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Matthiesen meint

Wir müssen reden!

  • Kai Matthiesen
  • Freitag, 5. April 2024

Dies ist der dritte Teil einer mehrteiligen Serie über Strategiearbeit. In der Reihe bereits erschienen: Was stoppt das „Weiter so“?, Um taktlose Antwort wird gebeten

Ich gehe für diese Reihe von einer Organisation aus, die dringend etwas ändern muss. Im vorigen Teil ging es darum, wie man alternative Handlungsoptionen erkundet. Dieser Teil diskutiert, wie man zu wirksamen Entscheidungen kommt.

Wieviel Vorlauf braucht es für Entscheidungen in der Krise? In Sten Nadolnys Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ schafft es der Protagonist, gerade in Situationen höchster Dringlichkeit langsam zu denken und genau deshalb immer wieder richtig zu liegen. Auch in Organisationen wird unter Druck oft hektisch und viel schneller entschieden als notwendig und zweckdienlich. Dann werden Richtungswechsel beschlossen, bevor das Verständnis für ihre Notwendigkeit die Organisation durchdrungen hat. Oder es gibt zwar ein Krisenbewusstsein, aber der beschlossene Richtungswechsel endet als eine 360°-Drehung. Keine guten Voraussetzungen, um die Fortexistenz einer Organisation zu sichern.

Gegen alle inneren Impulse muss man sich Zeit nehmen, bevor man die Entscheidungsebene betritt. Genauer gesagt: Gute Strategiearbeit und gute Entscheidungen brauchen die Zeit für Diskurse. Zeit für den Austausch aus unterschiedlichen Perspektven!

In einer echten Krise, in der die hergebrachten Strukturen nicht (mehr) tragen, muss es Diskurse geben, um die nächsten Handlungen zu koordinieren.

Vermutlich widerspricht mein Vorschlag der Intuition und löst die Frage aus: Wie kann man Diskurse führen, wenn gleichzeitig die Hütte brennt? Je nachdem, wie sehr man mich falsch verstehen möchte, gehen die Assoziationen Richtung Stuhlkreis und ergebnisoffenem Plausch beim Teetrinken.

Mir ist die Wahl des Getränks jedoch egal und dass ich in Sachen Bestuhlungsform eine Präferenz habe, tut auch nichts zur Sache. Mir geht es um einen Punkt, der ganz klar sein sollte: Gute Diskurse sind keinesfalls ergebnisoffen! Sie sind vielmehr das einzige Mittel, gemeinsames Handeln zu koordinieren, wenn alle anderen Mittel ihre Tauglichkeit verloren haben. Und sie enden immer mit dem Diskursabbruch durch Handeln, wie alle Diskurse in der realen Welt, nur ist es hier schmerzhafter.

Normalerweise kann man sich in Organisationen auf die formalen Strukturen verlassen. Sie sind dafür gemacht, Handlungen zu koordinieren und Entscheidungen vom strategischen ins operative Level zu überführen. Solange die Situation nicht zu komplex ist, kann man Handlungen anweisen; diese Anweisungen sind für Handelnde dann meist einsichtig genug, um ihnen zu folgen.

Aber Strukturen haben einen großen Haken: Sie bewältigen nur das Plan- und Bewältigbare. Wo der Horizont des Erwarteten verlassen wird, bisher als unmöglich geltende Umstände eintreten und das sichere Geschäftsmodell plötzlich unsicher ist – dort ist die Grenze des Bewältigbaren überschritten. Wenn die Lage also komplex ist (und ich habe noch keine Krisensituation gesehen, die das nicht war), dann braucht es eine Verständigung über die zu ergreifenden Handlungen. Insbesondere dann, wenn diese Handlungen außerhalb des bisherigen Handlungskorridors liegen. Ohne Verständigung kein Commitment, keine zielführende Handlungskoordiation, keine wirksame Handlung.

Für diese Art Krisenfall gibt es keine konkreten Regeln und keine Routinen, auf man zurückgreifen kann. Es gibt nur Handlungsdruck. Und ja, da fühlt sich ein Diskurs unter der schlichten Überschrift „Wie geht es weiter?“ möglicherweise unzulänglich an. Aber er ist das einzige Mittel, das zur Verfügung steht.

Beteiligung gegen Geschwindigkeit abwägen

Die Frage, wer an diesem Diskurs beteiligt werden soll, ist eine Abwägung, die von der Form der Krise und den Verhältnissen in der Organisation bestimmt wird.

Solange die Krise zwar behauptet, aber nicht wirklich als dringlich erlebt wird, herrscht weitgehend Diskurs-Routine. Man will die Fachkompetenten dabeihaben. Die Unbequemen, die die Lücke im Plan sehen und benennen, sollten dabei sein. Und die höchste und zweithöchste Hierarchiestufe, damit alle beteiligt sind, die die Handlungen in Gang bringen werden. Schließlich darf man das Einbeziehen der Opposition nicht vergessen, denn die Gegner der neuen Strategie sollen nicht behaupten können, ihre Einwände seien nicht gehört worden.

Je sichtbarer aber die wirkliche Krise wird und je stärker der Handlungsdruck in der Organisation erlebt wird, umso kleiner darf der Kreis der am Diskurs Beteiligten sein. Das ist einer der wenigen Vorzüge von Diskursen in krisenhaften Situationen: Sie legitimieren das Abkürzen von Prozessen und bieten die Chance, den Anspruch an möglichst breite Beteiligung auf eine dann umsetzbare Größe zu reduzieren.

Das Reduzieren kennt aber eine harte Grenze: Alleingänge. Es gibt annähernd keine Situation, in der es besser ist, niemanden am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Selbstgespräche und nächtliches Hadern über einer Pro- und Contra-Liste helfen höchstens dabei, das Selbstverständnis einer heroischen Führungskraft zu erhalten. In der Praxis weisen einsame Entscheidungen regelmäßig so große Lücken und Denkfehler auf, dass der Geschwindigkeitsvorteil rasch verbraucht ist. Was durch schnelles Ins-Handeln-kommen gewonnen wird, geht anschließend durch notwendiges Korrigieren und Zurückrudern doppelt verloren.

An ihren Taten werden wir sie erkennen

So klar auch ist, dass nur Diskurs bleibt, um unter Druck Handlungen zu koordinieren, so haftet dem hier beschriebenen Vorgehen doch ein nicht zu umgehender Schwachpunkt an: Man will Verständigung sicherstellen – und diese bleibt stets heikel, weil sich gelingende Verständigung immer erst im folgenden Handeln erweist.

Egal, wie viele Schleifen man am Strategiebord dreht; egal, wie oft man nachfragt und sich versichert, dass alle in die gleiche Richtung schauen und dabei das Gleiche sehen – was wirklich verstanden worden ist, was wirklich in den Köpfen der Akteure vorgeht, bleibt immer unbekannt. Talk und Action können schmerzhaft auseinanderfallen.

Erst, wenn man die Akteure wirklich handeln; erst wenn sie die gemeinsamen Entscheidungen in die Organisation tragen, wird man sichere Aussagen über Verständnis oder Missverständnis treffen können. Kein Diskurs kann mit letzter Sicherheit für Verständnis sorgen. Aber immerhin: Gute Diskurse machen Missverständnisse unwahrscheinlicher!

Wie sich die Umsetzung der Entscheidungen gut begleiten lässt, ist dann Thema der nächsten Kolumne.

… to be continued… 

Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augen­merk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisations­mitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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