Es ist nicht einfach, der Kultur einer Organisation auf den Grund zu gehen. Kultur ist nicht entscheidbar, dadurch auch nicht gut besprechbar. Zum Glück liefert die Organisationssoziologie eine Heuristik, die hilft, den relevanten Phänomenen nachzugehen. Wir nennen sie die Suchscheinwerfer der Organisationskultur.
In dieser Reihe stellen wir diese Suchscheinwerfer vor. Dieser Artikel bespricht Tausch.
Als Tausch verstehen wir in Anlehnung an Niklas Luhmann einen „bewusst erstrebten Leistungsaustausch“ (Luhmann 1995: 338)1 zwischen Organisationsmitgliedern, um Kooperation sicherzustellen. Was zunächst trivial und alltäglich klingt, hat es auf den zweiten Blick in sich: Denn genau genommen sollte Tausch in Organisationen gar nicht vorkommen. Man sollte sich ja nicht auf den Basar begeben müssen, um mit Organisationsmitgliedern jene Leistungen auszuhandeln, zu deren Erfüllung sie sich eigentlich schon per Arbeitsvertrag verpflichtet haben. Und wenn das doch erforderlich ist, wäre laut reiner Lehre der vorgesehene Lösungsweg die Beschwerde nach oben – auf dass die Hierarchie das regele.
So weit, so naiv. Denn dass man mit der reinen Lehre nicht unbedingt weit kommt in Organisationen, wird einem spätestens dann schnell klar (gemacht), wenn man das einmal mutig versucht hat. Obwohl sie durch ihre Arbeitsteilung, Zuständigkeiten und Befugnisse eigentlich tauschfeindlich gebaut sind, wird in Organisationen permanent getauscht, gedealt und gehandelt. Das weiß jeder, der schon einmal eine besonders unangenehme Schicht loswerden wollte, ein spannendes Projekt übernehmen oder eine interne Bühne hat erklimmen wollen. Auch das Go für die teure Weiterbildung oder der halbe freie Tag, den die Chefin außer der Reihe genehmigt, sind häufig nichts anderes als Tauschgeschäfte. Die Währungen, in denen getauscht wird, sind dabei so bunt und vielfältig wie Organisationen selbst.
Welche Funktion erfüllt es für die Organisation?
Tatsächlich erfüllen diese Tauschbeziehungen eine wichtige Funktion in Organisationen – und zwar nicht, obwohl sie quer laufen zu den eigentlich formal angelegten Strukturen, sondern gerade deshalb. Man könnte sogar sagen, dass die informalen Tauschbeziehungen die Formalstruktur stützen. Denn sie kann schlicht nicht alle sinnvollen und notwendigen Handlungen in einer Organisation vorgeben und erwartungssicher machen – schon gar nicht jene, die über das formal Erwartbare hinausgehen. Deshalb braucht es den Tausch, um all jene informalen Bedürfnisse zu befriedigen und Notwendigkeiten zu bedienen, die über die formalen Möglichkeiten und Anforderungen hinaus den Laden am Laufen halten.
Tausch: bewusst erstrebter Leistungsaustausch zwischen Organisationsmitgliedern, um Kooperation sicherzustellen.
So ließe sich zwar vielleicht noch formal anweisen, dass der Praktikant eine eilige Präsentation doch bitte zügig übersetzen möge. Dass er das notfalls allerdings bis spät in den Abend hinein tut, hingegen nicht. Der IT-Service mag formal dazu verpflichtet sein, den implodierten Arbeitslaptop zu reparieren, aber ob das jetzt sofort geschieht oder doch erst übermorgen, ist nicht geregelt. Und ob Ausfälle auf der Schicht durch die Bereitschaft der Kolleginnen, kurzfristig einzuspringen, kompensiert werden können, ist häufig im Rahmen der Arbeitsordnung nicht formal erwartbar.
In Fällen wie diesen hilft es, wenn man ein Tauschmittel anzubieten hat – sei es ein ausschweifendes Lob im nächsten Meeting, erhöhte Flexibilität bei der Urlaubsfreigabe in eigentlich schon knapp besetzten Sommerwochen oder die Zusicherung, nur angenehme Aufgaben übernehmen zu müssen, damit überhaupt jemand da ist. Kurz gesagt: Ohne Tausch läuft nicht viel oder zumindest nicht genug in Organisationen, um wirklich leistungsfähig zu sein. Umgekehrt kann man all das, was da tagtäglich auf den informalen Basaren und in den persönlichen Tauschbeziehungen geschieht, nicht einfach formalisieren.
Welche Folgeprobleme bringt Tausch mit sich?
Um ihre motivierenden und beweglich machenden Funktionen zu erfüllen, müssen sich Tauschgänge oft im Verborgenen abspielen, weil sie sonst mit der formalen Logik der Organisation in Konflikt geraten. Denn selbst wenn jede Einzelleistung eines Tauschs vielleicht noch regelkonform wäre – spätestens deren Verknüpfung zu einem Komplex wechselseitiger Bedingtheit ist es nicht mehr.
Das hat einen hohen Preis: Je stärker sich eine Organisation entlang solcher informaler Tauschbeziehungen ausrichtet, desto fragiler wird das gesamte Konstrukt. Das Tun der Organisationsmitglieder entzieht sich der rationalen Steuerbarkeit, schließlich basieren Tauschgeschäfte immer auf persönlichen Beziehungen und wechselseitigen Abhängigkeiten. Und das erweist sich als besonders problematisch, wenn zentrale Akteure des Tauschspiels das Spielfeld verlassen. Deshalb lohnt es sich immer, den Tauschhandeln in der eigenen Organisation genau nachzuspüren und ihren Funktionen und Folgen auf die Schliche zu kommen. Ist beispielsweise der informale Schichttausch auf dem Busbahnhof funktional, weil er Busfahrern und Busfahrerinnen ermöglicht, sich flexibel entlang der eigenen Bedürfnisse die Arbeit einzuteilen – um sich etwa den Geburtstag der Tochter freizutauschen?
Oder ist er eher dysfunktional, weil nur langjährige Mitarbeitende mit gewachsenem Netzwerk an diesem informalen Tauschring teilnehmen – was dann dazu führt, dass die neueren Kolleginnen und Kollegen nur miese Schichten abbekommen, weshalb sie schnell wieder kündigen? Im zweiten Fall braucht es vielleicht einen besseren – formalen – Mechanismus, um allen Mitarbeitenden eine möglichst flexible und faire Schichtwahl zu ermöglichen. Das ist dann kluges Organisieren.
Diese Fragen sollte man sich stellen:
- Welche Hilfeleistungen werden untereinander getauscht?
- Wo muss man etwas anbieten können, um ans Ziel zu gelangen?
- Welche Ressourcen sind die harten Währungen im Tauschgeschäft? Wofür werden sie gebraucht?
Literatur
Luhmann, Niklas (1995). Funktionen und Folgen formaler Organisation (4. Aufl.).
Berlin: Duncker & Humblot