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Interaktionsformate

Wir müssen mehr reden! Wozu Interaktionsformate doch gut sind

  • Jens Kapitzky
  • Montag, 28. März 2022
Wieso Interaktionsformate doch gut sind
© Arkadiusz Szwed

Klausurtreffen, Workshops, Barcamps oder OpenSpaces sind alles Interaktionsformate, denen nachgesagt wirkt, kurz zu motivieren – und als Strohfeuer schnell wieder an Effekt zu verlieren. Doch deswegen muss man nicht von solchen Formaten im Ganzen Abstand nehmen. Drei Gründe, warum es die Entscheidungsfindung verbessern kann, miteinander ins Gespräch zu kommen.

„Reden ist zwecklos, es kommt auf die Taten an“, prägt in vielen Organisationen die Perspektive auf Interaktionsformate. In der Regel ist das die Sichtweise erfahrener Mitglieder, denen schon viel erzählt und versprochen wurde, die sich früher in Workshops engagiert und ihr Wissen eingebracht haben – und dann merken mussten, dass das Versprechen auf Beteiligung im Prozess mehr metaphorisch gemeint – also gelogen war.

Welche Tücken Interaktionsformate haben und was aus organisationssoziologischer Sicht gegen sie spricht, hat Judith Muster bereits an anderer Stelle beleuchtet:

Interaktionsformate

Du – ich glaube, wir reden zu viel

Alle dort angesprochenen Probleme sind real – aber wir wollen an dieser Stelle auf die Stärken fokussieren, die in Interaktionsformaten liegen. Aus einer organisationssoziologischen Perspektive sind vor allem drei Gründe hervorhebenswert:

  1. Interaktionen ermöglichen Beteiligung – und können so die Identifikation mit den getroffenen Entscheidungen stärken.
  2. Interaktionen erzeugen Handlungsdruck – und forcieren so das Zustandekommen von Entscheidungen.
  3. Interaktionen vermehren Führungschancen – und ermöglichen so Entscheidungsimpulse von allen Hierarchieebenen.

Man kann alles drei haben und die Organisation über Interaktion erfolgreich voranbringen – wenn man die Limitationen und Folgen im Blick behält.

Wie man Interaktionen für bessere Beteiligung nutzen kann

Ob Strategietreffen, World Café oder Sitzung des Krisenstabs: Der Impuls, Entscheidungen und Ideen interaktiv herzustellen, folgt meistens dem Ideal, viele Menschen einzubinden und die Identifikation mit den zu treffenden Entscheidungen zu erhöhen. Gerade wenn man sich breite Unterstützung erhofft, wird lieber ein Treffen mehr gehalten oder die Veranstaltung nochmal vergrößert. Das Zusammenkommen in Meetings oder Gremien dient dann dazu, unterschiedlichen Perspektiven Gehör zu verschaffen, Aushandlungsprozesse zu strukturieren und Abstimmungen herbeizuführen, die nachhaltig tragen und im Anschluss auch bereitwillig umgesetzt werden. Gerade wer sich mehr Partizipation wünscht und eine Organisation nach demokratischen Idealen zu bauen versucht, kommt kaum darum herum, entsprechende Foren zu schaffen, die Interaktionen rund um die zu treffenden Entscheidungen ermöglichen und ihnen einen Rahmen geben.

Aus organisationssoziologischer Perspektive gibt es jedoch einige Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, um zu einer guten interaktiven Entscheidungsfindung zu gelangen. Wenn man nicht wie bei einem Parteitag vorher diskutierte und fertige Anträge nur abstimmen, sondern tatsächlich inhaltlich arbeiten will, sind dem Format einige Grenzen gesetzt. Interaktionen sind nur begrenzt dazu in der Lage, die in breit angelegten Organisationsprozessen entstehende Komplexität zu bearbeiten. Die Zahl der Themen wie auch die Anzahl der Beitragenden muss gegebenenfalls reduziert werden. Hier wird die Menge an Aufmerksamkeit, die die Teilnehmenden in einer Interaktion aufbringen können, zum limitierenden Faktor. Will man Interaktionen also gezielt dazu nutzen, um Partizipation bei der Entscheidungsfindung zu ermöglichen, muss die sachliche Komplexität und die Anzahl der Anwesenden auf die Interaktionssituation zugeschnitten sein.

Aber: Neue Interaktionsformate erzeugen neue Hinterbühnen

Dennoch gilt, dass Interaktionsformate auch für herausfordernde Themen geeignet sind – wenn Anwesende und Zeitpunkt schlau gewählt sind. Schon in klassisch-hierarchischen Organisationen lässt sich beobachten, wie vor der Vorstandsklausur die Positionen in bilateralen Nicht-Gesprächen abgesteckt werden. Und bei Verhandlungen über Mitbestimmungsfragen werden Entscheidungen vor der eigentlichen Sitzung ausdiskutiert. Selbst Entscheidungen, die formal qua Hierarchie erfolgen, werden häufig unter Einbezug Nicht-Zuständiger vorbereitet, etwa um das notwendige Fach- und Detailwissen abseits der üblichen Reportinglinien und Informationskanäle einzubeziehen.

In postbürokratischen Organisationsmodellen sind Interaktionsformate ein beliebtes Instrument der Entscheidungsfindung. Es werden neue Gremien und Foren etabliert, damit nicht nur noch einige wenige, sondern viele an einer Wahl beteiligt sind. Wer hier eine Frage oder ein Problem einbringen will, muss es allerdings auch so vorbereiten, dass es vom vorgesehenen Personenkreis entschieden werden kann. Die Kehrseite einer solchen Vermehrung von Interaktionszusammenhängen kann dann eine zunehmende Intransparenz über die faktischen Orte, Beteiligten und Wege der Entscheidung sein, die aus der Verbindung des Primats der Partizipation und den Limitierungen partizipativer Interaktionsformate resultieren.

Gespräche nutzen, um Handlungsdruck zu erzeugen

Ein guter Grund für die Nutzung von Interaktionsformaten zur Entscheidungsfindung ist, dass die Eigenlogik von persönlichen Gesprächen das tatsächliche Zustandekommen von Entscheidungen fördern kann. Konkret, so eine soziologische Einsicht, gelingt dies dadurch, dass im Verlaufe der Interaktion eine eigene Dynamik erzeugt wird, die den Spielraum für Entscheidungen zunehmend einengt. Wer an Interaktionsformaten teilnimmt, ist mit der Notwendigkeit konfrontiert, die eigene Selbstdarstellung konsistent zu halten. Wer gegen die Einführung eines neuen Kundenmanagementsystems nicht rechtzeitig opponiert, kann nicht am Ende der Verhandlungen noch schwerwiegende Bedenken äußern. Und wer einem Schritt auf dem Weg zugestimmt hat, kann danach schwerlich das Verfahren als Ganzes in Frage stellen. Gleichzeitig erzeugt allein schon die Tatsache, dass man sich gemeinsam mit bestimmten Absichten zusammengesetzt hat, einen Handlungsdruck, der nicht selten dann tatsächlich in konkreten Entscheidungen gipfelt.

Will man also Verhandlungen und Abstimmungsschleifen reduzieren und mehr Schwung in die Organisation bringen, bietet es sich an, befristete, aber intensive Interaktionsanlässe zu schaffen, in denen die Beteiligten gemeinsam an konkreten Entscheidungen arbeiten können. Dabei benötigen solche Formate nicht nur die entsprechend zugewiesenen tatsächlichen Entscheidungskompetenzen, sondern auch ein gewisses Maß an Vorbereitung. Um im eng abgesteckten Zeitrahmen der Gesprächssituation tatsächlich Entscheidungen treffen zu können, muss die inhaltliche Komplexität der Sachlage bereits auf vergleichbare Szenarien und inhaltlich relevante Punkte heruntergebrochen worden sein. Nur so kann die sachliche Komplexität bereits derart reduziert werden, dass die richtigen Personen in einem eng abgesteckten Zeitrahmen überhaupt in der Lage sind, gemeinsame Entscheidungen zu treffen.

Interaktionen geben Chancen für Führungsimpulse

Führung spielt in jeder Organisation eine wichtige Rolle. Aus soziologischer Perspektive handelt es sich bei Führung nicht um eine dauerhafte Aufgabe, sondern um eine situative Leistung, die in Interaktionen stattfindet – und in jeder Organisation. Auch in flachen Hierarchien braucht es Menschen, die für ihre Idee Werbung machen, Vorschläge anderer kritisieren oder Impulse geben, was als nächstes passieren kann.

Mehr Interaktionen heißt also, die Gelegenheiten zu mehren, in denen Mitarbeitende unabhängig ihres hierarchischen Status in Führung gehen können. Denn Führung findet aus soziologischer Perspektive nur dann statt, wenn in kritischen Momenten, in denen es an Orientierung fehlt, erfolgreich Einfluss genommen wird, indem für den eigenen Führungsimpuls Gefolgschaft gewonnen wird. Je weniger Orientierung also über Stützmechanismen wie Routinen oder Hierarchie bereitgestellt werden kann, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass kritische Momente entstehen, die Führungschancen eröffnen.

Aber: Interaktionen entwickeln häufig eine Eigendynamik, die seitens der Organisation nicht immer eingefangen werden kann. Wer Interaktionsformate als Mittel zur Entscheidungsfindung einsetzt, muss mit Überraschungen rechnen. Es können sich Führungsimpulse ergeben, die nicht mehr in die die gewünschte Richtung zeigen. Das macht es erforderlich, insbesondere die Auswahl von Themen und Teilnehmenden so zu treffen, dass gewünschte Formen und Zielrichtungen von Führung auch stattfinden können.

Wer Interaktionen will, wird auch Überraschungen bekommen

Fällt die Wahl auf Interaktionsformate, ist man somit gut beraten, ein gewisses Toleranzfenster für Spontanität und Überraschungsmomente mitzubringen. Aus der Eigenlogik von Interaktionsformaten als spontane und auch flüchtige Zusammenkünfte folgt, dass sich die geschaffenen Interaktionssituationen nicht vollständig durch Organisationen determinieren lassen. So fungiert die Organisation zwar als Rahmen für die Interaktion, indem etwa die Möglichkeit von oder die Pflicht zur Anwesenheit maßgeblich durch die Organisationszugehörigkeit determiniert wird. Ebenso sind Themen und Zeitfragen eingebettet in organisationale Erwartungen und daraus resultierende Begrenzungen.

Und doch behalten Interaktionen stets ihren eigenwilligen Charakter, weil sie ihrer eigenen Logik verhaftet bleiben. Zieht man diese aber gestalterisch ins Kalkül, will man vielleicht gerade diese Formen der Überraschungen, – dann lassen sich die Potenziale für Partizipation, Entscheidungsfähigkeit und Führung im Sinne der Organisation gut nutzen.

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen überarbeiteten Auszug aus „Postbürokratisches Organisieren – Funktionen und Folgen agiler Arbeitsweisen“ (Vahlen 2021).

Autor
Jens-Kapitzky

Jens Kapitzky

verhandelt gerne komplexe Fragen der Organisation, versteckt in der Erzählung eines spannenden Falldramas.

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