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Wie Homeoffice zu mehr Beziehungsarbeit führt

Jetzt wird’s persönlich

  • Alexander Keil
  • Mittwoch, 6. Juli 2022
Wie verändert mobiles Arbeiten Beziehungen

Von zuhause und unterwegs zu arbeiten, hat sich für viele Mitglieder in Orga­nisationen zu einem Privileg entwickelt, das sie nicht mehr hergeben werden. Doch das bringt spürbare Folgen mit sich. Vor allem die Umstellung von spontanen auf geplante Treffen verändert das soziale Gefüge in Organisationen, denn persön­licher Kontakt entsteht nicht mehr spontan, sondern wird zur Aufgabe an sich. Das erhöht den Aufwand, der in Bezie­hungsarbeit gesteckt werden muss – und zwar vor allem für Führungskräfte.

Mobile Arbeit erfordert den Ein­satz neuer Führungs­mittel

Im Rahmen unserer Studie „Wie jetzt führen“ haben wir über 50 Führungskräften zur Frage interviewt, wie sich durch Homeoffice bzw. mobile Arbeit ihre Art der Zusammenarbeit und der Führung verändert hat. Dabei wurde uns mehrfach berichtet, dass mobile Arbeit eine stärkere persönliche Bindung zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft erfordert.

„Man stellt das private Ich mehr zur Schau, um Vertrauen aufzubauen“, sagte uns etwa ein Personalleiter. Anderen Berichten nach wird es wichtiger, Anerkenn­ungen für Leistungen per­sönlicher auszudrücken und bei privaten Heraus­forderungen der Mitarbeitenden deutlicher Anteilnahme zu zeigen. Formale Anerkennung, wie die Organisation sie sonst verteilt (also trocken und kühl) scheint nicht mehr auszureichen. Wenn die räumliche Distanz wächst, muss der Radiator der persönlichen Wärme mehr arbeiten.

Trennung zwischen Rolle und Person

Lass uns keine Freunde sein

Einige Führungskräfte beschrieben uns die verstärkte Arbeit an den persön­lichen Beziehun­gen als Konsequenz daraus, dass sie sonst nur Ergebnisse, aber nichts über die Verfassung ihrer Mitarbeitenden erfahren. „Wie man aus einer leitenden Position mit Personalverantwor­tung seinen Fürsorgepflichten nach­kommt, muss man sich jetzt sehr genau überlegen“, wur­de uns geschildert. „Gerade auf die Highperformer aufzupassen ist jetzt richtig schwierig. Die sparen Arbeitswege und Pausen ein, um noch mehr zu arbeiten.“

Gleichzeitig haben enge persönliche Beziehungen auch einen nützlichen Effekt. Führungssti­le, die stärker auf Vertrauen fußen, sind besser umsetzbar – was wichtig ist für mobile Ar­beitsverhältnisse. In der Praxis drückt sich das durch das Verwenden von Zweckprogrammen aus; also das Setzen von Zielen, wobei die Wahl des Lösungswegs den Mitarbeitenden über­lassen wird. Hierarchische Kontrollmaßnahmen entfallen damit und Orientierung wird nur ge­stiftet, wenn drum gebeten wird. „Vertrauen ist effizient, denn Kontrolle kostet Geld“, brachte es eine Teamleitung gegenüber uns auf den Punkt.

Die Grenze zwischen Mitglied und Person verschwimmt

Mit soziologischer Perspektive betrachtet heißt dies, dass die stärkeren persönlichen Bindun­gen die formalen Erwartungen absichern. Denn man stellt ihnen personenbezogene Erwar­tungen zur Seite. Führungskräfte sichern sich Gefolgschaft und bessere Information, indem sie eine starke soziale Bindung zu den Mitarbeitenden aufbauen. Für Mitarbeitende wird es damit wichtiger, den Führungskräften zu folgen und die persönlichen Erwartungen weiter zu erfüllen. Es ist eine wesentlich größere Hürde, Erwartungen von geschätzten Personen zu enttäuschen, als solche, die einem egal sind.

Dies bietet aber auch das Risiko einer Anspruchsinflation: Intensivierte persön­liche Beziehun­gen erzeugen neue persönliche Erwartungen. Die Grenze zwischen den formalen Erwartun­gen und den informalen, was man als Freund­schaftsdienst, für die Kollegin oder den Kolle­gen, oder fürs Team noch macht, verschwimmen. Das Verschieben dieser Grenze wird be­sonders dann leicht, wenn nicht klar ist, wann Mitarbeitende erreichbar sind – oder gar, wann überhaupt ihre Arbeitszeiten sind.

Plötzlich ist man immer erreichbar – und dank gefestigter persönlicher Bezie­hungen auch über mehrere Kanäle. „Wenn man Mitarbeitende nicht übers Diensthandy oder Slack erreicht hat, schreibt man an ihre private Nummer auf WhatsApp“, berichtete man uns. „Das hat sich hier als Normalität einge­schlichen.“

Auch Mitarbei­tende bringen mehr persön­liche Anliegen zur Organi­sation

Der Mechanismus funktioniert auch in die andere Richtung. Mitglieder können nun private Anliegen thematisieren, die zuvor als nicht thematisierbar galten. „Mitarbeitende treten mit einer Vehemenz für ihre individuellen Bedürfnisse ein, wie es vor der Pandemie nicht üblich war“, berichtet auch Petra Scharner­-Wolff, CHRO bei der OTTO Group.

Symbol der wieder entdeckten persönlichen Bedürfnisse scheint überall der neu angeschaffte Hund zu sein. Denn: Man könne ja gar nicht zurück ins Büro! Dann ist niemand für den Hund da. Das wäre noch 2019 eine irritierende Argumentation gewesen, doch jetzt müssen sich Organisationen dieser neuen Realität stellen. Hier zeigt sich in der Praxis eine soziologische Einsicht, der sonst oft die Kontrastfläche fehlt: Die Menschen und ihre Bedürfnisse gehören zur Umwelt der Organisation. Nur in ihren Mitgliedschaftsrollen sind sie Teil von ihr. Und wenn die Menschen andere, private Anliegen mit Nachdruck gegenüber der Organisation vertreten, so ist das für die Organisation genauso irritierend, wie wenn ein Zulieferer oder Kunde seine Ansprüche ändert.

Menschen als Umwelt der Organisation

Nur dabei statt mittendrin

Der gestiegene Aufwand wird erst jetzt spürbar

Dass die Grenze zwischen Mitglied und Person verschwimmt, dass Führungs­kräfte und Mit­arbeitende verstärkte persönliche Beziehungen eingehen, war für die meisten Organisationen ein organischer Prozess. Es ist eine typische schleichende Entwicklung, deren Veränderung man gar nicht bemerkt, während man drin steckt. Vor allem wurde sie noch durch die Krisen­situation der Pandemie überlagert – und gleichzeitig vorangetrieben. Die Erfahrung, die schwierigen Zeiten gemeinsam durchzustehen, mehr möglich zu machen, als üblich ist (von­seiten der Organisation für ihre Mitarbeitenden, sowie vonseiten der Mitarbeitenden für ihre Organisation) hat Kolleginnen und Kollegen, Führungskräfte und ihre Teams zusammen ge­bracht. In besonderen Zeiten war von allen Seiten auch besonderer Einsatz nötig.

Doch wie anstren­gend die nun etablierte Form der Beziehungs­arbeit ist, zeigt sich erst im Normal­zustand. Wenn neue Mitglieder ins Team kommen, die nicht gemeinsame Geschichte teilen – sich aber mit ähnlichen Erwartungen konfrontiert sehen und der Erwartung, auch per­sönlich flexibel zu sein. Insbesondere Führungskräfte erleben jetzt, wie soziale Belange ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit einnehmen. Wo nicht mehr gemeinsam in Anwesenheit gear­beitet wird, findet Beziehungsarbeit individuell statt und muss geplant werden. Sie braucht eigene Slots im Kalender.

Können Führungskräfte noch schaffen, was alles von ihnen erwartet wird?

Dass auf höheren Stufen in der Hierarchie nur mehr Verantwortung, aber nicht mehr Zeit oder Energie verteilt wird, ist ein altbekanntes Problem. Doch jetzt verschärft sich diese Ent­wicklung, weil Beziehungsarbeit zu eigenen Arbeits­paketen geworden ist. Allerdings verwen­den die meisten Organisationen noch präpandemische Maßeinheiten, wenn sie Führungs­aufwände bestimmen.

Deswegen ist es für Organisationen wichtig, sich zu fragen:

  • Haben wir ein realistisches Bild davon, wie viel Beziehungsarbeit unsere Führungs­kräfte leisten?
  • Wie kann der Aufwand der Beziehungsarbeit verringert werden?
  • Sind unsere Regelungen über Anwesenheit und Abwesenheit brauchbar?
  • Haben wir Erreichbarkeiten und Arbeitszeiten deutlich genug geregelt – und auf zu­gängliche Art und Weise?

Kurz: Was kann die Organisation tun, um Führungsarbeit wieder unpersönlicher zu gestalten? Dies mag unmenschlich klingen, ist jedoch sehr menschlich gemeint. Denn es geht darum, wieder eine bessere Trennung zwischen Person und Mitglied zu ermöglichen.

Die komplette Studie lesen

Dieser Artikel ist ein überarbeiteter Auszug aus unserer Studie „Wie jetzt führen? Warum mobile Arbeit Führung verändert.“ Die gesamte Studie gibt es hier zum kostenlosen Download:

Metaplan-Studie

Wie jetzt führen?

Autor
Alexander Keil

Alexander Keil

freut sich am meisten über soziologische Tricks, die bessere Partizipation ermöglichen.

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