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Matthiesen meint

Erfolg ist, wenn wir gehen können

  • Kai Matthiesen
  • Freitag, 4. Juli 2025

In der vorigen Kolumne ging es um die Frage, wie man die Gründe für sein Handeln findet und es schafft, mit Veränderungen zu beginnen. Dieser Text diskutiert, woher man weiß, dass der eingeschlagene Weg stimmt – und wie am Ende Erfolg aussehen kann.

Wir haben den Sprung ins Ungewisse gemacht; die Bestandsaufnahme beendet und sind ins Handeln gestartet. Die ersten Hinweise, ob der Sprung zur richtigen Zeit erfolgt und in die richtige Richtung gegangen ist, gibt uns die Landung: Wie nehmen die beteiligten Akteure die Vorschläge fürs Vorgehen auf? War man wirklich an dem Punkt angelangt, an dem die Wirklichkeiten sich ähnlich genug geworden sind? Lassen die „Verlierer“ zu, dass eine aus ihrer Sicht schlechte Entscheidung umgesetzt wird, weil sie sehen, dass sie aus anderer Perspektive eine gute Entscheidung ist?

In dem Fall landet man wieder mit Grund unter den Füßen. Es können erste Dinge verändert werden. So kann sich das Muster wiederholen: Auf die Entscheidung folgt das Verproben, das Anpassen, das Diskutieren, wie es jetzt weiter geht. Und dann folgt wieder eine Entscheidung. Wieder das Verproben. Und so weiter.

Worauf es meiner Erfahrung nach bei diesem Muster ankommt, ist die Bereitschaft, eigene Entscheidungen auch nachträglich noch in Frage stellen zu lassen. So habe ich es zum Beispiel bei einem Maschinenbauer erlebt: Dort hatte man entschieden, das Portfolio zu verschlanken und eine ganze Reihe alter Modelle nicht mehr anzubieten. Das hätte vor allem für die Produktion eine erhebliche Reduktion der Komplexität bedeutet. Doch beim Verproben, in diesem Fall beim Kleindenken der strategischen Entscheidung in operative Maßgaben, kam heraus: Es gibt noch eine erhebliche Nachfrage nach „den alten Knochen“, wie man es im Sales formulierte. Die hätten bei vielen Kunden in deren bestehenden Produktionsanlagen einen festen Platz, der auf den Zentimeter definiert ist.

Mit diesem Muster zu arbeiten ist wichtig, denn nur so verändert sich die Organisation an der Stelle, auf die es ankommt: in den Köpfen der Menschen. Das, was ein Unternehmen, eine Versicherung oder ein Krankenhaus ausmacht, sind die Handlungen und vor allem die Erwartungen ihrer Mitglieder. Wo viele Mitglieder die gleichen Erwartungen teilen, werden sie zu Struktur – und dadurch unabhängig vom einzelnen Kopf. Darum ist das Wichtigste in einem Veränderungsprozess, dass hier die Änderung ankommt: bei der gemeinsam konstruierten, geteilten Wirklichkeit.

Das Wissen bleibt in der Organisation

Das ist einer der großen Unterschiede zwischen konstruktivistisch und zweckrational orientierten Beratungen. Konstruktivistisch orientierte Beratungen machen es der Organisation leichter, sich selbst kennenzulernen, ihre Strukturen so weit zu strecken, dass miteinander in Kontakt kommt, was sich im Alltag nicht berührt. Wie bei einer anspruchsvollen akrobatischen Figur , die zuerst nur mit Unterstützung gelingt, macht konstruktivistische Beratung eine ungewöhnliche Bewegung der Organisation möglich.

Mit einer zweckrationalen Beratung passiert das nicht, weil man andere Ansprüche hat: Die Organisation muss sich nicht strecken oder beugen, sie überlässt das Sammeln und Abgleichen des Organisationswissens ganz den Expertinnen und Experten. Auch das Bemühen um die richtigen Entscheidungen entfällt. Denn was zu tun ist, wird nicht von der Organisation, sondern von Best Practices und Benchmarks informiert. Deren Pseudo-Objektivität kolonialisiert die guten Gründe des Handelns und ersetzt die Notwendigkeit, Einsichten zu vergemeinschaften und eine geteilte Wirklichkeit zu schaffen.

Zweckrational beraten zu werden, ist die entspanntere Erfahrung für die Organisation – solange der Prozess andauert. Hinzu kommt ein Gefühl der Sicherheit, denn man orientiert sich ja an den Best Practices im Wettbewerb. Doch dann kommt der Tag, an dem die Berater wieder gehen. Das gesammelte Wissen nehmen sie mit. Die Benchmarks und Best Practices bleiben als Fremdkörper in der Organisation zurück, festgehalten in einem Hochglanzpapier. Verändert hat sich zu diesem Zeitpunkt in den Köpfen noch nichts, jedenfalls nicht bei der Mehrheit. Mitunter hat man in den Stabsstellen kluge Leute sitzen, die verstanden haben, dass zwischen Organisation und Strategiepapier noch eine große Diskrepanz ist. Aber allein können sie daran auch nichts ändern.

Als konstruktivistische Beratung entwickeln wir zwar auch Strategiepapiere oder andere Formen von Hochglanzdokumenten. Aber wir sehen sie nicht als das Endprodukt der Beratung. Solche Papiere haben Nutzen: als Mittel zum Zweck, nicht als Selbstzweck. Einer unserer Auftraggeber hat es sehr schön formuliert: „Wir haben in die Strategieunterlage nie wieder reingeguckt. Wir mussten es auch nicht: Sie war wie der gut geschriebene Spickzettel, dessen Inhalt man memoriert, während man ihn verfasst und ihn deshalb nicht mehr braucht.“

Unsere Art der Beratung entlastet nicht von Verantwortung

Dass das Entwickeln und Verproben der Strategie in der Organisation bleibt, ist die große Stärke von konstruktivistisch gedachter, deswegen im Diskurs angelegter Beratung: Wenn Entscheidungen von der Organisation für die Organisation entwickelt werden, brechen sie nicht wie Naturereignisse über den Bereich oder die Abteilung herein. Auch wenn nicht alle den Veränderungen zustimmen, werden sie viel besser zur Organisation passen, als wenn sie aus dem Change-Katalog kopiert und in die Organisation eingefügt werden.

Aus der Perspektive von Auftraggebenden ist es vermutlich eine Schwäche von Beratung im Diskurs, dass sie wenig externe Legitimierungsmittel zur Verfügung stellt. Wer selbst (gemeinsam mit anderen) Ideen entwickelt, ist für die Ideen verantwortlich. Stockt der Veränderungsprozess, den eine zweckrationale Beratung vorgeschlagen hat, können die formal Verantwortlichen legitimiert mit den Schultern zucken: Entweder ist die Beratung schuld. Oder die Mitarbeitenden haben Angst vor Veränderung. Oder die Organisation hat noch nicht den Reifegrad der Organisationen, aus denen die Best Practices stammen.

Unsere Art der Beratung sorgt nicht für diese Form von Entlastung. Auftraggebende bleiben verantwortlich für ihre Entscheidungen. Gewissermaßen erhöhen wir noch die Last, weil wir für umfangreiche Information sorgen. Statt Entlastung sorgen wir für Ermächtigung – und für Comittment. Denn der co-creative Prozess aus Diskurs, Entscheiden, Verproben, Anpassen bringt nicht nur Ideen mit sich, die besser zur Organisation passen als alles, was von außen kommen kann. Wer seine Ideen im Prozess eingebunden sieht, hat auch ein stärkeres Interesse daran, den Prozess trotz Fehlern und Problemen zum Erfolg zu führen. Die Gefahr, dass die Transformation als Fremdkörper links liegen gelassen wird und langsam aus dem Bewusstsein der Organisation sickert, ist weitaus geringer. Solange der Diskurs am Leben bleibt, muss gar nicht alles auf Anhieb gelingen.

Darin kumuliert nun, was für uns Erfolg ist: Wenn sich unsere Auftraggebenden in ihrem Mandat als ermächtigt und von der Organisation legitimiert erleben, um ihre Entscheidungen voranzutreiben. Oder kurz: Erfolg ist, wenn man uns nicht mehr braucht. Jedenfalls nicht für das Problem, für das wir eingangs gekommen sind.

Oder im Bild Akrobatik: Wer gelernt hat, sich zu strecken, um die Brücke rückwärts auf die Matte zu bringen, dem muss niemand mehr zur Unterstützung den Rücken halten.

Autor
Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augen­merk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisations­mitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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