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New Work

Authentizität und Partizipa­tion in Organisationen

  • Kristina Willjes
  • Tabea Koepp
  • Mittwoch, 4. Mai 2022
Authentizität und Partizipation in Organisationen
© Arkadiusz Szwed

Sich bei der Arbeit nicht verbiegen müssen, partizipativ mitwirken und mit ehrlichem, authentischem Einsatz über­zeugen können: Das ist ein Angebot, das Organisations­mitgliedern immer häufiger begegnet – ein Versprechen, aber auch ein Anspruch, der unter Organisationen als modern gilt. Wir zeigen, wieso solche Versprechen erwart­bar enttäuscht werden und die Folgeprobleme, die das haben kann.

„Wenn Du zu uns kommst, wirst Du Teil eines tollen Teams mit echten Gestal­tungsmöglichkeiten und Verwirklichungschancen, no Bullshit!“ Versprechen wie diese finden sich mittlerweile in vielen auf Startup-Kultur getrimmten Ausschreibungen, die postbürokratische ebenso wie klassisch bürokratische Organisationen formulieren. Es scheint gesetzt, dass in modernen Arbeits­verhältnissen Authentizität, Identifikation mit dem Organisationszweck und Partizipation eine große Rolle spielen. In der Debatte um New Work nimmt dies dann auch einen besonderen Stellenwert ein.

Unklar bleibt, ob es wirklich die Mitglieder sind, die bei ihrer Arbeit mehr „sie selbst“ sein wollen – oder ob es nicht vielmehr die Organisationen sind, die hoffen, dass ihre Mitarbeitenden bessere Leistungen bringen, wenn sie sich mit Zwecken und Handlungen stärker identifizieren und sich diese partizipativ mitwirkend zu eigen machen. Unabhängig davon, woher das Interesse rührt, verändert es Organisationen, wenn die Arbeit – neben vielem anderen – auch authentisch, identifikationsstiftend und partizipativ sein soll. Hier werden Erwartungen geweckt: Wer den Anspruch ernst nimmt und sich entsprechend Mühe gibt, erwartet folgerichtig eine Honorierung seines angepassten Engage­ments. Wer sich für etwas einsetzt, möchte wirksam sein und dies auch in den weiteren Entwicklungen erkennen können.

Die durch die Organisation selbst induzierte Erwartungshaltung birgt Vorteile, etwa wenn sich die Mitarbeitenden die jeweiligen Ziele zu eigen machen und voran bringen wollen. Zugleich sind Organisationen häufig gar nicht darauf eingestellt und gar nicht so ausgestattet, dass sie mit den persönlichen Impulsen ihrer Mitglieder adäquat umgehen (können). Tatsächlich ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Organisationen Authentizität und aktive Beteili­gung einfordern, ihr dann aber nicht gerecht werden (können) – und das aus guten Gründen.

Authentisch sein klingt einfach – ist aber kompliziert

Die meisten von uns wissen es zu schätzen, wenn wir ein Gegenüber haben, dass sich mit der ganzen Person einbringt, gerade heraus ist und ehrlich seine Emotionen zeigt. Wir nennen das authentisch. Zugleich ist es schwer zu benennen, woran genau wir eigentlich erkennen, dass jemand authentisch ist. Denn es gibt Anforderungen wie Takt, Anpassungsfähigkeit und Begrenzungen dessen, was man anderen persönlich zumuten kann und will, und das gilt gerade auch in Organisationen. Nun sind das keinesfalls Gegenbegriffe zu Authentizität. Im Gegenteil: Auch diese Verhaltensweisen sind in der Regel Teil einer authen­tischen Darstellung. Kurz: Bei dem Wunsch nach authentischem Verhalten geht es weniger um die Person selbst, als vielmehr um die Frage, wie man jemanden wahrnimmt, und das hängt nicht zuletzt von der Beobachterin ab.

So sehr sich Organisationen also bemühen: Sie können im Prinzip nicht fest­stellen, ob sich ihre Mitglieder tatsächlich authentisch einbringen und persön­lich bei der Sache sind oder ob sie nur so tun. Auch wenn es in Debatten um New Work, selbstorganisierte Führung und Purpose Driven Organizations zuweilen den Anschein macht: Letztlich kann man seinem Gegenüber nicht hinter die Stirn gucken und das gilt eben auch und gerade für Organisationen. Sie haben keinen Zugriff darauf, was ihre Mitglieder denken und fühlen, auf das sogenannte „Mindset“ – und das ist auch gut so.

Denn Organisationen sind darauf angewiesen, dass sie grundsätzlich von allen anderen Rollen ihrer Mitglieder absehen können. Das klingt hart und gilt natür­lich nicht für jeden Einzelfall, reduziert insgesamt aber die Komplexität und den Koordinationsaufwand innerhalb der Organisation um ein Vielfaches. Um die Zwecke zu bearbeiten und Aufgaben zu verteilen muss man eben nicht auch noch zwingend berücksichtigen, dass Jana Trainerin im örtlichen Fußballverein ist und Metin gerade eine Trennung durchlebt. Je mehr der Fokus auf der Person und das Einbringen ihrer Persönlichkeit liegt, desto schwieriger wird es, von ebendieser abzusehen. Ganz zu schweigen von der Übergriffigkeit den Mitgliedern gegenüber, die mitunter gar kein Interesse daran haben, ihr Innen­leben mit ihrem Arbeitgeber zu teilen.

Organisationen können Raum zur Selbstdarstellung mitdenken

Sofern die Organisation in ihren Entscheidungen nicht auch noch die persön­lichen Bedarfe ihrer Mitglieder berücksichtigen will, ist es aussichtslos und gar nicht unbedingt erstrebenswert für sie, eine Geisteshaltung einzu­fordern, die unabhängig von Taten existiert. Für typische Anforderungen im Kontext von partizipativen Formaten und New Work stellt das mitunter ein Problem dar. Ein gemeinsam gestalteter Transformationsprozess beispielsweise zielt darauf ab, dass sich die Mitglieder mit den Zielen identifizieren und insofern intrinsisch motiviert Lösungswege suchen. Über die Identifikation soll abgesichert werden, dass es sich dabei um möglichst gute Lösungen handelt, die sich die Mitglieder zu eigen machen und akzeptieren. Ob dem wirklich so ist, bleibt erst einmal offen. Aber: Organisationen können ermöglichen, dass sich ihre Mitglieder aktiv einbringen, intrinsisch motivieren und bei all dem möglichst authentisch sind, und zwar, indem sie genau solche Räume schaffen, so dass sich die Mitarbeitenden selbst darstellen (können).

Authentizität ist nicht messbar – aber beobachtbar.

Mit „Selbstdarstellung“ bezeichnen wir hier nicht den selbstbezogenen Menschen, der seinen Geltungsdrang nicht bändigen kann. Vielmehr haben wir hier Menschen als soziale Wesen vor Augen, die als solche in Interaktion miteinander treten und dabei immer auch die Erwartungserwartungen ihres Gegenübers antizipieren und den jeweiligen Kontext in ihrem Verhalten berücksichtigen.

Allgemein könnte man sagen: In jeder Situation, in der die Person hinter der Mitgliedschaftsrolle sichtbar wird, kann sie sich selbst darstellen. Authentisch wird diese Darstellung dann, wenn sie sich für Beobachter:innen schlüssig an bisher beobachtetes Verhalten anschließt. Authentizität ist somit zwar nicht messbar – aber beobachtbar. Grundsätzlich vermögen wir intuitiv zu unter­scheiden, ob etwas gerade im Rahmen einer vorgegebenen Rolle und dem daran geknüpften Bündel an Verhaltenserwartungen geschieht oder persönlich zuzuschreiben ist. So wissen wir etwa, dass die Ruppigkeit von Türsteher:innen bisweilen zu deren Rolle gehört und Stewardessen mit andauerndem Lächeln und Freundlichkeiten aufwarten.

Jede Organisation bietet andere Darstellungschancen

Die Beispiele zeigen bereits an, dass Chancen zur Selbstdarstellung immer auch strukturell in der Organisation angelegt sind – auf formaler wie auf informaler Ebene. Sie bieten sich bei formal eng gesteckten Regeln ebenso wie bei Arbeitsprogrammen mit offenen Zielvorgaben. Letztlich sind es aber die interaktionslastigen Formate, die besonders viel Raum lassen. Als eine Art Faustregel kann man festhalten: Steigen in Organisationen die Interaktions­anlässe, mehren sich damit auch die Anforderungen an die Selbstdarstellung – und die Möglichkeiten, sie zu nutzen und sich als Person hinter der Rolle zu zeigen.

Partizipative Formate sind so gesehen eine regelrechte Fundgrube für persönliche Selbstdarstellungsmöglichkeiten. Wenn man etwa im partizipativ angelegten OE-Prozess gemeinsam etwas bewegen möchte, gibt es viel Raum, die eigenen (zögerlichen, begeisterten, skeptischen oder enthusiastischen)  Überzeugungen und Ideen einzubringen und damit sich selbst darzustellen. Je nachdem, auf welche Arten und Weisen man den organisationalen Alltag gestaltet, gibt es also viele Möglichkeiten, sich als Mitglied (authentisch) einzubringen – oder eben nicht.

Authentische Begeisterung wird schnell zu authen­tischer Enttäuschung

Jetzt könnte man meinen: Dann ist das doch ganz einfach. Die Organisation bietet ihren Mitgliedern möglichst viel Raum, sich zu entfalten und an der Organisationsgestaltung zu beteiligen und schon hat sie erreicht, was sie möchte: Authentische, für das Ziel begeisterte und intrinsisch motiviert mitwirkende Mitglieder! Aber – und darauf wollen wir hinaus –  es gibt einen dicken Haken: Denn wer seine Mitglieder auffordert, sich authentisch einzu­bringen und persönlich zu involvieren, steigert damit in hohem Maße die Komplexität und insbesondere die Anschlusserwartungen der Mitarbeiten­den. Wer sich für eine Sache eingesetzt hat, will auch Ergebnisse sehen. Wird das nicht eingelöst, kann dies schnell zu Frustration führen. Nicht selten enden partizipative Formate in der all zu bekannten Zynismusfalle, in der die Mitarbeitenden ob ihrer Erfahrungen maximale Distanz zu den Aufgaben einnehmen und trotz ihres Mitwirkens bei nahezu jeder Gelegenheit deutlich zur Schau stellen, dass sie keine Wirksamkeit ihres Tuns mehr erwarten.

Der Erfolg von Partizipationsformaten hängt eng damit zusammen, was als Ziel der Beteiligung im Vorfeld kommuniziert wurde.  Wird angekündigt, dass die Beiträge den Veränderungsprozess maßgeblich gestalten, sollte genau das auch im Ergebnis sichtbar werden. Das bedeutet zu aller erst, dass man Zeit einplanen muss, um die entstandene Komplexität wieder einzufangen und die mitunter breit gestreuten Ergebnisse zu verarbeiten.

Interaktionsformate

Wir müssen mehr reden! Wozu Interaktionsformate doch gut sind

Erschreckend oft passiert es, dass viel Aufwand betrieben wird, um die Mitglie­der einzubinden, nicht aber die Frage mitgeführt wird, wofür genau eigent­lich, was der Organisation dann auf die Füße fällt. Denn wenn die Organisation Authentizität einfordert und dann nicht „ehrlich“ ist mit Blick auf die versproche­ne Partizipation, stellt sich bei den Mitarbeitenden das Erleben ein, betrogen worden zu sein. Wenn Workshops als solche ausgeflaggt werden, in denen Entscheidungen mitgestaltet werden können und sollen, dann aber nur dazu dienen, vorab bereits entschiedene und zudem schwer verdauliche Kost zu vermitteln – dann haben die Beteiligten kaum eine Wahl: Sie müssen Distanz einnehmen, denn sie haben sich als jemand dargestellt, der dem Angebot der Organisation vertraut und eigene Ideen, wenn nicht gar die eigene Persönlich­keit einbringt. Kolleg:innen und Vorgesetzte, sie alle haben die Selbstdarstellung als engagiertes Mitglied beobachtet. Um nun das eigene Gesicht zu wahren und nicht als naiv dazustehen, liegt es nahe, sich zynisch zu zeigen und alle weiteren Beteiligungsofferten der Organisation mit ironischem Unterton oder offener Ablehnung zu begleiten. Was man dabei nicht vergessen darf: Auch diese Reaktionen sind authentisch – auch wenn es der Organisation in diesem Fall nicht gefallen mag.

Organisationen müssen kommunizieren, wie viel Gestaltungsraum sie geben

Natürlich ließe sich das Maß an Enttäuschung reduzieren. Zum einen könnte man sprachlich etwas abrüsten und die Begriffe Authentizität und Partizipation etwas sparsamer verwenden. Zum anderen besteht die Übung darin, sich als Organisation im Vorhinein klar zu machen, was genau man von seinen Mitarbei­tenden erwartet und welche Gestaltungsräume man ihnen tatsächlich geben möchte. Als Kontinuum gedacht, lassen sich drei wesentliche Fragen zum Grad der Beteiligung unterscheiden:

  1. Will man mit den Mitarbeitenden gemeinsam eine Frage vollständig offen diskutieren, zum Beispiel die Suche nach neuen Strategien und Mitteln zum Erfolg?
  2. Ist es eine zum Teil bereits entschiedene Frage – steht etwa das neue Ziel bereits fest, aber man erhofft sich aus der Belegschaft neue Ideen bei der Umsetzung?
  3. Oder steht alles bereits fest, und es geht nur noch darum, für die entschiedenen Ziele und Mittel Unterstützung zu gewinnen?

Natürlich haben bei einem Termin, in dem es nur um die Vorstellung vollendeter Tatsachen geht, weniger Mitglieder Interesse sich einzubringen und damit kaum Gelegenheit, sich die Sache zu eigen zu machen. Aber was für eine Organisation noch problematischer ist, ist echter, authentischer Ärger – dem man garantiert ausgesetzt wird, wenn man seinen Mitarbeitenden mehrfach Versprechen von Beteiligung macht, nur um sie dann durch in Höflichkeitsfloskeln verpackte Absagen oder gar durch pure Ignoranz für die Ergebnisse im Nachhinein zu enttäuschen. Denn dann wirkt die Organisation ihrerseits nicht authentisch in ihren Aufrufen zur Authentizität und Partizipation. Jeder weitere Aufruf zur Mitwirkung wird zur Farce. Die Organisation hat den Beteiligungswillen verspielt und muss mühevoll wieder aufbauen, was sie zuvor relativ leicht hat bekommen können, nämlich die Bereitschaft der Mitglieder, sich authentisch als engagiert und involviert darzustellen.

Autorinnen
Kristina Willjes

Kristina Willjes

findet, der beste Weg um das tägliche Chaos in Organisa­tionen zu verstehen, ist die Annahme, dass es Struktur hat.

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Tabea Koepp

Tabea Koepp

mag Organisationen, weil man in ihnen die absur­desten Prozesse beobach­ten kann – und liebt es, den dahinter­liegenden Struktu­ren auf die Spur zu kommen.

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