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Innovation

Von der Disruption zum klugen Fortschritt

  • Zeljko Branovic
  • Bennet van Well
  • Donnerstag, 28. April 2022
Von der Disruption zum klugen Fortschritt
© Bruno Scramgnon

Gute Ideen sind vielleicht die Grundlage für Innovation. Für ihre erfolgreiche Umsetzung aber braucht es etwas ganz anderes. Wir zeigen, warum Organisationen immer wieder an ihnen scheitern – und wie es dennoch klappen kann.

Wer momentan viel in Unternehmen unterwegs ist, wird das Gefühl nicht los, dass jetzt alle Welt eine Startup-Kultur haben müsste. Überall wird disruptiert und innoviert, es werden ambitionierte Design-Thinking- und Digitalisierungsprojekte auf den Weg gebracht, und wer das Ganze nicht agil angeht, gehört sowieso schon zum alten Eisen. Im besten Fall sollte jeder Pförtner und jede Werksleiterin bereits vor der Frühstückspause ein paar radikal neue Geschäftsmodelle ersonnen haben.

So gut die Vorhaben erst klingen mögen – in vielen Fällen sind sie absehbar zum Scheitern verurteilt. Schlimmer noch: Der kategorische Imperativ des Alle-müssen-sich-jetzt-aber-schleunigst-neu-Erfindens ist geeignet, einzelne Akteure wie auch ganze Organisationen dauerhaft zu frustrieren.

Organisationen können Routinen, nicht Innovationen

Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Logik von Organisationen. Sie sind darauf ausgelegt, Entscheidungen zu stabilisieren, Routinen abzuarbeiten und etablierte Prozesse immer wieder neu auszurollen. Dynamik und Disruption widersprechen ihrem Erfolgsmodell. Umso größer ist die Sorge in etablierten Unternehmen, von einer als dynamisch wahrgenommenen Welt abgehängt zu werden. Die Folge: Vehemente Aufforderungen an die Belegschaft, sich jetzt aufzuraffen und permanent zu innovieren.

Die Mitarbeitenden aber sind mit solchen Anforderungen überfordert. Eine Werksleiterin beispielsweise wird vor allem daran gemessen, wie reibungslos ihre Arbeitsprozesse laufen, ob sie Wartungskosten im Griff und Produktionsroutinen unter Kontrolle hat. Ihr ein „Jetzt probiert doch einfach mal aus!“ zuzurufen ist etwa so, als verlangte man plötzlich von einem Spitzenkoch, spontan eine Fast-Food-Bude auf die Beine zu stellen, weil am Markt momentan gerade Burger gefragt sind. Akteure in Organisationen sind allerdings sehr geübt darin, solche unspezifischen Forderungen als Aktionismus zu erkennen und an sich abtropfen zu lassen. Denn sie wissen aus Erfahrung: Auf die eine Mode wird schnell die andere folgen.

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Innovation darf auch mal langweilig sein

Man mag sich gar nicht ausdenken, welche Summen manchmal in Innovationsprojekte investiert werden, die früher oder später den stillen Tod der Change-Projekte sterben. Auf dem Weg dorthin schwankt der Gemütszustand zwischen Panik („Wir müssen etwas tun!“) und Resignation („Es ändert sich ja doch nichts …“). Am Ende sind die Chancen ungenutzt, erkleckliche Projektetats verbrannt und die Mitarbeitenden frustriert.

Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen? Wir glauben, dass es heute mehr denn je auf Augenmaß ankommt: schauen, wo sich mit der Organisation, ihren Akteuren und deren Rationalitäten wirklich etwas bewegen lässt – und wo es auch tatsächlich für sie Sinn macht. Konkret könnte die Aufgabe einer Werksleiterin zum Beispiel lauten zu schauen, wie sich Wartungskosten und Stillstandszeiten durch digitales Maschinenmonitoring senken lassen. Das klingt vielleicht weniger disruptiv als schicke neue Geschäftsmodelle, hat aber den Vorteil, dass es sinnvoll, machbar und tatsächlich mehrwertschaffend ist. Das aber nur, wenn man bereit ist, das Budget für eine so langweilige und am Ende aufwändige Idee zur Verfügung zu stellen.

Outside-the-box denken? Ja, aber richtig

Für echte Outside-the-box-Ansätze braucht es andere Mittel und Wege. Man kann z. B. in der Organisation selbst Fab Labs und andere „Hobbykeller“ schaffen, in denen unabhängig von Hierarchien und Routinen im Rapid-Prototyping-Verfahren experimentiert werden kann. Eine andere – und vielfach genutzte – Option besteht im Aufbau assoziierter Start-ups. Als agile Beiboote können sie unabhängig vom Mutterschiff neue Lösungen ausprobieren, ohne sich durch die schwerfälligen Prozesse der Mutterorganisation lähmen zu lassen.

Gehen ein solcher Prototyp oder ein Beiboot erfolglos unter, ist der Kollateralschaden für die Mutterorganisation überschaubar. Die spannende Frage ist aber was geschieht, wenn sie erfolgreich sind: Große Tanker haben ja hohe Bordwände, über die sich Beiboote nur schwer zurück an Bord hieven lassen. Meist sind die etablierten Mannschaften an Bord auch ziemlich geübt darin, Neulinge abzuwehren, von denen man befürchten muss, dass sie nach Ressourcen hungern.

Innovationen brauchen organisatorische Maßarbeit

Wenn man neue Geschäftsmodelle, Produkte oder Lösungen in die Standardorganisation integrieren will, muss man also kluge Andockstellen schaffen. Und das bedeutet organisatorische Maßarbeit. Da geht es zum Beispiel um vermeintliche Kleinigkeiten, wie das Incentivierungsmodell für den Vertrieb: Lohnt es sich für die Sales-Mitarbeitenden, neben den etablierten Dauerbrennern auch die erklärungsbedürftigen Produktneuheiten anzubieten? Oder bleiben die Innovationen schlichtweg deshalb wie Blei in den Regalen liegen, weil sich ihre Vermarktung für Vertriebler nicht lohnt?

Lohnt es sich für die Sales-Mitarbeitenden, neben den etablierten Dauerbrennern auch die erklärungsbedürftigen Produktneuheiten anzubieten?

Viele eigentlich vielversprechende Ideen vertrocknen auf ähnliche Art in den langen Fluren der Organisation. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute: An Ideen selbst herrscht in keinem uns bekannten Unternehmen Mangel. Man muss ihnen aber den richtigen Raum, Ressourcen und Macht geben.

Macht macht Ideen erfolgreich

Tatsächlich müssen auch gute Ideen durchgesetzt werden. Wer Innovation will, darf daher die Macht nicht scheuen. Andernfalls stirbt die beste Idee in Schönheit. Ideen, die das Zeug zur marktverändernden Innovation haben, werden gemacht.

Was als gut präsentiert wird, muss auch so bewertet werden – im Vergleich zu dem, was schon da ist und von den richtigen Leuten. Konkret: Was einer findigen Entwicklerin als the next big thing erscheint, bedeutet für die Produktion ggf. eine gefährliche Störung ihrer auf Kostenoptimierung getrimmten Routinen, für den Vertrieb lästige Arbeit (mit unsicheren Umsätzen) und selbst für ihre Vorgesetzte ein Risiko. Ihr wird man es anlasten, wenn am Ende Budget versenkt wurde. Was also tun, um die Chancen einer Idee zu erhöhen?

Man muss Interessenlagen analysieren und Machtspiele spielen! Der Begriff „Machtspiele“ hat einen Beigeschmack. Tatsächlich aber gehört zu jeder guten Idee eine ebenso gute Strategie, mit der sie innerhalb und außerhalb des Unternehmens durchgesetzt wird.

  • Die etablierten Deutungen für sich nutzen. Man muss geschickt an vorhandene Innovationsrhetoriken anknüpfen. Die sind meist so vage, dass eine Idee, die „nachweislich“ die Forderungen des CEO nach mehr Innovation bedient, zumindest ernsthaft geprüft werden muss. Gelingt es zusätzlich, konkurrierende Ideen freundlich zu würdigen, aber elegant aus dem Rennen zu werfen, umso besser.
  • Kompetenz behaupten. Natürlich können Ideen noch keine Erfolge nachweisen. Das liegt in der Natur der Sache. Umso wichtiger ist die Kompetenzbehauptung der Innovatorin. Sie muss aus ihrer Ausbildung, noch besser aber aus ihrer Berufserfahrung (bei einem Start Up) ableiten können, dass sie weiß, was gut und richtig ist.
  • Verbündete suchen. Wer eine Idee hat, dem fehlt oft der Zugang zu Entscheidungsgremien. Dort werden Budgets bewilligt und Projekte genehmigt. Gerade neue und ungewöhnliche Ideen werden früh aussortiert. In jeder Organisation gibt es aber Funktionsträger:innen, die sich positionieren wollen. Die muss man finden und ihnen klar machen, wie man ihnen nutzen kann. Im Gegenzug muss man sie dazu bewegen, die eigene Idee in den richtigen Kreisen vorzutragen.
  • Ein trojanisches Pferd einsetzen. Gerade weil nur das Bekannte gefördert wird und was dem Etablierten ähnelt, können Innovator:innen ihre Ideen als Weiterentwicklung tarnen, um Budgets zu beschaffen. Ist das Projekt dann weit genug, dass es der Unternehmensöffentlichkeit präsentiert werden kann, wird im Erfolgsfall niemand zu genau hinschauen.
  • Im Mülleimer suchen. Mitunter fehlt für eine Idee ein Problem – oder umgekehrt. Das viel zitierte Garbage Can Modell von Cohen, March und Olsen (1972) hat das schon vor mehr als 50 Jahren klar gemacht. Warum nicht einmal in alten Entscheidungsvorlagen stöbern oder – noch vielversprechender – mit langjährig Beschäftigten diskutieren?
  • Den richtigen Moment erwischen. Wer eine Idee hat, muss sie auch zurückhalten können bis das Problem, das sie zu lösen verspricht, für die Mächtigen so drückend wird, dass sie den Strohhalm ergreifen wollen.

Wer diese Ratschläge beherzigt und die Scheu vor der Macht überwindet, stellt bald fest: Mächtig innovativ zu sein heißt vor allem, die eigenen Handlungen strategisch vorzuplanen und die etablierten Strukturen zu nutzen. Ob die Zeit für eine Idee reif ist, entscheidet sich letztlich daran, ob sie umgesetzt wird.

Autoren

Dr. Zeljko Branovic

interessiert sich besonders für die Wirkung neuer Technologien aufs organisationale Miteinander.

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Dr. Bennet van Well

interessiert sich besonders dafür, wie in Organisationen zwischen Geben und Nehmen verhandelt wird.

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