Agile Strukturen in einem Unternehmen gelten als moderne Lösung für viele Probleme. Doch lässt sich nicht alles durch eine Umstellung auf agiles Arbeiten lösen. Was sind die wichtigsten Elemente von agilen Strukturen? Mit welchen Problemen muss man rechnen, wenn man von klassischer auf agile Arbeit wechselt?
„Agilität in Unternehmen“ scheint die Lösung für alles zu sein. Üblicherweise versteht man im Managementdiskurs unter Agilität, dass man schneller und anpassungsfähiger werden will. Dem Ziel kann man kaum widersprechen: Wer würde sich schon ernsthaft gegen eine höhere Anpassungsfähigkeit an bspw. Kundenwünschen aussprechen?
Agiles Arbeiten hat drei wiederkehrende Elemente
Entsprechend einfach ist es, grundsätzliche Befürwortung für ein agiles Unternehmen zu finden. Problematisch wird es erst in der mangelnden Konkretheit, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Unternehmen verlegen sich dabei oft auf allgemeine Erklärungen und die Betonung von Eigenschaften wie Motivation, Vertrauen, Fortschritt, usw. Was geschieht aber konkret in agil arbeitenden Organisationen? Drei Elemente tauchen dabei immer wieder auf:
- Auflösung von Silos
- Flache Hierarchien
- Stärkere Ergebnisorientierung
Was will man mit der Auflösung von Silos erreichen?
Als „Silos“ bezeichnet man Abteilungen, die stark voneinander abgegrenzt sind. Nur wenige Stellen, etwa die Abteilungsleitungen, stehen regelmäßig in Kontakt. Dies führt dazu, dass jede Abteilung ihre eigenen Ziele als die wichtigsten betrachtet. Oft ist nicht einmal bekannt, wie in anderen Teilen der Organisation gearbeitet wird. In einer Organisation, die zum Beispiel Waschmaschinen verkauft, ist eine Entwicklungsabteilung damit beschäftigt, möglichst energieeffiziente Maschinen zu entwerfen. Die Maschinen sollen außerdem den Kunden viele Möglichkeiten bieten, ihre Wäsche zu waschen (sehr schnell, sehr heiß, schonend für die Kleidung, schonend für die Umwelt). Für die Entwicklungsabteilung ist das oberste Ziel, technisch auf der Höhe des Fortschritts zu sein und eine gut zu bedienende Maschine zu liefern.
Die Logiken der jeweiligen Abteilungen sind oft nicht bekannt.
Daneben gibt es eine Marketing-Abteilung, die die Maschinen bewerben und in möglichst großer Zahl verkaufen soll. Hilfreich dafür sind etwa besondere Eigenschaften, also „unique selling points“ und klare Unterscheidungen zur Konkurrenz, sowie zum eigenen Vorgängermodell. Zuständig dafür ist natürlich: die Entwicklungsabteilung.
Aus Sicht der Entwicklung sind solche Anpassungen unnötig. Warum sollte eine Waschmaschine neue Funktionen bekommen, während die bisherigen Funktionen alles Benötigte abdecken? Wenn es nur um Werbung geht, gibt es sicher andere Wege!
Agiles Arbeiten heißt, funktionsübergreifend zu denken.
Zwischen den beiden Abteilungen entsteht nun ein Konflikt, der auf Außenstehende albern wirken kann. Innerhalb der jeweiligen lokalen Rationalitäten ergibt er allerdings Sinn. „Lokale Rationalität“ meint, dass beide Abteilungen jeweils versuchen, bestmöglich die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. Die Entwicklung will nicht ständig von vorne anfangen müssen. Völlig neue Konzepte werfen das bisherige Design über den Haufen und sind fehleranfällig. Es ist viel logischer, auf bisherige Stärken zu setzen. Für die Marketing-Abteilung dagegen wäre das eine Katastrophe. Wenn man sich von den Produkten der Vergangenheit nicht klar abgrenzen kann, kann man die neuen Modelle nur schwer verkaufen. Der Vorgänger ist ja genauso brauchbar.
Der Konflikt ist eine Folge der Arbeitsteilung. Jeder hat nur seine eigenen Aufgaben im Blick, wodurch das große Ganze in den Hintergrund gerät. In agilen Organisationen soll dieses Problem vermieden werden. Es wird weniger Arbeit in Abteilungen, und mehr in interdisziplinär besetzten Projekten und Teams gearbeitet. Die gemeinsame Arbeit soll Verständnis für die lokale Rationalität der jeweils anderen Profession schaffen. Für den Waschmaschinenhersteller kann das etwa heißen, dass die Organisation nicht nach Funktionen, sondern nach Produkten orientiert ist. Entwicklung und Vermarktung eines Modells würden dann durch ein Team mit Mitgliedern aus beiden „Lagern“ vorangetrieben.
Was bringen flache Hierarchien?
Flache Hierarchien sollen einen besseren Informationsfluss in der Organisation ermöglichen. Zwar hilft eine stark ausgeprägte Hierarchie bei vertikalen Informationsweitergaben wie Ankündigungen. Auch Entscheidungen können mithilfe der Hierarchie schnell in die Fläche getragen werden. Doch Informationen, die „unten“ gesammelt werden, kommen selten in ihrer Ursprungsform an der Spitze der Organisation weiter. Denn jede Hierarchiestufe gibt nur ganz bestimmte Informationen weiter, die sie selbst für relevant hält. Informationen die unwichtig – oder manchmal auch unerwünscht – erscheinen, werden herausgefiltert.
Mit flachen Hierarchien wird die Strecke, die eine Information zurücklegen muss, verkürzt. Die Hoffnung ist, dass auf diese Weise schneller Entscheidungen getroffen werden können. Und: Dass eine bessere Übersicht über die Situation besteht. Mitunter setzt man dabei auch auf vollständig hierarchiefreie Teams, die ohne formale Vorgesetzte auskommen sollen. Eine gleichberechtige Herangehensweise an die Arbeit soll die Mitglieder stärker motivieren und die Identifikation stärken, so die Idee.
Mehr Ergebnisorientierung – aber auch mehr Zwischenberichte
Für agile Unternehmen ist es weiterhin üblich, von einer Prozessorientierung auf Ergebnisorientierung umzuschalten. Mitarbeitende sollen sich nicht an Werten auf einer Skala orientieren oder daran, ob im Formular alle wichtigen Aspekte abgehakt sind. Die Orientierung geht zurück aufs Ergebnis und aufs Produkt. Dies soll Handlungsfreiräume schaffen, da nur das Ziel benannt wird und sich die Mitarbeitenden anschließend selbst überlegen können, wie es erreicht wird.
Man wartet nicht bis zum Endergebnis.
Gleichzeitig ist es ein Kernelement des agilen Arbeitens, dass Aufgaben iterativ gesteuert werden. Das bedeutet, dass auf dem Weg zum Endergebnis regelmäßig geprüft wird, ob man noch auf dem richtigen Weg ist und das Ergebnis noch wirklich will. Dies darf man aber nicht mit einer Rückkehr zur Checkliste verwechseln. Eine Checkliste hilft zwar auch beim Prüfen der Zwischenergebnisse, sie lässt aber keine Kurskorrekturen zu. Auf erfolgreichen Schritt 1 folgt stets Schritt 2, bis man am Ende des Prozesses ist. Iterativ vorzugehen bedeutet, dass sich durch die Arbeit und die gewonnenen Erkenntnisse auch das gewünschte Ergebnis verändern kann. Üblicherweise setzen Unternehmen in Projektformaten auf diese Arbeitsweise.
Agiles Arbeiten löst viele Probleme – und bringt einige neue.
Würde durch eine agile Struktur alles besser werden, wäre es für Unternehmen gar keine Diskussion wert, Abteilungen oder Teams auf diese umzustellen. Agile Strukturen haben also auch einige Nachteile, die man kennen sollte. Nur dann kann man eine informierte Entscheidung über die Arbeitsweise seiner Organisation treffen.
- Die Umstellung auf agile Teams und Projekte führt zwar in der Tat dazu, dass das Silodenken entlang „der Linie“, also entlang der nach Funktionen geordneten Abteilungen abnimmt. Aber dafür entwickelt jedes Team und jedes Projekt ein eigenes Bewusstsein. Man beendet also nicht die lokalen Rationalitäten. Sie gelten nur für andere Zusammenhänge.
- Weiterhin haben es diese „agilen Inseln“ schwer, wenn ihre Ergebnisse zurück in die Organisation getragen werden sollen. Plötzlich werden die Hierarchie und die Logik der Abteilungen wieder relevant. Denn wenn sich keine höhere Hierarchiestufe für die Ergebnisse interessiert, sind sie unbrauchbar. Jemand muss für sie bürgen.
- Organisationen mit flachen Hierarchien und konsensorientierten Teams neigen außerdem dazu, risikoavers zu agieren. Entscheidungen laufen eher auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu, auf den man sich einigen kann. Für kontroverse Entscheidungen, die auch umgesetzt werden, wenn Mitglieder nicht von ihnen überzeugt sind, wird wieder Hierarchie benötigt.
Es bleibt dabei, dass agiles Arbeiten nichts für Jeden und nicht die Lösung für alles ist. Eine Transformation ergibt also nur dann Sinn, wenn Agilität eine brauchbare Lösung für ein bestehendes Problem darstellt. Und: Wenn die aktuellen Probleme schwerer wiegen als jene, die man sich durch eine Umstellung auf agile Strukturen einhandelt.