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Interview

Die Menschliche Spur

  • Wiebke Gronemeyer
  • Arkadiusz Szwed
  • Mittwoch, 16. Februar 2022
Die menschliche Spur
© Arkadiusz Szwed

Der polnische Keramikkünstler Arkadiusz Szwed macht Unsichtbares sichtbar. Genau genommen die Handgriffe, die Menschen im Produktionsprozess eines hochwertigen Tafelservices tätigen. Was der „menschliche Faktor“ in der industriellen Fertigung ist und warum die Arbeiter:innen sich mit dem Endprodukt so gar nicht identifizieren konnten – darüber hat die Metaplanerin und Ausstellungskuratorin Wiebke Gronemeyer mit dem Künstler gesprochen.

Wiebke Gronemeyer: Arkadiusz, du hast ein ganz besonderes Porzellanservice von Arbeiter:innen aus einer der ältesten Keramikfabrik Polens, in Ćmielów,  herstellen lassen. Die Arbeiter:innen trugen Handschuhe, deren Fingerspitzen in Kobaltsalze getaucht waren. Die Spuren ihrer Berührung auf den Tellern und Tassen blieben zunächst fast unsichtbar. Erst beim Brand im Ofen färbt sich das Kobalt dunkelblau. Wie bist du auf die Idee gekommen, die Berührungsspuren der Arbeiter:innenhände sichtbar zu machen?

Arkadiusz Szwed: 2013 habe ich die Fabrik zum ersten Mal besucht. Dann entstand zunächst die Idee, die Arbeiter:innen zu fotografieren, und so habe ich sie über Monate begleitet und den Prozess der Herstellung von Gußverfahren über den Brand bis hin zur Glasur und Dekoration dokumentiert.  

WG: Was fasziniert dich an der Arbeit der Fabrikant:innen?

AS: Beeindruckend finde ich, mit wieviel Perfektion und Präzision die Arbeiter:innen die geformten Objekte untersuchen. Der eine konzentriert sich nur auf die Henkel, die nächste auf den Rand eines Tellers. Jeder Handgriff sitzt, vollzieht sich fast unbewusst hundert Mal am Tag. Die Bewegungen wirken wie einstudierte Tänze, die die Körper im Schlaf beherrschen. Nichts davon spiegelt aber das fertige Produkt – die Tasse oder die Vase – wieder. Im Gegenteil: Selbst wenn man über die Produktion nachdenkt, kommen einem die Menschen nicht zuerst in den Sinn.

WG: Wie meinst du das?

AS: Man stelle sich eine Porzellanfabrik vor: In den Sinn kommen einem ein großes Gebäude, ein Fließband, der Rohstoff, die Maschinen. Man schaue sich eine Porzellantasse an – eine Massenware, ein Alltagsprodukt. Hebt sich das Produkt von der Masse ab, kennt man vielleicht den Hersteller, in ganz seltenen Fällen vielleicht noch den Designer, niemals aber die tatsächlichen Produzent:innen. Niemand spricht darüber, wie viele Menschen am Fließband arbeiten und wie oft sie das Objekt auf sehr sanfte Weise berühren.

WG: Nun, das ist nichts Ungewöhnliches in der industriellen Fertigung, oder?

AS: Nein, es steht aber in einem starken Kontrast zu dem Lifestyle-Produkt, das Keramik eben auch ist. Als Künstler betone ich mein Handwerk und hebe das Handwerk und die individuelle Fertigung zum Wert hervor. Der Herstellungsprozess ist – mal abgesehen von der maschinellen Unterstützung – aber gleich. Ich erzähle bloß die Geschichte der Herstellung mit.

WG: Und das wolltest Du für die Fabrikarbeiter:innen nun auch tun? Wie ist Dir das gelungen?

AS: Zusammen mit der Anthropologin Ewa Klekot habe ich überlegt, wie wir diesen Faktor Mensch in der Herstellung im Produkt am Ende sichtbar machen können. So entstand die Idee, den Arbeiter:innen Handschuhe anzuziehen, deren Fingerspitzen in Kobaltsalze getaucht sind. Sie berühren damit das Porzellan, doch während der Herstellung sind die Spuren fast nicht sichtbar auf den Objekten. Erst im Ofen kommt die kobaltblaue Färbung zu Tage – eben an den Stellen, an denen die Arbeiter:innen die Objekte angefasst haben.

WG: Wie hat die Fabrik auf diese Idee reagiert?

AS: Die Unternehmer:innen waren sehr glücklich darüber, dass jemand kommt und die Geschichte der Fabrikarbeiter:innen erzählen will. Bestimmt war ihnen aber der Umfang des Projektes zu dem Zeitpunkt nicht so bewusst. Dann habe ich mit der Technischen Direktion gesprochen, die auf zwei Dinge bedacht war: Erstens sollten wir nur Arbeitssituationen zeigen, also nicht die Raucherpause. Zweitens sollten wir den eigentlichen Ablauf nicht stören. Also bin ich mit einem kleinen Wagen voller Geschirr immer wieder zu verschiedenen Arbeitsstationen gefahren. In den eigentlichen Produktionspausen haben wir das Projekt dann umgesetzt. Als Basis habe ich die Rococo-Serie gewählt, die schon im 19. Jahrhundert entworfen wurde. Sie ist sehr klassisch und in vielen polnischen Haushalten vertreten.

Arkadiusz Szwed
© Arkadiusz Szwed

WG: Wie haben die Arbeiter:innen reagiert?

AS: Zu dem Zeitpunkt, als ich sie bat, mit den in Kobaltsalz getränkten Handschuhen zu arbeiten, hatte ich sie ja schon lange mit der Kamera begleitet. Ich war auch immer in der Position des Lernenden. Ich würde sagen, ich bin ein technisch versierter Keramikkünstler, d. h. ich kenne mich gut mit den Rohstoffen, Technologien und Materialien aus. Aber im Vergleich zu den Fabrikarbeiter:innen weiß ich gar nichts. Ich beobachte Menschen, wie sie seit 25 Jahren immer wieder an den gleichen Objekten arbeiten, mit unglaublicher Präzision. Sie suchen nach der Vollkommenheit der Objekte. Manchmal kann man die Fehler gar nicht sehen, aber hören. Sie werden sozusagen eins mit dem Material. Und das wollte ich sichtbar machen.

WG: Was haben sie den Arbeiter:innen ganz konkret gesagt?

AS: Ich habe sie gebeten – sagen wir mal eine Tasse – z. B. so anzufassen, wie sie es sonst auch tun würden. Für einen kurzen Moment sieht man dann einen rosa Schimmer der Kobaltlauge. Schon für den nächsten Prozessschritt, z. B. die Kontrolle vor dem Brennvorgang, ist der aber nicht mehr sichtbar. Die nächste Person trifft also nicht das Ziel der letzten Person. Mit dem Endprodukt waren die Arbeiter:innen aber ganz und gar nicht einverstanden.

WG: Warum nicht?

AS: Sie fanden die Tassen mit den blauen Spuren dreckig und konnten sich nicht vorstellen, was daran künstlerisch interessant sein sollte. Sie bevorzugen die schlichten weißen Tassen. Ich verstehe die Ablehnung, denn sie arbeiten mit wenigen Handgriffen in höchster Präzision und Perfektion an einem makellosen Produkt, und nun kommt da jemand und macht diese Fingerabdrücke sichtbar. Dann aber haben wir die Fotografien und das Porzellan in der Fabrik selbst ausgestellt und dort ist es auf ein wenig mehr Interesse gestoßen. Sie haben die Geschichte verstanden, ihre Geschichte.

Macht

Organisation ohne Moral?

WG: Das Projekt ist in den letzten 2 Jahren in vielen internationalen Ausstellungen gezeigt worden. Spiegelst du die viele positive Resonanz an die Fabrik:arbeiterinnen zurück? Stehst du noch im Kontakt mit ihnen?

AS: Ja, mit der Fabrik stehe ich noch in sehr gutem Kontakt. Interessanterweise hat Covid-19 dort zu einer Aufweichung der strengen Arbeitsteilung geführt. Vorher hat ein Gußtechniker zwar mit verschiedenen Objekten gearbeitet, aber immer an den Gußverfahren. Jetzt gab es ein Ungleichgewicht in den Abteilungen, das man ausgleichen musste. Und so haben Arbeiter:innen z. B. bei der Glasur oder der Dekoration ausgeholfen. Das hat bestimmt auch für einen Perspektivwechsel bei der ein oder anderen gesorgt.

Aktuell arbeite ich an einem zweiten Projekt. Dabei geht es mir nicht so sehr um den Prozess der Herstellung, sondern was mit den Produkten eigentlich passiert. In Polen sagen wir zu Porzellan auch „weisses Gold“. In der Form, wie es die Fabrik in Ćmielów produziert, ist es ein Luxusgut – man lässt es sich zu Hochzeiten schenken oder man bekommt es als Aussteuer. Aber junge Leute geben dafür kein Geld mehr aus. Das ist schade, denn es ist ein sehr hochwertiges und lokal produziertes Produkt. Zusammen mit einer Gruppe von Künstler:innen kaufen wir die sogenannte 2. und 3. Wahl auf und versehen die Produkte mit Slogans im Graffity-Style. Nur weil es eine kleine Luftblase gibt oder ein Henkel nicht wie vorgesehen sitzt, ist die Tasse ja nicht schlecht. Wir wollen damit darauf aufmerksam machen, dass viel gutes Porzellan im Müll landet, die angeblichen Fehler aber gar keine sind.

Hier geht es zur Website von Arkadiusz Szwed.

Dr. Wiebke Gronemeyer

freut sich besonders über Gelegenheiten wie diese, wenn Kunst- und Organisationsfragen so nah beieinander sind.

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Arkadiusz Szwed

Arkadiusz Szwed

ist Keramikkünstler und Leiter des Keramikstudios an der School of Form der University of Social Sciences and Humanities in Warschau.

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