In der vorigen Kolumne ging es um die Frage, wie man erkennt, welches Problem man vor sich hat. Verbunden damit ist das gezielte Zweifeln an ersten Lösungsansätzen: Eine Lösung, die für ein anderes Problem gedacht war, passt selten.
Im Folgenden möchte ich darüber nachdenken, wie eine Problembeschreibung in der Organisation Anerkennung findet – und wie man schließlich ins Handeln kommt.
Häufig geht es um diese Kette: von einem Problem zu möglichen Bearbeitungsschritten und weiter zur Bearbeitung des Problems. Spannend daran ist, dass Organisationsberatungen, die in Produktlogiken beraten, sich mit dieser Kette gar nicht beschäftigen müssen. Sobald das Produkt verkauft ist, erübrigt sich die Frage, ob es überhaupt gebraucht wird. Die Lösung war gewünscht – also wird sie geliefert.
Mit einem problemorientierten Ansatz, oder wie ich es auch in vorigen Kolumnen genannt habe, einem konstruktivistischen, können wir diese Abkürzung nicht nehmen. Wir brauchen Antworten auf gute Fragen, um die Organisation in Bewegung zu bringen: Was hängt wie zusammen – und warum?
Jede angestrebte Änderung muss hierauf aufbauen: auf Zusammenhängen, auf die man sich gemeinsam verständigt hat. Denn sinnvoll erscheinen denen, die für die Umsetzung verantwortlich sind, nur solche Maßnahmen, die sich von diesen Begründungszusammenhängen ableiten. Und nur was als sinnvoll erlebt wird, wird auch umgesetzt. Das gilt für jede Hierarchiestufe und jeden Bereich einer Organisation: Soll ein Vertrieb anders arbeiten, muss die Änderung ausgehen von den Begründungen für die aktuellen Verkaufsstrategien. Sollen Führungskräfte ihre Mitarbeitenden anders führen, muss man sich zuerst die Zusammenhänge anschauen, in denen ihre aktuelle Art zu führen begründet ist.
Es gibt kein Optimum der Rationalitäten
Dieses Untersuchen der Begründungszusammenhänge kommt ohne den Selbstbetrug, sich für neutral zu halten, aus. Es gibt einen klaren Ausgangspunkt, eine Perspektive, die zur Kontrastfläche wird für alle anderen: die der Auftraggebenden. Diese haben üblicherweise die Ambition etwas zu ändern. (Wer schon einmal ein Mandat hatte, dafür zu sorgen, dass alles so bleibt wie es ist, meldet sich bitte!) Wir halten die weiteren Rationalitäten, die in der Organisation gelten, gegen diese Kontrastfläche und suchen: Was passt zusammen? Wo liegen die Vorstellungen weit auseinander? Wo scheint es nur ein Missverständnis zu geben?
Veränderungen in Organisationen sind immer eine Frage von Macht. Immer geht es darum, welche soziale Wirklichkeit sich durchsetzt. Wer hier eine Beschreibung der Begründungszusammenhänge anbietet, die die meisten Unterstützer hinter sich vereint, hat bereits eingegrenzt, welche Schritte man als nächstes gehen kann. Das heißt auch: Es geht nicht um die Suche nach dem Optimum und auch nicht darum, sich alle Rationalitäten anzuschauen, um dann zwingend einen Kompromiss zwischen allen Interessen zu finden. Das kann nicht der Anspruch von Beratung sein, denn multirationale Emergenz kann es nicht geben. Es kann nur darum gehen, eine Erzählung zu entwickeln, die die Deutungshoheit gewinnt – und anschlussfähig für die Ambitionen des Auftraggebenden ist.
Ursache-Wirkung-Ketten sind (brauchbare) Illusionen
Möglicherweise ist aufgefallen, dass ich bisher die Begriffe Ursache und Wirkung vermieden habe. Dabei liegt es nahe, sie zu verwenden, wenn es um die Untersuchung von Problemen geht und die Frage, mit welchen Maßnahmen man einem Problem begegnen kann. Ich vermeide dieses Begriffspaar bewusst, weil Ursache-Wirkung-Ketten die Zusammenhänge in Organisationen auf eine modellhafte Wenn-Dann-Gleichung reduzieren, die den Eindruck erweckt, es ginge um die Abbildung objektiver Wirklichkeiten.
Ich gehe so weit zu sagen, dass es gar nicht möglich ist, in einer Organisation auszumachen, was die realen Ursachen hinter einem sozialen Phänomen sind. Dafür sind zu viele Faktoren involviert, die die soziale Dynamik verändern. Darum muss man sich gar nicht mit möglichst objektiven Ursache-Wirkung-Ketten aufhalten. Und aus meiner Sicht sollte man es auch nicht.
Ich halte das Arbeiten mit Ursache und Wirkung mindestens für irreführend, mitunter sogar für destruktiv in einem Beratungsprozess. Es ist gefährlich, eine besonders objektiv wirkenden Ursache-Wirkung-Kette nicht mehr loslassen zu können. Die Gefahr wird deutlich, wenn wir uns erinnern, was das Ziel ist: Nicht die Beschreibung der realen Verhältnisse – sondern „nur“ das Erzählen von Begründungszusammenhängen, hinter denen sich die Organisation sammeln kann.
Vielleicht muss man für diese Erzählung auf die Semantik von Ursache und Wirkung zurückgreifen, weil sie leichter verständlich ist. Da spricht nichts gegen. Nur müssen dann die Erzählerinnen und Erzähler aufpassen, nicht das, was sie zunächst als soziale Wirklichkeit konstruiert haben, anschließend für die objektive Wirklichkeit zu halten.
Wann wird aus Diskutieren Handeln?
Es braucht die gewisse Distanz zur Erzählung, um sie bei Bedarf umschreiben oder ersetzen zu können. Denn wieder: Das Wichtigste ist, dass sich die Organisation mit der dargestellten sozialen Wirklichkeit identifizieren kann. Wenn man das Produkt-Portfolio einer Region überarbeiten will, müssen zuerst die Akteure, die mit der Region zu tun haben, von den Begründungszusammenhängen überzeugt sein. Da hilft es, wenn man pragmatisch sein kann: Die eine Interpretation der Verhältnisse wird abgelehnt? Dann kann man sie überarbeiten und schauen, ob sie in anderer Weise verfängt.
Während man das alles tut, läuft parallel die Uhr weiter. Das ist eine Gemeinheit des Lebens und der Kommunikation, der wir nicht entkommen. Irgendwann ist die Zeit des gedanklichen Verprobens vorbei und das Handeln muss beginnen. Das ist oft deswegen so schwierig, weil man sich damit unweigerlich auf eine Erzählung festlegt. Indem man handelt, hat man sich für die soziale Wirklichkeit entschieden, die die Grundlage der Handlungen bietet. Dann gibt es kein pragmatisches Anpassen mehr.
Beim Umgang mit diesem Problem hat mir Habermas geholfen. In einer Organisation, im realen, wilden Leben, gelten andere Bedingungen als in der „idealen Kommunikationsgemeinschaft“. In dieser können Diskursteilnehmer so lange kommunizieren, bis vollständige Verständigung vorliegt – bis alle alles verstanden haben. Dieser Zustand bleibt real unerreichbar.
Darum muss man irgendwann ins Handeln kommen – und zwar bevor alles besprochen ist. Es macht den Charakter unternehmerischen Handelns aus, dass es noch Unsicherheiten gibt. Die Frage ist nur: Sind die Unsicherheiten klein genug? Fühlt sich alles hinreichend gut an, um den Sprung zu wagen?
Handeln bleibt also Diskursabbruch. Und es ist eine Kunst, den richtigen Moment für diesen Diskursabbruch zu erkennen. Wann ist der Zeitpunkt da, Kairos beim Schopf zu packen? Wie bei aller Kunst gilt auch hier: Wer es nicht versucht, der lernt es nicht!