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Mobile Arbeit und Führung

Wie jetzt führen?

  • Judith Muster
  • Mittwoch, 24. August 2022
Wie jetzt führen?

Die Einführung von mobiler Arbeit kann dazu führen, dass Führungskräfte einerseits weit mehr zu tun haben, in Form von Beziehungsarbeit und Führungsimpulsen – andererseits aber für die wichtigen Themen keine Aufmerksamkeit oder keine Durchsetzungskraft mehr aufbringen. Wie kann man dieses Problem lösen? 

Dieser Artikel diskutiert:

  • Was die funktionale Analyse für den Blick auf mobile Arbeit bringt.
  • Was wir unter Führung verstehen und warum mobile Arbeit Führung verändert.
  • Welche Antworten Organisationen auf die Veränderungen geben können.

Für jede Lösung gibt es eine Alternative

Wie wird in Organisationen jetzt geführt, unter den Bedingungen der mobilen Arbeit? Das war die Leitfrage unserer Studie. Unser organisationssoziologisches Analysewerkzeug ist dabei die funktionale Analyse, eine Methode, mit der sich untersuchen lässt, welche Effekte eine bestimmte Struktur hat. Sie macht es möglich, ein Phänomen zugleich als Lösung und als Problem zu betrachten – je nachdem, welcher Bezug aufgebaut wird. Was den einen gefällt, ist eine Katastrophe für andere.

Das Beste an der funktionalen Analyse ist: Sie macht möglich zu sehen, dass Probleme nie nur eine Lösung haben. Man kann sich immer auf die Suche nach funktionalen Äquivalenten machen, die ebenfalls als Lösung dienen, aber dafür andere Folgeprobleme auslösen.  

Mobile Arbeit war eine Lösung für die Herausforderungen der Pandemie. Doch in der Ausgestaltung wird sie wiederum selbst zu einem Problem, das eine eigene Lösung braucht. Die erste Wahl ist für Organisationen: Lösungen über formale Regeln. Organisationen können Verordnungen erlassen, wie Mindestvoraus­setzungen für Homeoffice, feste Zeiten der Erreichbarkeit, regelmäßige in-person-meetings, usw. Doch jede Regel bringt eigene Folgen mit sich. Für uns sind besonders die Folgen für Führung in Organisationen interessant.

Warum mobile Arbeit Führung verändert

Um zu verstehen, wie sich Führung verändert, ist es hilfreich zwischen Führung und Hierarchie zu unterscheiden. Wie Hierarchie funktioniert, bleibt auch durch die Einführung mobiler Arbeit in den meisten Organisationen unverändert. Die Organigramme, Führungskräfte und Führungsspannen sind gleichgeblieben. Dennoch verändert mobile Arbeit die Art und Weise, wie geführt wird – weil sich das soziale Gefüge verändert. Alle Arten von Absprachen, Koordinationen, freundliche Hinweise und weniger freundliche Kurskorrekturen, also all die Mittel und Wege, mit denen sich Mitglieder abseits der formalen Richtlinien einander orientieren, müssen anders eingesetzt werden, wenn man nicht mehr den gleichen Arbeitsort teilt.

Wir nehmen also das „diffuse soziale Geschehen“, wie der Systemtheoretiker Niklas Luhmann sagt, Führung in den Blick, das eben nicht durch formale Zuständigkeiten und Organigramme bereits beschrieben ist.  Wir verstehen demnach Führung als erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten, d.h. als das situative Durchsetzen bei offenen Entscheidungen. Führung kommt immer dann zum Zuge, wenn die Strukturen einer Organisation entweder keine Lösung für ein Problem vorgeben oder die Regeln zu widersprüchlich sind. Wer unter diesen Umständen einen Vorschlag hat, braucht Mittel der Überzeugung oder Möglichkeiten, dem Vorschlag Nachdruck zu verleihen. Wir sprechen in dem Zusammenhang von Führungsmitteln. 

Mobiles Arbeiten stellt einen massiven Eingriff in Führung dar

Wo sich Vorgesetzte über die Probleme der mobilen Arbeit beklagen, geht es in der Regel darum, dass sie keinen Ersatz für ihre bisher üblichen Mittel der Führung gefunden haben.  Etablierte Arten zu delegieren, zu koordinieren und sich berichten zu lassen, haben sich ebenso verändert wie die die Art und Weise, wie team- oder abteilungsübergreifend kollaboriert wird und wie Mitarbeitende auf ihre Führungskräfte zugehen können.

Führungsimpulse werden ablehnbar

Was Führung über Distanz schwierig macht – und welche Lösungen es gibt

Vor dem Hintergrund dieser Verlusteindrücke, die mobile Arbeit für viele mit sich bringt, diesen Gedanken aufrecht zu halten: Nichts was wegfällt, muss unersetzt bleiben.

Dies ist vor allem ein Auftrag an Mitglieder mit Gestaltungsmacht und -verantwortung. Sie sind dafür zuständig, Lösungen verfügbar zu machen, die keine schwer bearbeitbaren Folgeprobleme mit sich führen. Deswegen ist es notwendig, Führung nicht als unvermeidbare Daueraufgabe zu begreifen, sondern als situativen Rettungsring, der Orientierung schafft, wenn die Strukturen diese nicht bieten können. Damit wird zugleich deutlich, dass andere Strukturen, also Kommunikationswege (Hierarchische Bezüge, Berichtswege), Prozesse (etwa die Standardisierung von Aufgaben), und Personal (durch weiterführende Qualifizierung) den Bedarf an Führung verringern können. 

Oder um es einfacher zu sagen: Man braucht keine Diskussion und keine Abstimmung mehr, wenn das Ergebnis schon entschieden ist. Wenn die Regeln genug orientieren, reduziert dies den Führungsaufwand. Im Alltag wird dieser Ansatz auch auf „Führung über Vertrauen“ reduziert, was eigentlich nur bedeutet, dass das Fachwissen der Mitglieder so groß ist, dass sie nur noch selten Führungsimpulse benötigen und sich meistens selbst steuern.

Organisationen können neue Führungsmittel schaffen

Die andere Möglichkeit wird von vielen Organisationen aktuell noch übersehen: Sie können selbst neue Führungsmittel schaffen und den Mitgliedern auf Stellen mit Gestaltungsauftrag Zugang zu diesen ermöglichen.

Was zu einem Führungsmittel werden kann und was nicht, ist sehr spezifisch für die jeweilige Organisation und gar für jede Einheit. Fast alles kann in einer Organisation zu einem Führungsmittel werden – am einfachsten ist es mit begrenzten, begehrten Ressourcen. Dazu gehören etwa finanzielles Budget, fähiges Personal, oder Zeit. Aber auch Expertise, der Zugriff auf ein Netzwerk oder ein offener kollegialer Gefallen können zu einem Führungsmittel werden.

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Sollen Mitglieder mit wichtigen Aufgaben, die sich auch gegen Widerstände durchsetzen können sollen, eine relevante Stimme in der Organisation haben, brauchen sie mehr als die formale Bestätigung, dass sie wichtig sind. Sie müssen im Alltag der Mitglieder wichtig werden. Und wenn die Einführung mobiler Arbeit durcheinander gebracht hat, wer für wen relevant ist, finden Organisationsgestalter:innen hier die mächtigsten Hebel, um die gewünschten Machtverhältnisse wieder herzustellen.

Die komplette Studie lesen 

Dieser Artikel basiert auf den Ergebnissen unserer Studie „Wie jetzt führen? Warum mobile Arbeit Führung neu formt.“ Die gesamte Studie gibt es hier zum kostenlosen Download:

Metaplan-Studie

Wie jetzt führen?

Autorin

Dr. Judith Muster

verfolgt den Anspruch, dass eine gute soziologische Analyse immer auch witzig sein sollte.

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