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Einsichten aus der Metaplan-Studie über Mobile Arbeit

Brauchen Organisationen noch das gemeinsame Büro?

  • Andreas Hermwille
  • Dienstag, 9. August 2022
Brauchen Organisationen noch das gemeinsame Büro?

„Meine Teammitglieder wollen von zuhause aus arbeiten. Aber ich halte es für besser, wenn sie ins Büro kommen. Wie bekomme ich sie zurück, ohne dass sie sich gezwungen fühlen?“ Solche und ähnliche Fragen stellen sich gerade viele Führungskräfte. Wir schauen auf die Gründe, die für eine Stärkung der Anwesenheitskultur sprechen und welche Mittel dafür zur Verfügung stehen.

Dieser Artikel gibt auf Basis unserer Studie über mobile Arbeit eine Antwort auf folgende Fragen:

  • Was sind die Gründe, dass gemeinsame Anwesenheit gewünscht wird?
  • Mit welchen Mitteln wollen Organisationen und ihre Mitglieder sie herstellen?
  • Welche Folgeprobleme bringen diese Mittel mit sich?
  • Wie überprüft man die Bedarfe der Organisation nach Anwesenheit?

Warum eine Anwesenheitskultur gewünscht wird

In vielen Organisationen scheint sich eine Kluft zu bilden zwischen Mitgliedern der Hierarchie und den jeweiligen Teams und Abteilungen: Die einen präferieren das Büro, die anderen Homeoffice bzw. mobile Arbeit. Die Gründe, wieso die Arbeit vor Ort erwünscht ist, sind unterschiedlich. Natürlich kann Misstrauen dahinterstecken: Sind meine Mitglieder auch unbeobachtet so produktiv, wie sie behaupten? Ist es nicht schlechter für das Ergebnis, wenn sie von zuhause oder wo auch immer arbeiten können? Und welche Mittel stehen mir zur Verfügung, um die Effizienz zu überprüfen?

Doch Misstrauen ist für die meisten Führungskräfte der geringste Faktor, wenn sie über eine möglichst hohe Präsenzquote nachdenken. Es geht um mehr: „Wenn alle zuhause bleiben, kostet uns das die Unternehmensidentität“, war etwa die schlichte, wie drastische Einordnung einer unserer Interviewpartner. Mobile Arbeit als Verlust? Die Perspektive wird im Organisationsalltag selten offen ausgesprochen, gilt sie doch als unmodern, wurde uns von unseren Interviewpartner:innen aber öfter genannt. Demnach macht sich die Leere des gemeinsamen Arbeitsorts besonders an drei Stellen als Verlust bemerkbar:

  • Durch das Fehlen von spontanen und anlasslosen Begegnungen, die als Motor der Organisationskultur erlebt werden.
  • Der Wegfall der kurzen Wege für Orientierungsangebote und kurze „Check-ins“ durch die Hierarchie.
  • Einfache, wirkungsvolle Beziehungsarbeit – die man erst zu schätzen weiß, wenn man sie mit Abwesenden leisten muss.

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Das simpelste Mittel zur Rückkehr ins Büro ist Zwang

Formal ist die Frage, wie man die Mitarbeitenden an den gemeinsamen Arbeitsort zurück bekommt, sehr einfach zu beantworten: Man ordnet es an. Oder wie es oft geschehen ist: Man nimmt die Ausnahme zurück, dass Mitglieder auch mobil arbeiten können.

Die meisten Organisationen haben von einer vollen Rückkehr zur Präsenz abgesehen. Stattdessen wurden die Vereinbarungen über mobile Arbeit meist mit Mindestanwesenheiten versehen. Mal handelt es sich dabei um prozentuale Verteilungen, mal um fixe Wochentage. Von einem der Interviewten wurden diese sehr bildhaft als „Ankertage“ beschrieben.

Wenn die Mächtigen vor Ort sind, musst Du auch dort sein.“

Es gibt auch informale Wege, Mitgliedern nahezulegen, mehr Zeit in den gemeinsamen Arbeitsräumen zu verbringen. Diese müssen nicht als direkte Überzeugung gemeint sein. In Organisationen mit starker Anwesenheitskultur ist dies auch im alltäglichen Entscheiden spürbar, gewissermaßen als Grundrauschen.

Führungskräfte, die die Arbeit mit Abwesenden als weniger ergiebig empfinden oder die persönliche Begegnung vermissen, orientieren sich von selbst stärker auf das anwesende Umfeld. Das prägt die ganze Organisation. „Wenn die Mächtigen immer vor Ort sind, wird es wichtig auch selbst vor Ort zu sein. Du bekommst die wichtigen Aufgaben, wirst gesehen, und eher befördert“, so eine unserer Gesprächspartner:innen.

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Wie kommuniziert man die Gründe einer Anwesenheitspflicht?

Auch wenn es ehrlich wäre: Es ist ein Tabubruch, wenn Führungskräfte sagen, sie holen ihre Mitarbeitenden zu ihrem eigenen Wohl zurück in die Organisation. Dies wird von den Mitarbeitenden verständlicherweise als Infantilisierung empfunden. Auch die erwähnten Zweifel, dass die Leute zuhause wirklich arbeiten würden, sprechen nur Vorgesetzte laut aus, die das Konzept der vertrauensorientierten Zusammenarbeit schon immer abgelehnt haben.

Für Teamleitungen ist es deswegen hilfreich, wenn die Anordnung von einer höheren Hierarchiestufe kommt. Es gibt ihnen die Möglichkeit, Anwesenheit von den Mitarbeitenden einzufordern, auch dann, wenn diese selbst den Sinn dahinter nicht verstehen. Die Frage der Kommunikation wird damit zweitrangig. Wo es Anordnungen gibt, muss keine zusätzliche Motivation mehr geleistet werden.

Führungskräfte können so außerdem darauf verzichten, ihre eigene Sichtweise auf Anwesenheitspflicht darzustellen. Unabhängig ihrer persönlichen Einstellungen können sie Rollendistanz einnehmen und den typischen Satz; „ich habe die Regeln nicht gemacht“ einsetzen, um den Groll des Teams von sich weg zu lenken.

Welche Folgen hat eine Anwesenheitspflicht für eine Organisation?

Wenn Mitglieder erlebt haben, dass sie überall arbeiten können und es für sie und ihre Leistungen keinen Unterschied macht, ob sie am gleichen Ort wie ihr Team sind oder nicht, werden sie eine Anwesenheitspflicht sehr wahrscheinlich als Enttäuschung erleben.

Das ist kaum vermeidbar. Die Anordnung wird als unnötige Regel erlebt, die eine angenehme Freiheit einschränkt. Welche Folgen dies im Einzelnen haben kann, wird von Organisation zu Organisation und Person unterschiedlich sein. Ganz sicher wird es eine Rolle für ihre Motivation spielen. Enttäuschte Mitglieder neigen eher dazu, „Teilnahmemotivation“ zu zeigen – also das zu leisten, was formal von ihnen erwartet wird, aber wenig mehr. Das Gegenstück dazu ist „Leistungsmotivation“, die alles umfasst, was über formal abzuverlangende Aufgaben hinaus geht.

Was man lassen sollte: Einen Zwang als gute Sache zu verkaufen

Dass die verpflichtende Rückkehr ins Büro von vielen Mitarbeitenden als Rückschritt beobachtet wird, ist in Organisationen nicht verborgen geblieben. Vielerorts wird etwas versucht, was aus organisationssoziologischer Perspektive mindestens zweifelhaft in seinem Nutzen ist: Auf der Schauseite der Organisation die formale Anweisung zur Anwesenheit als Wiederaufleben eines Gemeinschaftsgefühls darzustellen. Unterstützt wird der Schritt durch neue Zuwendungen im Büro, wie eine größere Getränkeauswahl, mehr Freizeitbeschäftigungen oder eine Verbesserung des Komforts.

Dies ist problematisch, weil die Behauptung, alle würden sich über gemeinsame Anwesenheit freuen, sehr einfach als reine Fassade zu widerlegen ist. Auch die zusätzlichen Annehmlichkeiten werden dann rasch als Blendwerk abgetan. Mitglieder, die auf etwas verzichten müssen, das die Lebenssituation so entscheidend verbessert hat wie mobile Arbeit, lassen sich nicht mit einer neuen Lounge Area oder der besseren Kaffeemaschine von diesem Verlust ablenken. Solche Maßnahmen können höchstens Zusätze sein. Gibt es keine sachlichen Gründe, die gemeinsame Zusammenarbeit vor Ort nötig macht, sind sie ausschließlich für die Verbreitung von Zynismus gut.

Braucht unsere gute Zusammenarbeit einen gemeinsamen Ort?

Dies ist auch der wichtigste Hinweis für eine Organisation, die ihre Anwesenheitskultur überprüfen will: Wenn Verpflichtungen zur Anwesenheit als legitim anerkannt werden sollen, braucht es Gründe, die direkt mit den zu erfüllenden Aufgaben zu tun haben. Folgende Fragen helfen, diese Gründe zu finden:

  • Bei welchen Projekten/ Aufgaben ist gemeinsame Anwesenheit besonders wichtig?
  • Gibt es Teams, deren Ergebnisse anders aussehen, seitdem sie mobil arbeiten?
  • Wie gestaltet sich die abteilungsübergreifende Kommunikation in mobiler Arbeit?
  • Hat sich etwas in unserer Kultur, spontan zu sein und Ideen außerhalb der Routine zu finden, verändert?

Und schließlich muss auch bedacht werden: Wie fest ist die Bindung der Mitglieder an die Organisation? Haben sie gute Gründe zu bleiben? Werden die Freundinnen und Freunde mobiler Arbeit es hinnehmen, wenn die Anwesenheitskultur wieder gestärkt wird? Wie viele Mitglieder werden sich fragen, ob sie auch für eine andere Organisation, und dafür aber mobil bzw. von zuhause aus arbeiten können? Und welches Problem ist für die Organisation besser auszuhalten? Der Verlust der Anwesenheitskultur – oder dass man neue Mitglieder rekrutieren muss?

Darauf läuft es bei den wichtigen Entscheidungen in Organisationen immer hinaus: Am Ende entscheidet man weniger über die beste Lösung – sondern für das Lieblingsproblem, das man gerne behalten möchte.

Die gesamte Studie lesen

Dieser Artikel ist ein Auszug aus unserer Studie „Wie jetzt führen – warum mobile Arbeit Führung neu formt“ und fokussiert sich auf die Gründe für Arbeit am gemeinsamen Ort. In der Studie behandeln wir auch die Argumente, denen nach ein gemeinsamer Ort mittlerweile für alles, außer für Arbeit gebraucht wird.

Metaplan Studie als kostenloser Download

Wie jetzt führen? Warum mobile Arbeit Führung neu formt.

Autor

Andreas Hermwille

freut sich, wenn er soziologische Theorien über eine gute Geschichte erzählen kann.

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