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Retention und Mobile Arbeit

Teufelskreis Homeoffice

  • Christopher Mächel
  • Andreas Hermwille
  • Mittwoch, 18. Oktober 2023
Teufelskreis Homeoffice

Homeoffice und Mobile Arbeit bleiben eine Herausforderung für Unternehmen. Organisationsgestalterinnen und Organisationsgestalter sehen mit gemischten Gefühlen zu, wenn die Mitarbeitenden das Büro verlassen und von zuhause aus arbeiten.

Zu Recht: Denn es passiert zu schnell, dass Mitglied und Organisation nichts mehr bindet, außer dem Gehalt. Und das gibt es auch woanders. Aber verbieten kann man Homeoffice auch nicht – dann wechseln die Mitarbeitenden erst recht. Was also tun?

Büropflicht ist für Viele ein Kündigungsgrund

Mobil arbeiten zu können, ist nach wie vor einer der wichtigsten Benefits, den eine Organisation anbieten kann.

Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung wollen 75% aller Beschäftigten, die in der Pandemie von zuhause aus arbeiten konnten, wenigstens teilweise weiter im Homeoffice bleiben. Spannend wird diese Zahl, wenn man sie ins Verhältnis setzt mit einer Untersuchung der TU Darmstadt: „Fehlt im Unternehmen die Möglichkeit, orts- und zeitflexibel zu arbeiten, sehen immerhin 24 Prozent der Beschäftigten dies als eindeutigen Kündigungsgrund.“

Es wird also klar, dass Homeoffice bzw. Mobile Arbeit zu einem Faktor wird, der sich massiv auf die „Indifferenzzone“ auswirkt, wie man in der Soziologie sagt: Also den Bereich, in dem sich Mitarbeitende unsicher sind, ob sie bestimmte Zumutungen noch ertragen können, oder der Moment gekommen ist, die Organisation zu verlassen. Wenn also knapp ein Viertel der Beschäftigten bereit ist, Homeoffice als Must-have einzufordern, sind Arbeitgeber gut beraten, sich mit dieser Forderung auseinander zu setzen. Denn gerade in der wissens- und technologiebasierten Arbeit, die prädestiniert für Homeoffice ist, können sich Arbeitnehmer aussuchen, welchem Unternehmen sie ihre Arbeitskraft anbieten wollen.

Die Wechselbereitschaft ist aktuell besonders hoch

Nun bekommt dieser Wunsch nach Homeoffice und der Wille, für diese Erfüllung auch den Arbeitgeber zu wechseln, eine für die Arbeitgeber besonders pikante Note, wenn man ihn ins Verhältnis zur allgemeinen Wechselstimmung in der arbeitenden Gesellschaft setzt.

Nach einer repräsentativen Umfrage von EY ist „die Wechselbereitschaft unter Arbeitnehmenden aktuell so hoch wie noch nie: 26 Prozent würden aktiv suchen, 37 Prozent sind offen für den Wechsel, wenn sich die Gelegenheit bietet. Vor allem für bessere Bezahlung und eine angenehmere Unternehmenskultur werden Jobs gewechselt.

Entsprechend ist es keine Überraschung, dass die Bindung ans Unternehmen auf dem niedrigsten Wert ist, denn EY je abgefragt hat (seit 2015): Nur 13 Prozent der Beschäftigten sehen sich „eng verbunden“ mit ihrem Arbeitgeber.

Einsichten aus der Metaplan-Studie über Mobile Arbeit

Was spricht für, was gegen Anwesenheitspflicht?

Steckt im Homeoffice die Kündigung auf Zeit?

Wenn Unternehmen also ihre Mitarbeitenden halten wollen, (die aller Wahrscheinlichkeit nach über Wechsel nachdenken, was sie aber natürlich nicht laut äußern), ist es ein naheliegender Schritt, ihren Wünschen nachzukommen. Auch für traditionell eingestellte Geschäftsführer:innen sind Mitarbeitende besser, die ihnen nur gefühlt fehlen, weil sie im Homeoffice sind, als wenn sie faktisch fehlen, weil sie zur Konkurrenz gegangen sind.

Jedoch kann die Umsetzung mobiler Arbeit in Organisationen die Bindung zwischen Organisation und Mitglied weiter schwächen.

Mit anderen Worten: Weil Organisationen Homeoffice ermöglichen, wird es wahrscheinlicher, dass sich die Mitarbeitenden immer weniger mit der Organisation identifizieren. Es ist oft genau so bitter, wie es klingt: Weil ein Benefit ermöglicht wird, verliert man Mitarbeitende.

Allerdings ist das Gegenteil auch keine Lösung: Präsenzzwang verhindert zwar, dass die Bindung über Zeit immer schwächer wird – dafür reduziert sie aber den Grad der Berücksichtigung individuellen Lebenssituationen und erhöht auf einen Schlag den Wechselwillen bei der Belegschaft.

Balance finden zwischen Personen- und Sachorientierung

Für einen nachhaltigen Ausweg aus diesem Dilemma lohnt es sich, die spezifischen Gründe zu untersuchen, die das Schwächen der Bindung verursachen. Unsere These ist, dass Organisationen, in der Interaktion und Kommunikation überwiegend planvoll und zielorientiert angelegt werden muss, Gefahr laufen der Person zu wenig Raum zu geben. Das Verhältnis zwischen Orientierung auf die Person und Orientierung auf die Sache kippt zu weit in Richtung Sache. Natürlich sollen Organisationen auch weiterhin keine Familie sein (die Form von Systemen, in denen die Sachorientierung besonders gering, die Personenorientierung dafür alles ist). Aber eine moderate Personenorientierung kann dazu beitragen, die Bindung zwischen Mitglied und Organisation zu stärken.

(Mehr zum Thema bei Fritz B. Simon z.B. in diesem Interview von 2018 in Wirtschaft und Weiterbildung, S. 24: „Personen und Sachorientierung sollte in Balance sein“)

Dabei gibt es drei Aspekte von Organisation, die besonders stark auf diese Räume einwirken – und die im Homeoffice stärker zu tragen kommen, als in Präsenz. Es sind Aspekte, die normalerweise für eine gut positionierte Organisation stehen – doch für die Frage der Bindung und Identifikation können sie sich in Probleme verkehren:

  1. Interaktionen ohne Randphasen
  2. Aufgabenbewältigung im Akkord
  3. Zu viel Sicherheit im Alltag

Interaktionen ohne Randphasen

Aktuelle Lösungen für Remote Work setzen häufig voraus, dass der Großteil der Interaktionen vorgedacht und planvoll angelegt werden muss. Das führt zu einem Mangel an Chancen zum Abschweifen, „ungerichteten Interaktionen“, wie man in der Soziologie sagt. Wenn man am Ende einer Projektbesprechung zwar noch lose aufs Thema rekurriert, nun aber flapsiger wird, und auch Gedanken äußert, die außerhalb der eigenen Rolle oder des engen Rahmen des Besprechbaren sind, gehört das nicht mehr zum Meeting, wohl aber zur Zusammenarbeit in der Organisation.

In den Randphasen der faktischen Arbeit entstehen persönliche Beziehungen: Die jeweilige Sache stellt zwar noch den Ausgangspunkt des Gespräches dar, aber wie es weitergeht, liegt an den persönlichen Interessen der Anwesenden. Solche ausufernden Gespräche sind deshalb wichtig, weil sie einzigartig sind: Arbeit besprechen kann man in jeder Organisation. Von einer Präsentation aus abdriften, in neue Produktideen, oder auch nur in einen Wettkampf, wer mehr Zitate aus Tarantino-Filmen kennt, sind dagegen nicht austauschbare Erlebnisse.

Matthiesen meint

„Organigramme sind nicht wärmeleitend“ – über ungerichtete Interaktionen

Aufgabenbewältigung im Akkord

Ein stramm getakteter Tag ist im Büro wie im Homeoffice ein Problem: Wenn man kaum Zeit hat, den Kopf vom Bildschirm abzuwenden, Meeting auf Meeting und Vorbereitung auf Vorbereitung folgt, scheint es sich zwar um gute, nämlich effiziente Nutzung von Zeit zu handeln. Doch geht darüber die Möglichkeit, sich umzuschauen, verloren.

Wo es beim gemeinsamen Arbeiten in Präsenz vielleicht noch letzte Gelegenheiten der Zufallsbegegnungen gibt, denn auch unter Volllast sparen sich die wenigsten Kolleginnen und Kollegen den Weg zur Kaffeemaschine, führt im Homeoffice ein eng gepackter Tag zu einer anderen Logik: Sobald der Tag zu Ende geht und das nicht Geschaffte auf die To-Do-Liste für den nächsten Tag wandert, wechselt der Fokus zur Care-Arbeit, zu Ehrenämtern, oder einfach: zum Sofa. Wer komplett unter Deck mit Aufgaben ist, wird sich nicht neugierig nach weiteren Gelegenheiten des Einbringens umschauen.

Doch erst Exploration macht Identifikation möglich: Seine Rolle erfüllen und das Hamsterrad antreiben, ist bei jedem Arbeitgeber möglich. Hier entsteht also Austauschbarkeit. Will eine Organisation als einzigartig wahrgenommen werden, muss sie ihren Mitarbeitenden die Chance auf Leerlauf lassen.

Zu viel Sicherheit im Alltag

Hier geht es in erster Linie um Erwartungssicherheit: Wenn schon zu Beginn einer Woche klar ist, wie jeder einzelne der nächsten Tage ablaufen wird, führt auch das zu einer geringeren Bindung mit der Organisation. In Teilen deckt sich dieser Aspekt mit einem auf Effizienz getrimmten Tagesablauf. Doch geht es auch um mehr: Nämlich die Chance auf neue Begegnungen, unvorhergesehene Themen und damit um Brüche in der Routine: Wenn Zusammenarbeit in Kontexten passiert, in denen bisher nie zusammengearbeitet wurde, die Chefetage persönlich mit Fragen vorbei kommt, oder umgekehrt, es keine zu große Unruhe in der Organisation auslöst, ignoriert man einmal den Dienstweg, dann ist das die Form der Abwechslung, die den Arbeitgeber davor bewahrt, für die Mitarbeitenden irrelevant zu werden.

Wieder sind Homeoffice-Jobs dafür anfälliger, dass sich diese Form der Gleichförmigkeit und Erwartungssicherheit von selbst einstellt. Denn anders als vor Ort muss für mobile Arbeit die ungewöhnliche Begegnung, die Ausnahme der Regel, geplant werden. Im Büro kann sie einfach passieren, wenn man sich versehentlich in der Mittagspause zur „falschen“ Gruppe setzt.

Drei Wege aus dem Teufelskreis Homeoffice

Die Herausforderung ist es als Organisationsgestaltung, das persönliches Einbringen zu ermöglichen, ohne es zu forcieren. Das gelingt am besten durch Mut zur Lücke in der Auslastung. Dabei kann helfen:

  1. Den unsichtbaren Machern Aufmerksamkeit schenken: Diejenigen, die schweigend ihr Pensum abarbeiten und sich nicht beschweren, können auch schweigend beschließen, ihr Pensum bei anderen abzuleisten.
  2. Mut zur geplanten Abschweifung: In Verhältnissen mit vielen Mitarbeitenden in hybrieden Formaten gibt es weniger spontane Begegnungen. Also braucht es Formate, die diese Begegnungen ermöglichen – ohne dass zwingend Arbeitsergebnisse erwartet wird.
  3. Dichte Terminkalender auf den Prüfstand stellen: Sind diese Verabredungen wirklich alle nötig? Kann man alternative Kommunikationsformate schaffen, in denen kurzfristiger und flexibler Austausch wahrscheinlicher wird, um Maß und Notwendigkeit geplanter Interaktionen zu reduzieren?

Kurzum: Wo können Mitglieder den engen Rahmen ihrer Rolle verlassen, sich andersartig einbringen, einem vollen Terminkalender geplanter Gespräche entkommen, oder Überraschungen erleben – ohne dass sie direkt ihre ganze Person einbringen müssen? Wie kann Sach- und Personenorientierung gleichermaßen Beachtung finden?

Jede Antwort auf diese Frage ist für die Mitarbeitenden im Homeoffice ein Identifikationsgrund mit der Organisation – der so viel besser zieht, als schlicht der Zwang, sich die Identifikation im Büro abholen zu müssen.

Autoren
Christopher Mächel

Christopher Mächel

nutzt am liebsten die system­theoretischen Unterscheidungen, die ganz praktische Handlungen möglich machen.

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Andreas Hermwille

freut sich, wenn er eine Analyse über eine gute Geschichte erzählen kann.

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