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Herausforderungen im Maschinenbau

Wieso Solution Providing Probleme macht III: Individualisierung

  • Bennet van Well
  • Montag, 22. Juli 2024

Wer mit Maschinenbau zu tun hat, stößt schnell auf das Stichwort Solution Providing. Solution Providing soll der Weg aus dem härteren Wettbewerb sein, zum Alleinstellungsmerkmal, soll die Margen verbessern und insgesamt: das Geschäftsmodell mit Zukunft im Maschinenbau sein.

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Bei der Transformation in ein Solution Providing Modell stellt sich eine Frage, die derart banal erscheint, dass sie selten explizit gemacht wird: Es geht um Lösungsangebote. Aber, für wen eigentlich? Dass es um den (potenziellen) Kunden geht, ist klar. Jedoch sind beim jeweiligen Kunden unterschiedliche Akteure in den Entscheidungsprozess eingebunden. Wessen Perspektive ist dabei die wichtigste? Wem muss hier eigentlich eine gute Lösung angeboten werden?

„Wir haben als Maschinenbauer zu oft die Binnensicht: Wir orientieren uns am technischen Problem. Aber das technische Problem ist mitunter gar nicht das Kundenproblem“, sagt auch der Sales-Leiter eines Maschinenherstellers im Harz

Eine Herausforderung: Auch der Kunde hat keine einheitliche Meinung, was sein genaues Problem ist. Was der Planer will, ist anders als das, was der Einkauf will, anders als das, was die Instandhaltung will, was die Geschäftsleitung will. Der Maschinenbauer muss ein Buying-Center auf Kundenseite managen und muss dabei den Verkaufsprozess im Blick behalten. Mit wem konzipiert und konfiguriert man das Angebot? Wer ist in welcher Phase des Verkaufsprozess führend? Wer trifft die letztendliche Entscheidung? Welche Zirkel gibt es beim Kunden? Und wer hat dort das Sagen? Nur wer eine langfristig angelegte Beziehung zu seinen Kunden pflegt, bekommt hier gute Einblicke.

“Ein Solution Provider muss die Anwendung aus Sicht des Endkunden verstehen. Nicht jeder Anwender will, dass sich der Maschinenbauer in den Endkunden eindenkt. Aber letztlich muss man die Anwendung kennen, um die Maschine optimal anbieten zu können”, legte ein erfahrener Vertriebsprofi offen. Vielleicht gelingt es sogar, den Entscheidungsprozess auf Kundenseite ein Stück weit zu steuern und die Problembeschreibung des Kunden so beeinflussen, dass sie zum eigenen Angebot passt.

Das sind jedoch Vertriebstricks, die das eigentliche Solution Providing-Modell nur klug ergänzen: Nämlich eine Individualisierung des Leistungsangebots mit Blick spezifischen Kundenanforderungen. Das Prinzip an sich ist für Maschinenbauer nicht neu. Kundenanforderungen bearbeiten ist Teil des Selbstverständnisses. Doch gibt es unterschiedliche Herangehensweisen (mal strategisch gewählt, mal organisch entstanden), sich auf die Kunden einzulassen. Man kann im Grunde drei Varianten identifizieren, die jeweils eigene Chancen und Herausforderungen mit sich bringen.

Standardlösungen

Manchmal ist der Maschinenbauer ein ausgewiesener Spezialist, ein hidden champion gar, mit exklusivem Spezial-Know-how. Dann kann er es sich ggf. leisten, mit einer Standardlösung in den Wettbewerb zu gehen. Aber je weniger ein Maschinenbauer mit seiner Maschine ein Alleinstellungsmerkmal hat, umso mehr schlägt die Standardlösung auf die Marge durch, denn den Standard können tendenziell auch andere. „Man kann natürlich trotzdem auf die Marge kommen, wenn man Standardlösungen verkauft, aber der Kunde Abweichungen vom Standard braucht. Die lässt man sich natürlich bezahlen – solange es gelingt, die zusätzlichen Kosten durchzusetzen“, warnte der Sales-Leiter eines Anlagenbauers.  Jede Anpassung, die nicht auf den Preis aufgeschlagen wird, steigert die Marge nicht – sondern drückt sie. Dann verkauft Sales eine Maschine zum niedrigen Standardpreis, Engineering und Produktion haben aber hohe Zusatzaufwände.

Engineered Solutions

Das besondere Problem, für das es eine ganz eigene Lösung braucht: Im Maschinenbau-Jargon heißt das Engineered Solution. Wer für eine spezielle Kundenanforderung eine besonders elegante oder leistungsfähige Maschine bauen kann, die kein anderer im Sortiment hat, entzieht sich dem Wettbewerb. Die Vorteile dessen liegen auf der Hand. Man wird unersetzlich für den Kunden, gerade wenn die Engineered Solution eine strategische Lücke in der Herstellung schließt.

Aber:  Engineered Solutions sind nicht skalierbar.  Allein das Erheben der Kundenanforderungen ist aufwändig, die nur durch viel Expertise in den eigenen Reihen gestemmt werden kann. Je differenzierter die Kundenanforderungen sind, desto eher wird die Maschine ein Unikat. Im Extrem ist das reines Projektgeschäft, bei dem das meiste spezifisch entwickelt und produziert, nur wenig vom Bestand verwendet werden kann. Das ist an sich für den Maschinenbauer nicht problematisch. Jedoch besteht die Gefahr, dass die Kosten aus dem Blick geraten, wenn der Prozess schleichend stattfindet: Wenn das Geschäftsmodell eigentlich von einem Angebot von Standardlösungen ausgeht, aber um der Commoditisierung zu entgehen, faktisch ein Engineered Solutions Modell gefahren wird. Dann wird aus einer Fertigungshalle, die für Serienproduktion ausgelegt ist, aus Versehen eine Manufaktur. Dann verkauft man zwar: Aber verliert wieder an Marge.

Customized Solutions: Modularisierung

Diesem Dilemma versuchen viele mit Customized Solutions zu entgehen. Maschinenbauer definieren dann einen Lösungsraum auf Kundenseite, also alle möglichen Lösungen für ein Problem, und wählen Standardmodule aus, die diesen Kundenbedarf optimal decken.

“Im Frontend muss der Kunde sehen, dass er eine Sonderlösung bekommt.  Er muss das Gefühl haben, dass er was Besonderes bekommt. Dahinter muss aber ein Baukasten mit genormten Komponenten stehen,” beschreibt das ein ehemaliger Verkaufsleiter.

Dahinter steckt aber mehr als die Engineering-Leistung. Die Standardmodule so zu definieren, dass daraus unterschiedliche, individualisierte Lösungen werden können, ist schon schwer genug. Zur Problemlösung gegen Commoditisierung wird es aber erst durch zwei ergänzende Initiativen:

“Man muss drei Projekte parallel betreiben: Modularisierung, pricing & costing und CPQ-Tool” mahnte der kaufmännische Geschäftsführers eines großen Verpackungsmaschinenherstellers.

Wer nur die Modularisierung betreibt, hat vielleicht eine überlegene technische Lösung gefunden und erntet vom Kunden, wie von Kolleginnen und Kollegen in der Konstruktion Anerkennung. Wenn diese Lösung aber nicht zu einem Kostenvorteil führt, entweder über mehr Gleichteile und / oder reduzierte Komplexität, hat man im Wettbewerb wenig gewonnen. Zudem muss sich die individualisierte Lösung beim Kunden auch mehr einbringen als der Standard, denn sonst hat man vor allem den erhöhten Entwicklungsaufwand. Wirklich elegant wird das Vorhaben über ein leistungsfähiges CPQ-Tool, das den Vertrieb im Angebotsprozess unterstützt und die Anforderungen bruchlos in Konstruktion und Produktion abbildet. Damit diese Lösung gelingt, müssen sich beteiligten Unternehmensbereiche sehr gut abstimmen und in schwierigen Fragen einigen.

Verborgenes Konfliktpotenzial

Dies ist ein Schritt, dessen Gewicht häufig unterschätzt wird. Denn es gehört zwar auch dazu, dass die Beteiligten zusammenkommen und „eine Sprache sprechen“, was jedem als Herausforderung groß genug erscheint, der oder die Vertreter von Vertrieb, Produktion und IT an einen Tisch gebracht hat. Doch bringt ein CPQ-Tool vor allem mit sich, dass alle Beteiligten offenlegen müssen, wie sie arbeiten – und zwar nicht einmalig, sondern mit der Einführung des Tools, ständig. Erfahrungsgemäß ist die Transparenz, die Datafizierung einfordert, vor allem für Akteure im Vertrieb eine Umstellung, die sie nur mitgehen, wenn sie wirklich müssen.

Es ist Bestandteil des Spiels, kostspielige Versprechen herunterzuspielen und gute Abschlüsse hervorzuheben. Diese Art, die Ereignisse für sich selbst wohl wollend um zu unterpretieren ist nicht mehr ohne weiteres möglich, wenn alle Informationen in einem CPQ-Tool offen liegen. Aber auch die Konstruktionswissen muss dokumentiert werden. Das ist aufwändig und manchmal leichter gesagt, als getan.

Darum ist es hilfreich, Digitalisierungsprozesse nicht Top-Down zu beschließen, sondern strategisch vorzubereiten. Wer verliert am meisten, wenn ein CPQ-Tool eingeführt wird? Was ist Herrschaftswissen, das aktuell nur mit Mühe bei bestimmten Akteuren eingeholt werden kann, welches dann aber offen einsehbar wäre? Mit diesen und weiteren Fragen lässt sich ein Diskurs vorbereiten, der die mikropolitischen Hindernisse bereits antizipiert.

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Digitalisierung: Der blinde Fleck

Ein Vorgehen ist entschieden – ein anderes wird verfolgt

Wenn Maschinenbauer die Wahl hätten, so würden sie sicherlich Standardlösungen in Serie herstellen und sie wie Engineered Solutions – vor allem was den Preis angeht – an die Kunden bringen. In der Praxis fällt die Orientierung zwischen den drei Lösungsmodellen diffuser aus.

Konstruktion, Produktion und Controlling fordern ein, dass Standard Solutions verkauft werden. Die Strategie sieht eine Entwicklung Richtung Customized Solutions vor. Engineered Solutions sollen die absolute Ausnahme bleiben, denn Aufwand und Ertrag stehen in einem schlechten Verhältnis. Der Vertrieb ist aber dem Kunden verpflichtet und verkauft – entgegen allen Vorgaben – Engineered Solutions. “Wir sind aktuell Opfer unseres eigenen Erfolgs. Wir machen in unserem wichtigsten Segment viel mehr Engineered Solutions, als geplant. Jetzt stauen sich die Aufträge und wir haben zu wenig Kapazitäten, um sie fristgerecht fertigzustellen,” erklärte der CEO eines Herstellers.

So ergibt sich eine klassische Konfliktlage: Produktion und Engineering müssen die Aufträge abarbeiten, und blicken mit Frust auf den Vertrieb, der sich den Vorwurf gefallen lassen muss, es sich zu leicht gemacht zu haben.

Vertrieb und Entwicklung im Maschinenbau

Happy Engineering: Am Markt vorbei entwickelt?

Eine naheliegende Lösung ist, dass der Vertrieb die Aufträge vorsortiert und dann die Fachabteilungen den Aufwand schätzen, bevor die Angebote an den Kunden gehen. Dann kann man entscheiden, ob sich ein Auftrag wirklich rechnet und abschätzen, wie Auftragsvolumen und Kapazitäten zueinander passen. Diese Lösung hat aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn sich Vertrieb, Entwicklung, und Produktion über die Strategie grundlegend einig sind. Gerade weil sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Ziele und Sichtweisen andere Interessen und Auffassungen vertreten, müssen sie um die Strategie ringen.

Das kann nicht im Alltagsgeschäft gelingen, wenn die Kommunikation über langfristige Regelungen von kurzfristigen Ausnahmen überschattet werden, wenn keine Zeit besteht, die Sichtweise des anderen überhaupt anzuerkennen. Dieses Ringen braucht wieder: Gute Diskurse.

Autor

Dr. Bennet van Well

interessiert sich besonders dafür, wie in Organisationen zwischen Geben und Nehmen verhandelt wird.

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