, stellt bald fest, dass sich die Komplexität schlicht in andere Bereiche und Handlungszusammenhänge verlagert. Zweckprogramme ersetzen Konditionalprogramme. Die Mitarbeitenden bekommen lediglich das Ziel einer Aufgabe vorgegeben, den Weg dorthin bestimmen sie jedoch selbst. Das führt zwar zu mehr Selbstbestimmung, erhöht aber im Gegenzug oftmals die Komplexität in der Zusammenarbeit, da es neuer Rollenklärungen bedarf, um handlungsfähig zu bleiben.

Man sollte sich also im Klaren sein, welche Gestaltungselemente man einsetzen möchte und welche Folgen die jeweilige Implementierung mit sich bringt. Agile Methoden helfen, wenn es konkrete Probleme gibt, die mit dem Einsatz gelöst werden können. Ansonsten ist das Arbeiten in agilen Teams nur schauseitige Malerei und kann schnell zu neu auftretenden Konflikten im Team führen.

Autoren
Lukas Fütterer

Lukas Fütterer

bringt mit organisationsklugen Suchscheinwerfern Licht ins Dunkel der digitalen Transformation.

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Timothy Nas

Timothy Nas

interessiert sich für die Einführung neuer Prozessstrukturen und deren Auswirkungen auf Organisationen.

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