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Verwaltungen

Die Stabsstelle: Allzweckwaffe oder Feigenblatt?

  • Lukas Daubner
  • Mittwoch, 28. September 2022
Die Stabstelle als Feigenblatt

Stabsstellen gibt es in Verwaltungen mittlerweile zu den unterschiedlichsten Themen: Umwelt, Diversität, Organisa­tionsentwicklung oder Digitalisierung. Sind diese Stellen wirklich Treiber von Veränderungen – oder handelt es sich vielmehr um elegante Feigenblätter? Der Beitrag untersucht Möglichkeiten und Hindernisse von Stabsstellen.

Um als zeitgemäß wahrgenommen zu werden, müssen auch Verwaltungen sich um mehr und mehr Aufgaben kümmern: Diversität, Umwelt- und Klimaschutz, Organisationsentwicklung, Familienfreundlichkeit oder Digitalisierung. In diesem Zusammenhang hat eine Art von Stellen einen besonderen Zuwachs in Verwal­tungen erfahren: die Stabsstelle. 

Je nach Größe einer Einrichtung bilden sich Stabsstellen oder -abteilungen mit unterschiedlichsten Aufgabenzuschnitten um die Ministerinnen, Bürgermeister oder Landrätinnen sowie deren Abteilungsleitungen. Als kleinste Organisations­einheit ist die Stelle ein üblicher Ansatzpunkt, um Veränderungen in Organisa­tionen zu forcieren.

Auf diese Weise können sie, ohne dass die Stelleninhaberin irgendwie aktiv geworden ist, nach außen und innen darstellen, dass sie Verantwortung für das jeweilige Thema übernehmen. Die Frage ist allerdings: Verändern Stabsstellen die Organisation wirklich, so wie es deren Außendarstellung verspricht, oder handelt es sich vor allem um Feigenblätter und „Schauseitenmanagement“, wie es in der Organisationswissenschaft heißt? 

Was eine Stabsstelle charakterisiert

Das Stabsstellen besetzende Personal ist häufig sehr gut ausgebildet – nicht selten sind die Stelleninhaberinnen promoviert. Die Vergütung ist häufig entsprechend hoch. Charakteristisch ist, dass die Stabsstellen- oder Abteilungen eine beratende Funktion haben und abhängig sind von der Entscheidungsverantwortung der Leitung. Da sich die Stellen außerhalb der Rangordnung der Hierarchielinie befinden, verfügen sie über keine Entschei­dungsmacht, sondern können nur durch ihre Expertise Schneisen in das organisatorische Dickicht schlagen.

Ziel von Stabsstellen ist es vor allem zu koordinieren und zu planen, mit der Idee, die Vorgesetzten zu entlasten sowie zu beraten.  Eine Stabsstelle befindet sich demnach üblicherweise nah an der Spitze der Hierarchie, verfügt selbst aber über keine formalen Machtmittel. Häufig üben sie Tätigkeiten aus, die kognitiv herausfordernd und nicht kleinteilig programmiert werden können oder routinemäßig erfüllbar sind. Nicht nur die Vergütung sowie die akademische Ausbildung unterscheidet diesen Stellentyp von klassischen Referatsstellen, sondern auch die Anforderungen an diese Stellen: Eigenverantwortlichkeit, strategisches sowie kommunikatives Geschick oder die Bildung von internen sowie externen Netzwerken. 

Was bedeutet diese Charakterisierung für die Ansprüche von Verwaltungen, umweltfreundlicher, diverser, digitaler oder familienfreundlicher zu werden? Welche Möglichkeiten haben Stabsstellen, Verwaltungen – auch ohne formale Macht – zu verändern und welchen Schwierigkeiten begegnen sie dabei?

Chancen und Herausforderungen von Stabsstellen

Mit einer Stabsstelle entsteht in einer Verwaltung zunächst ein Ort für das jeweilige Thema. Stelleninhaberinnen können Informationen innerhalb und außerhalb der Organisation sammeln, Initiativen anstoßen, Koalitionen schmieden und Themen ausdauernd behandeln. Ideen können in Entschei­dungs­vorlagen gegossen werden und der Leitung vorgelegt werden. Darüber hinaus sammeln Stabsstellen Informationen, die sie in Berichten und Leitfäden veröffentlichen, oder moderieren Leitbildprozesse, deren Ergebnisse sie zusammenfassen. 

Da die Stellen meist nah an der Spitze der Verwaltung installiert, aber nicht in Abteilungen oder Referate eingebunden sind, stehen sie allerdings häufig vor der Herausforderung, ausreichend Informationen aus den jeweiligen Fach­abteilungen zu erhalten. Die in Berichten vorliegenden Informationen sind geglättet und zudem in Kennzahlen abstrahiert. Was unterhalb der formalen Oberfläche in Abteilungen vor sich geht, welche mikropolitischen Konflikte bestehen, welche informalen Verhältnisse vorherrschen und welche hidden agendas verfolgt werden, können Inhaber von Stabsstellen häufig nicht wissen.

Dieses Wissen aber ist wichtig, um entweder die eigenen Angebote problem­gerecht zu gestalten, oder um diese Zustände bei der Formulierung von Maßnahmen zu berücksichtigen. Ist dies nicht möglich, laufen die Aktivitäten der Stabsstelle Gefahr, als von oben auferlegt und unpassend wahrgenommen und abgelehnt zu werden. 

Gremienarbeit

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Um an entsprechende Informationen zu gelangen, sind persönliche Beziehungen in die jeweiligen Referate und Abteilungen notwendig. Das hat den Nachteil, dass es zum einen sehr aufwendig ist, über die Organisation verteilt vertrauensvolle Beziehungen zu etablieren.

Zum anderen sind diese Kontakte von Personen abhängig. Geht ein Sachbear­bei­ter in Ruhestand oder wechselt eine Abteilungsleiterin, bricht die Beziehung zusammen. Dasselbe gilt für einen Stellenwechsel der Stabsstelle. Eine Nach­folgerin wird zwar nicht bei null anfangen müssen, aber viele Beziehungen, in denen auch delikate Details aus dem Verwaltungsalltag vertrauenswürdig ausgetauscht werden, müssen neu etabliert werden. 

Ein Vorteil von außerhalb der Hierarchien bestehenden Stäben besteht dagegen darin, dass sie sich relativ frei in der Organisation bewegen können. Da nur wenige ihrer Kommunikationswege festgelegt sind, können sie neue schaffen. Aufgrund des geringen formalen Einflusses ist der Erfolg einer Stabsstelle dabei vom kommunikativen Geschick, der Fähigkeit, Netzwerke zu etablieren oder Kompromisse vorzuschlagen, abhängig. Manche Stelleninhaberinnen können dies besser als andere. 

Nur Symbolik und keine echten Veränderungen? 

Stabsstellen sind somit zwar Teil der Verwaltung, aber nicht Teil der verwal­tungstypischen Hierarchie, haben große Freiheiten bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben, aber keinen oder nur geringen formalen Einfluss auf andere Stellen. Das übrige Personal versteht die Initiativen von Qualitätsmanagerinnen, Umweltschutzbeauftragten oder Digitalisierungsbotschafterinnen zudem häufig als Eingriff in ihr Hoheitsgebiet.

Dasselbe gilt für das administrative Personal: Die Anforderungen und Ratschläge von Umwelt-, Gleichstellungs- oder Digitalisierungsbeauftragten bedeuten häufig zunächst mal mehr Arbeit sowie die Aufgabe liebgewonnener Routinen. Können Verwaltungen mit Stabsstellen für Umweltschutz, Diversität oder Digitalisierung zum einen ihren CO2-Ausstoß reduzieren, zu einer diversen Belegschaft beitragen oder Prozesse bürgerfreundlich digitalisieren und zum andere diesen Themen zu einer größeren gesamtgesellschaftlichen Relevanz verhelfen?  

Der Soziologe Niklas Luhmann argumentiert, dass eine neue Stelle zunächst als ein elegantes Vorgehen gewertet werden kann, wie Organisationen auf Erwartung der Gesellschaft reagieren können, ohne andere Strukturen ändern zu müssen. Der Vorteil dabei sei, dass außer der neuen Stelle erst einmal nichts geändert werden muss: „Alles bleibt in den alten Bahnen; es wird lediglich eine neue Stelle (…) angegliedert und mit den Aufgaben betraut, die sich aus den neuen Bedürfnissen ergeben“ (Luhmann 1964: 149).

Klaus Dammann (1969: 116) spricht in diesem Zusammenhang von Stabsstellen als „Feigenblättern“: Eine Gleichstellungsbeauftragte macht weder eine Verwaltung noch die Gesellschaft gerechter, ein Umweltmanagement­beauftragter diese nicht umweltfreundlicher. Eine neue Stabsstelle für eines dieser Themen wird aus dieser Perspektive vor allem als symbolische Alternative zu tiefgreifenden Veränderungen verstanden. 

Feigenblätter mit Mission

Zwar können Stabsstellen keine Verordnungen erlassen oder ändern, sie können aber runde Tische initiieren, Expertise sammeln, die Entscheiderinnen immer wieder daran erinnern, dass das jeweilige Thema wichtig ist sowie Initiativen aufgreifen und unterstützen. Viele Vorschläge werden im Sande verlaufen oder aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht durchgeführt werden können. Die eine oder andere Idee wird aber von der Verwaltungsleitung aufgegriffen und es kommt zu Entscheidungen, die ohne die Stabsstelle nicht getroffen worden wären.  

Stabsstellen haben darüber hinaus für Verwaltungen die wichtige Funktion, der inner- sowie außerorganisationalen Öffentlichkeit zu signalisieren, dass die jeweiligen Themen als wichtig erachtet werden. Knüpfen Verwaltungen durch Stabsstellen an gesellschaftliche Diskurse an, tragen sie auch dazu bei, den Verwaltungen selbst sowie deren Entscheidungen Legitimation zu sichern. 

Stabsstellen können also in vielen Fällen als Feigenblätter bezeichnet werden, sie haben aber trotzdem nach innen wie nach außen wichtige Funktionen in Verwaltungen: Ideen einbringen, das jeweilige Thema auf der Agenda halten, Koalitionen bilden, der Außenwelt sowie der innerorganisationalen Öffentlichkeit signalisieren, dass das Thema relevant ist.

Damit Verwaltungen sich aber entsprechend wandeln, reicht es nicht, nur eine neue Stelle zu schaffen. Politische Vorgaben und gesellschaftliche Einstel­lungen müssen sich ebenfalls entsprechend verändern.  

Literatur

Dammann, Klaus (1969): Stäbe, Intendantur- und Dacheinheiten. Köln: Carl Heymanns. 

Luhmann, Niklas (1964): Funktion und Folgen formaler Organisationen. Berlin: Duncker und Humblot. 

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Überarbeitung eines Textes, der zuerst in der DUZ Wissenschaft & Management 07/2021 vom 03.09.2021 erschienen ist.

Zum Weiterlesen: Daubner, Lukas (2021): Die Unwahrscheinlichkeit des Umweltmanagements. Übersetzung gesellschaftlicher Erwartungen in Hochschulstrukturen: Eine organisationsethnographische Fallstudie. Berlin: openD. 

Autor
Lukas Daubner

Dr. Lukas Daubner

arbeitet im Berliner Zentrum Liberale Moderne und ist dort Programmdirektor für den Bereich ökologische Moderne.

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