Zum Hauptinhalt der Webseite
Organize Podcast

#18 Der Hochofen fürs Homeoffice?

  • Alexander Keil
  • Christina Aumann
  • Freitag, 14. Oktober 2022

Die Umstellung auf dauerhaft funktionierende Konzepte hybrider Arbeit stellen Organisationen vor Herausforderungen. Wie viel sollte allgemeingültig geregelt sein? Was ist besser Sache der Teams? Bei thyssenkrupp Steel Europe lässt man den Teams viele Freiheiten in der Ausgestaltung ihrer Regeln. Wie gut funktioniert das? Wo gibt es Herausforderungen?

Darüber sprechen Christina Aumann, Head of CHRO Strategy & Transformation bei thyssenkrupp Steel, und Alexander Keil, Metaplaner mit Expertise im Bereich mobiler Arbeit. Moderiert wird das Gespräch von Andreas Hermwille.

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Spotify zu laden.

Inhalt laden

Skript zum Gespräch

(Das Skript gibt den Gesprächsverlauf und Inhalt wieder, ist aber gekürzt und an einigen Stellen zum leichteren Verständnis vom Wortlaut abweichend überarbeitet.)

Andreas Hermwille: New Work, mobile Arbeit oder Homeoffice – Christina, welche Begriffe nutzt ihr bei thyssenkrupp und wie sind bei euch Arbeitsformen jenseits der klassiven Arbeit vor Ort formal geregelt?

Christina Aumann: Wir nutzen den Begriff des hybriden Arbeitens, um die Mischung aus der Arbeit klassisch mit Präsenz im Unternehmen und dem mobilen Arbeiten im Homeoffice zu beschreiben. Bei uns können Mitarbeitende bis zu 60 % mobil arbeiten und in Ausnahmefällen auch darüber hinaus. Das heißt wir lassen vieles offen.

Andreas Hermwille: Alexander, was macht das mit einer Organisation, wenn man Regelungen zu hybridem Arbeiten sehr offen gestaltet?

Es gibt keine One-Fits-All Lösungen für mobile Arbeit

Alexander Keil: Zunächst kann man davon ausgehen, dass es keine perfekten Lösungen in Organisation gibt, sondern man sich mit jeder Lösung immer für die Folgeprobleme entscheidet, die man glaubt am besten managen zu können. Bezogen auf die mobile Arbeit heißt das: Man kann sich entweder dafür ent­scheiden, das Thema wirklich zu regeln. Das schafft Erwartungssicherheit für die Mitglieder, hinter die man dann aber auch nicht mehr zurück kann, das heißt alle Abweichungen, die man machen will, werden begründungspflichtig.

Alternativ kann man auf klare Regelungen verzichten, wodurch ein situativer Gestaltungsspielraum entsteht, indem Mitarbeitende selbst entscheiden können. Hier muss die Ausgestaltung der mobilen Arbeit demnach immer neu verhandelt werden, wobei das permanente Entscheiden auch als stressig empfunden werden kann. In diesem Sinne wird sich meist für die Lösung entschieden, die für die Organisation am praktikabelsten ist.

Andreas Hermwille: Muss es für die Organisation am praktikabelsten sein oder für die Mitglieder? Mein Gefühl sagt, der Organisation wäre eine feste Regelung immer lieber.

Mobiles Arbeiten verändert vorhandene Führungsmittel

Christina Aumann: Bei uns haben sich auch viele Führungskräfte Stabilität gewünscht. Als wir dann aber in einem Pilotprojekt mit Metaplan zusammen genauer nachgefragt haben, kam heraus, dass die überwiegende Mehrheit eigentlich mit Regelungen, die wir Personaler entscheiden, in Ruhe gelassen werden will. Insbesondere Führungskräfte möchten lieber die Entscheidungs­hoheit haben und selbst für ihre Teams alle Regeln so gestalten können, wie es für sie praktikabel ist.

Andreas Hermwille: Was macht das mit dir als Personalerin, das zu hören?

Christina Aumann: Ich fand das super! Ich bin auch keine lupenreine Persona­lerin, sondern eher an der Schnittstelle. Und aus meiner Sicht ist damit genau das passiert, was ich möchte, nämlich, dass Führung am Ort des Gescheh­ens und nicht irgendwo in  den formalen Regeln stattfindet.

Führung sollte am Ort des Geschehens und nicht in den formalen Regeln stattfinden.

Aber das hat – wie Alexander sagt – alles zwei Seiten. Wenn die Menschen in der Organisation selbst ausgestalten, was für ihr Team hybrides Arbeiten bedeutet, erfülle ich ihnen zum einen genau das, was sie wollen, indem ich ihnen die Autonomie gebe, selbst zu entscheiden. Auf der anderen Seite nehme ich damit den Führungskräften ihre Führungsmittel weg. Diese Stabilität, morgens ins Büro zu kommen, Aufgaben persönlich zu delegieren und die Stimmungen der Mit­arbeitenden mitzubekommen entfällt bei mobiler Arbeit und hinterlässt eine Unsicherheitszone, die irgendwie neu gestaltet werden muss.

Andreas Hermwille: Ein klassischer Fall vonWer fragt, muss mit der Antwort leben“. Ist es für die Organisation nicht sehr aufwendig, ihre Mitglieder nach ihrer Meinung zu befragen?

Alexander Keil: Wir haben in dem Pilotprojekt versucht, einerseits nachzufragen und teambezogene Regelungen zu finden, andererseits aber auch eine Stan­dardisierung zu entwickeln, die andere Teams befähigt, selbstständig so einen Prozess zu durchlaufen, ohne dass es zu aufwendig wird. Dafür haben wir ein Workbook entwickelt, das die klassischen Stolperfallen rund ums Thema New Work aufgreift.

Gemeinsamer Diskurs kann die Zusammenarbeit neu ordnen

Christina Aumann: Wenn unsere Führungskräfte und Teams täglich aushandeln müssten, wer von wo aus arbeitet, das wäre vermutlich für alle Beteiligten der Horror. Mit den Teamregeln, die wir geschaffen haben, können wir diese situativen Entscheidungskorridore etwas verengen.

Das Wichtigste war aber, dass sich die Teams zusammengesetzt haben und sich gemeinsam gefragt haben: Was macht es für uns aus, gut zusammenzuarbeiten? Wofür lohnt es, gemeinsam im Büro zu sein, was können wir anders besser machen?

Andreas Hermwille: Das heißt, die Regelungen sind von Team zu Team unterschiedlich?

Christina Aumann: Genau, wobei nicht jedes Team komplett unterschiedlich läuft. Wir hatten fünf Pilot-Teams, die von der Tätigkeit sehr unterschiedlich angelegt waren, also z. B. ein Team aus dem Bereich Arbeitssicherheit, wo viel mobile Arbeit möglich ist, die Kolleg*innen aber für die Produktion ansprechbar sein müssen, ein Team aus der IT, die nahe an den 100 % remote work sind, und auch ein Team aus der produktionsnahen Verwaltung, die zwar mobil arbeiten können aber eine gewisse Sichtbarkeit haben müssen, weil ihre Kolleg*innen in der Produktion nicht mobil arbeiten können.

Am Beispiel dieser Pilotteams haben wir diesen Prozess musterhaft durchlaufen und fünf Muster für Teamvereinbarungen erstellt. So haben wir eine Bandbreite an Möglichkeiten entwickelt, wie man es machen kann, die wir allen anderen Teams im Unternehmen zur Verfügung gestellt haben.

Einsichten aus der Metaplan-Studie über Mobile Arbeit

Brauchen Organisationen noch das gemeinsame Büro?

Alexander Keil: Spannend fand ich, dass man im Team durch diesen Prozess ein Bewusstsein dafür geschaffen hat, dass sich die Führung und damit auch die Führungsmittel verändert haben. Da gab es auch einen Perspektivwechsel auf der Ebene der Mitarbeitenden.

Christina Aumann: Vielleicht war das auch der wichtigste Schritt. Wenn man sich die Regelungen anguckt war da gar nicht so viel Neues dabei. Aber man hat sich zusammengesetzt, die Regeln gemeinsam neu ausgehandelt und auch Perspektiven getauscht.

Anlassbezogene Regelungen schaffen flexible Arbeitsformen

Andreas Hermwille: Könnt ihr einmal beschreiben, wie diese Teamregelungen konkret aussehen?

Christina Aumann: Die Teamregeln decken ganz allgemeine Sachen ab, wie z. B.wie beginnen wir unseren gemeinsamen Tag? In meinem Team machen wir jeden Morgen um 9:00 einen gemeinsamen Check in – und wer um 8:50 schon ins Meeting kommt, der kann noch mit den anderen gemeinsam einen Kaffee trinken. Beim Check in besprechen wir, was an dem Tag anliegt und wer wen unterstützen kann, sodass alle Transparenz haben über das, was passiert.  Wir haben auch Anlässe festgelegt, bei denen wir uns gern zusammen im Büro treffen wollen, zum Beispiel bei Planungsmeetings, Kreativmeetings oder wenn wir Feedback Gespräche führen.

Andreas Hermwille: Da kann ich mir doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, provokant nachzufragen: Wir haben uns heute ab 9:00 getroffen, um den Podcast aufzunehmen. Ich bin mir ziemlich sicher, du warst heute nicht in deinem Check in, Christina, kann das sein? Wie geht ihr also mit Ausnahmen um? Jede Regelung ist ja nur so viel wert, wie sie auch gelebt wird.

Christina Aumann: Völlig richtig. Ich war heute Morgen nicht im Check in und habe allen anderen gesagt „Heute ohne mich“. Und genau so regeln wir das: Ausnahmen sind in Ordnung.

Es braucht regelmäßig Anlässe für gemeinsame Auseinandersetzung

Andreas Hermwille: Und wenn man das mal abstrahiert: Wie halten Organisationen die Regeln, die sie sich gegeben haben, relevant?

Alexander Keil: Ganz einfache Antwort: Man gibt sich nur Regeln, die relevant sind. Und Regeln, die sich als nicht relevant oder unpraktisch herausstellen, sollten überarbeitet werden. Habt ihr da einen regelmäßigen Rhythmus, Christina, in dem ihr noch einmal auf die Teamregeln drauf schaut?

Christina Aumann: Wir empfehlen unseren Teams, diesen Prozess nach einer gewissen Zeit einfach noch einmal zu wiederholen. Nicht unbedingt, um die Regeln neu zu justieren, sondern damit die Teams regelmäig darüber ins Gespräch kommen, wie sie zusammenarbeiten wollen. Ich glaube, dass dieser Anlass eigentlich viel wichtiger ist als das Blatt Papier, das am Ende produziert wird. Aufgeschriebene Regen sind eigentlich nur eine Grundlage, auf die sich alle im Falle eines Konflikts berufen können berufen können. Viel wichtiger ist, Anlässe für gemeinsame Auseinandersetzungen zu schaffen.

Alexander Keil: Und tauschen sich die Teams untereinander über das aus, was da jeweils verhandelt wurde?

Christina Aumann: Ja, absolut. Das ist vor allem im Produktionsbereich spannend, da sich dort die Arbeitsweisen sehr ähnlich sind. Da müssen wir auch aufpassen, dass es gerecht bleibt, und über Stellenausschreibungen und Betriebsvereinbarungen auch ein bisschen Fairness herstellen, weil wir die Regelungen nicht völlig unterschiedlich gestalten wollen, wenn Mitarbeitende eigentlich die gleiche Arbeit machen.

Noch gibt es keinen Hochofen fürs Homeoffice

Andreas Hermwille: Im Kern seid ihr ja zunächst auch ein Produktionsunternehmen, in dem es um Stahl geht. Wie macht man da hybrides Arbeiten? Ich kann mir den Hochofen fürs Homeoffice noch nicht so richtig vorstellen.

Christina Aumann: Ja, da hast du natürlich völlig recht, das ist eine große Herausforderung. Mitarbeitende, die auf Schicht tätig sind und an der Anlage auf dem Leitstand arbeiten können natürlich nicht mobil arbeiten. Die Mitarbei­tenden stellen sich diese Frage nach Homeoffice aber auch gar nicht. Spannen­der ist es für Bereiche, die nahe an der Produktion arbeiten aber auch Tätig­keiten haben, die mobil durchführbar sind. Da müssen wir uns fragen: Wie schaffe ich attraktive Arbeitsbedingungen für die Menschen, die nicht mobil arbeiten können?

Andreas Hermwille: Das heißt ihr geht gerade auch im Bereich der Produktion in die Auseinandersetzung?

Christina Aumann: Ja, zumindest in den Bereichen, die nahe an der Produktion arbeiten, z. B. Mitarbeitende, die als Ingenieure in den Werken die Anlagen betreuen. Die haben auch Tätigkeiten wie das Reporting oder das Schreiben von Arbeitssicherheitsanweisungen, die auch mobil möglich sind.

Andreas Hermwille: Alexander, wie verhält sich dieser Wunsch nach Gerech­tigkeit im größeren Kontext? Ist das ein häufiges Konfliktthema an der Schnittstelle von Produktion und Verwaltung?

Erkenntnisse aus der Studie Wie jetzt führen

Wieso mobile Arbeit die Gerechtigkeitsfrage laut werden lässt

Alexander Keil: Absolut. In unserer Studie zu mobiler Arbeit hat sich gezeigt, dass die Diskussion über Gerechtigkeit im Rahmen von mobiler Arbeit auch dafür benutzt wird, um über das Verhältnis von Mitarbeiter*innen zu ihrem Unterneh­men neu zu verhandeln. Spannend ist, darauf zu schauen, welche Fragen im Rahmen von mobiler Arbeit verhandelt werden, die eigentlich vor der Pandemie bereits virulent waren.

Christina Aumann: Ja, dem kann ich nur zustimmen. Diese Fragen der Gerech­tigkeit waren wahrscheinlich auch vorher schon da, werden aber über die Debatte um mobile Arbeit plötzlich viel sichtbarer. Während der Lockdowns wurde es besonders deutlich, wenn Mitarbeitende aus der Produktion trotzdem am Arbeitsplatz erscheinen mussten, während andere von Zuhause arbeiten durften.

Andreas Hermwille: Da höre ich ein bisschen heraus: Der Bereich Verwaltung, IT und produktionsnahe Verwaltung ist auf Spur, was die mobile Arbeit angeht, aber im Bereich der Produktion steht ihr noch vor der Herausforderung.

Auch im Produktionsbereich lässt sich Arbeit flexibilisieren

Christina Aumann: Genau. Für einen Teil der Beschäftigten haben wir jetzt gute Lösungen gefunden, aber spannend bleibt, wie wir auch im Bereich der Produk­tion Arbeit flexibilisieren können. Da stehen wir aktuell und wollen nun mit den Mitarbeitenden in den Diskurs gehen, welche Wege es geben kann, den persön­lichen Arbeitsplatz attraktiv zu gestalten. Oft gibt es ja bereits informal schon gute Lösungen, die man sich anschauen kann.

Alexander Keil: Häufig geht es bei Gerechtigkeitsfragen ja vor allem darum, das Bewusstsein zu schärfen und gut hinzuschauen, um das Thema zu entspannen.

Christina Aumann: Es ist wichtig, genau hinzuschauen. Auch wenn es in der Produktion grundsätzlich beim Schichtbetrieb bleiben muss möchten wir versuchen, andere Möglichkeiten der Flexibilisierung zu finden, zum Beispiel, indem Schichten spontan getauscht werden können, um mal die Kinder aus der Schule abzuholen. Da müssen wir einfach kreativ werden und gut zuhören, was die Mitarbeitenden sich wünschen. Meist liegen die besten Lösungen bei denjenigen, die die Arbeit machen.

Alexander Keil

Alexander Keil

freut sich am meisten über soziologische Tricks, die bessere Partizipation ermöglichen.

LinkedIn® Profil anzeigen

Christina Aumann

hat bei thyssenkrupp Steel Europe besonderes Augenmerk auf New Work und Hybrides Arbeiten.

LinkedIn® Profil anzeigen

Du interessierst dich für unsere Themen?

Mit dem VERSUS Newsletter halten wir dich regelmäßig über neue Artikel, Themen und Angebote auf dem Laufenden.