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Matthiesen meint

Barbie – der Film: Konsum frisst Feminismus

  • Kai Matthiesen
  • Montag, 7. August 2023
Barbie - der Film

Wenn die Fassade nicht standhält – oder doch?

Ich muss ein wenig über mich selber lachen, dass ich mich auf das Experiment „Barbie – der Film“ eingelassen habe. Was man im Urlaub halt so macht. Selbst schuld. Dann muss ich wohl auch die Zeit investieren, um mir diese Erfahrung wieder aus dem Kopf zu schreiben.

Die Figur „Barbie“ steht schon lange in der Kritik, bedient sie doch Stereotypen hinsichtlich Aussehen und Körperlichkeit, deren negative Wirkung auf junge Mädchen auch in sozialpsychologischen Studien belegt wurde. Harsche Kritiker:innen kreuzigen und verbrennen symbolisch dann auch schon mal eine Puppe.

Der Film nimmt diese und andere Kritik auf. Immerhin. Er findet einen lockeren, als Selbstironie verpackten Ton. Der Nachgeschmack ist übel. Der Ton suggeriert: „Ja, ja, wir wissen schon, aber es ist halt, wie es ist, und wir meinen es ja nicht so.“

Ein Beispiel: Gleich zu Beginn des Films wird das Spielen mit „erwachsenen“ Puppen statt mit Baby-Puppen als Fortschritt dargestellt: Das Mädchen befreit sich aus der Reduktion auf die Rolle als zukünftige Mutter. Auf den Punkt gebracht, wird ein Stereotyp durch ein neues ersetzt. Das gefeierte emanzipatorische Momentum ist da eher flüchtig. (Mit Puppen spielende Jungen tauchen dabei übrigens gar nicht erst auf.)

Ein zweites Beispiel: Das Management-Board von Mattel wird im Film überspitzt als reines Männerteam dargestellt. Die „patriarchalische“ Truppe redet sich mit fadenscheinigen Argumenten heraus und macht sich selbst lächerlich.  Traurige Wahrheit: Das wirkliche Management-Board hat 10 Mitglieder (alle weiß), davon 3 Frauen in den Funktionen HR, Kommunikation und Film. „Ja, ja, wir wissen schon, …“ tun aber nichts.

Ein drittes Beispiel: Die Unternehmensgründerin und Barbie-Erfinderin Ruth Handler, taucht im Film als nette alte Oma auf, „die wohl ein paar kleine Probleme mit der Steuerbehörde gehabt hatte,“ wie es in einem Nebensatz heißt. 1974 wurde ihr betrügerische Bilanzmanipulation vorgeworfen, in der Folge musste sie sich aus der Führung des Unternehmens zurückziehen. Sie war eben diesbezüglich keine nette alte Dame.

Nicht erwähnt werden andere dunkle Flecken in der Firmengeschichte, z.B. ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in China, gesundheitsgefährdende Materialen in Produkten, Verwendung von Papier aus Tropenholz für Verpackungen, …. Auf Anhieb fällt mir auch nicht ein, wie eine Ironisierung hier funktionieren sollte. Irgendwie gefriert mir bei der Vorstellung eines chinesischen Ken in gebückter Haltung und ärmlicher Kleidung das nonchalante Lächeln.

Ironisierung reicht nicht aus – um die klare kapitalistische Message („Kauf mich!“) zu übertönen. Auch wenn alle das Spiel durchschauen, reicht ironische Distanz nicht aus, um es für gut zu befinden.

Mit Ironie scheinen auch die Mitwirkenden sagen zu wollen, „ich bin gar nicht so, ich glaub es ja selber nicht, nur habe ich mich von Mattel kaufen lassen.“ Mattel kauft sich den guten Ruf der Mitwirkenden ein, um sich damit schmücken zu können, eine Fassade aufbauen zu können, hinter der ein hartes Programm abläuft, das man in dieser Härte nicht so klar darstellen mag. Regisseurin und Co-Autorin Greta Gerwig, die sich bisher gern als „independent film maker“ bezeichnen ließ, wird sich von kritischen Geistern wohl andere Bezeichnungen gefallen lassen müssen. Während die ironische Meta-Ebene immer wieder zum Vorschein kommt, dominiert das augenscheinliche kommerzielle Interesse. „Sie war jung und brauchte das Geld!“, fällt mir dazu nur ein.

Ein ähnliches Beispiel des Kulissenschiebens lässt sich schon seit Längerem im Produktprogramm von Barbie beobachten. Es wurden Diversity-Puppen produziert (viele Formen, viele Farben). Diese aber stellen sich bildlich gesprochen im Kreis um die eigentliche Barbie und bestaunen diese. So verstärkt das Zulassen von Diversität nur das Stereotyp; Bestseller bleibt die „stereotype Barbie“. Mattel hat passend zum Film eine Barbie mit den Gesichtszügen der Hauptdarstellerin, Margot Robbie, herausgebracht (auf amazon.de im Segment Puppen auf dem ersten Verkaufsrang, 30.07.2023).

Es könnte ja sein, dass Selbstdistanzierung auch ein Phänomen ist, in dem sich eine gesellschaftliche Veränderung andeutet. Man kann so etwas nicht mehr so platt machen, das einfache Bekenntnis zum Konsum geht reflektierten Menschen nicht mehr so leicht über die Lippen. Oder Selbstdistanzierung ist ein Mittel der Verdrängung, um so weiter machen zu können wie bisher. Um das Bestehende zu stabilisieren.

Und daran, dass alles so bleibt, gibt es manifeste Interessen: Mattel machte 2022 einen Umsatz von mehr als 5 Milliarden USD und einem EBITDA von fast 1 Milliarde USD. Ein knappes Drittel des Umsatzes geht auf die Barbie-Markenfamilie zurück. Der Kurs der Aktie steigt, seit der Film sich als Erfolg erweist.

Unseren Kunden empfehlen wir stets, Schauseite (Werte und Kommunikation) und formale Seite (Strategie und Struktur) der Organisation zumindest lose zu koppeln. Kommunikativ muss sich eine Organisation mit vielen Ansprüchen auseinandersetzen und Positionen dazu entwickeln. Sonst droht ihr die Legitimation fürs organisationale Handeln entzogen zu werden. Zu lose Koppelungen fliegen auf oder werden als Heuchelei gebrandmarkt. In Bezug auf Umweltziele wird „Green Washing“ inzwischen scharf und präzise beschrieben und wendet sich gegen deren Autor:innen. Wer beim Tarnen und Täuschen erwischt wird, steht nicht gut da.

Im Falle von Barbie und Mattel scheint das „Pink Washing“ noch zu gelingen – unfassbar. Uns wird die rosarote Brille aufgesetzt und wer sie aufbehält, mag mit einem glücklichen Grinsen das Kino verlassen. Ich nicht.

Autor
Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augen­merk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisations­mitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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