Dies ist der vierte Teil einer mehrteiligen Serie über Strategiearbeit. In der Reihe bereits erschienen:
Ich gehe für diese Reihe von einer Organisation aus, die dringend etwas ändern muss. Im vorigen Teil ging es darum, wie man zu wirksamen Entscheidungen kommt. Dieser Teil diskutiert, was passieren muss, damit es auch zu nachhaltigen Veränderungen kommt.
Wir sind fast am Ziel mit der Organisation, die ihre Vorgehensweise ändern wollte. Für die letzte Phase sind die Herausforderungen überschaubar – vorausgesetzt, auf den vorigen Etappen ist nichts schief gegangen. Die Strategie wird aktiviert; „Roll-Out“, heißt es in vielen Transformations-Roadmaps, wobei ich den Begriff nicht mag. Strategien sind keine Produkte, die man baut und als fertiges, feststehendes Ergebnis der Welt präsentiert. Ihre Umsetzung ist auch immer Reinterpretation.
Für mich ist deswegen eine entscheidende Frage, an der sich Strategien in dieser Phase messen lassen müssen: Was ist jetzt anders als vorher? Und zwar ganz konkret: im alltäglichen Handeln, in der internen Zusammenarbeit, im Kontakt mit Kunden. Was bisher nur Wort war, muss zur Tat werden können.
Das gelingt meiner Erfahrung nach am besten, indem man entlang der Arbeitskontexte (üblicherweise: in den arbeitsteiligen Funktionen und entlang der Hauptprozesse in der Wertschöpfungskette) Gruppen bildet, die die für sie relevanten Aspekte der Strategie nehmen und genau diese Frage stellen: Was ist jetzt anders? Wie ändert sich unsere Arbeit? Wenn sich etwa ein Maschinenhersteller der customer-centralization verschreibt, klingt das erst einmal gut – ist aber auch banal. Jedes Unternehmen am freien Markt hat Umgang mit Kunden und orientiert sich an diesen. Aus der Verkündung kann dann konkretes Handeln werden, wenn etwa Produktion und Vertrieb zusammen ihre Arbeitsweisen überdenken. Für die Produktion kann das heißen: Wir produzieren nicht mehr auf Lager; stattdessen arbeiten wir eingehende Bestellungen ab – mit den entsprechenden Folgen für die Beschaffungsprozesse.
Der Vertrieb hat nun die Aufgabe, für diese Bestellungen zu sorgen – was etwas ganz anderes ist als der Abverkauf fertiger Maschinen vom Lager. Die Beratung der Kundinnen und Kunden zu dem, was sie brauchen, was sie sich wünschen und was möglich ist, nimmt an Bedeutung zu. Eventuell werden sie neue Kompetenzen brauchen, da jetzt mehr Fragen stellbar und mehr Antworten möglich sind als früher, als man sich an einem festen Katalog orientieren musste.
Legitimiert den Status Quo infrage stellen
Eine zweite Frage, die in Organisationen zu selten gestellt wird, aber durch einen Strategiewechsel legitim geäußert werden kann, ist: Was können wir jetzt weglassen? Im Arbeitsalltag ist es eher üblich, dass Aufgaben dazukommen. Dinge wegzulassen, „Ist das wirklich nötig?“ zu fragen, ist zum einen eine mit Risiko behaftete Initiative. Zum anderen sind Mitarbeitende besonders in großen Organisationen gewohnt, ständig Aufgaben zu erfüllen, deren Sinn sich ihnen nicht erschließt. Sie abzuarbeiten geht meist schneller, als den Sinn zu suchen. Das kann Ausmaße annehmen; mitunter existieren ganze Abteilungen , die vielleicht in der Vergangenheit einen klaren Zweck hatten – den mittlerweile aber niemand mehr kennt. Strategieverkündungen geben also Anlass, den Status Quo in Frage zu stellen.
Eine Strategie entlarvt sich als unbrauchbar, wenn sie sich diesen konkreten Fragen entzieht. Ein Indikator dafür ist für mich das Wort „gleichzeitig“. Das Neue wird verkündet, gleichzeitig hält man an bisherigen Vorgehensweisen fest. „Was denn nun?“, ist die berechtigte Frage, mit der man aus dem operativen Bereich auf diese rhetorischen Tricks reagiert. „Machen wir jetzt etwas anders, oder bleibt es gleich?“
Nicht nur unnütz, sondern aus meiner Sicht gefährlich wird es, wenn eine neue Strategie ausschließlich durch innere Veränderungen realisiert werden soll. Formal bleibt die Struktur unangetastet, aber die Haltung, das Mind-set, die Arbeitsweise, das Miteinander, soll sich ändern. Das ist vorprogrammierte Übergriffigkeit – denn wenn die Strategie jetzt nicht fruchtet, ist wenigsten schon einmal geklärt, wer schuld ist: die Mitarbeitenden . Sie haben die Veränderung nicht stark genug gewollt.
Der Nutzen einer guten Darstellung
Persönlich bewege ich mich grundsätzlich auf der nüchternen Seite der Strategiearbeit. Sobald es um eine angemessene Darstellung geht, die „alle mitnimmt“, sobald Image-Videos und Slogans entstehen, werden im Zuge der geglätteten Präsentation zu oft die Argumente mitgeglättet. Die „Was ändert sich jetzt konkret?“-Frage wird dadurch für die Einzelnen schwieriger zu beantworten. Allerdings habe ich im Laufe der Zeit eingesehen, dass eine gute Erzählung ihren Wert hat. Sie bearbeitet den Rest Unsicherheit in der Organisation, der bleibt, auch wenn alle strategischen Veränderungen als konkrete Handlungen ausgedeutet wurden. Ein bisschen Show, ein bisschen „Verführung“, wie es ein Kunde von mir nannte, wird immer noch gebraucht.
Darum geht es im nächsten Teil dieser Reihe.
… to be continued…