In Willkommen, Mr. Chance ist Peter Sellers jener etwas minder bemittelte Gärtner, der bis zur Lebensmitte seinen Arbeitsplatz, das Haus, den Garten und besonders seinen Platz vorm Fernseher kaum je verlassen hat, dann auf die Straße gesetzt wird, allerlei erlebt, das er manchmal, wenn es ihm missfällt, per Fernbedienung zum Stoppen zu bringen versucht, und der es schließlich beinahe zum Präsidenten der Vereinigten Staaten bringt.
Wie Pierre Bourdieu bemerkte:
„Der Präsident der Republik ist jemand, der sich für den Präsidenten der Republik hält, aber im Unterschied zu dem Irren, der sich für Napoleon hält, als jemand anerkannt wird, der hierzu auch berechtigt ist.“
Mr. Chance hielt sich beileibe nicht für den Präsidenten. Es genügte, dass die anderen ihn für geeignet hielten. Das taten sie infolge einer Kette von Missverständnissen, aber dieser Wahnsinn hatte Methode. Wie unbehaglich der Gedanke, dass auch die Jürgen Schrempps dieser Welt auf diese Weise an die Spitze geraten sein könnten. Wenn Mr. Chance sprach, hörten die Leute, was sie hören wollten. Der noch amtierende Präsident fragt ihn um Rat in einer Wirtschaftskrise, er, der nur von Gärtnerei etwas versteht, erzählt vom Rhythmus der Jahreszeiten, und der Präsident entnimmt dem sogleich ein Plädoyer für eine zyklische Wirtschaftspolitik. Max Miller, linguistisch und kommunikationstheoretisch versierter Soziologe, kommentiert,
„daß die Personen des Films ständig mit einer traumwandlerischen Sicherheit genau die Lesarten zu den kommunikativen Handlungen ihrer Interaktionspartner selegieren, die innerhalb der eigenen subjektiven Vorstellungswelt kohärent verarbeitet werden können.“
In dieser Welt gibt es ständig Missverständnisse, aber niemals Verständigungsprobleme. Deutungswut und Kohärenzbegehren geleiten uns durchs Leben.
Die Ironie, wie Jon Elster bemerkt hat, besteht darin, dass Mr. Chance Erfolg hat, weil alle anderen ihn jenseits des Selbstzweifels wähnen, der an ihnen nagt, während er dieses Stadium noch nicht einmal erreicht hat. Das Schlussbild des Films zeigt ihn, wie er übers Wasser wandelt – genau genommen aber auf einer Mauer unter Wasser, die ihn sicher hinüber trägt, und die er mit kindlichem Vertrauen unfehlbar getroffen hat. Woher er es hat? Wie sein Name, chance, schon sagt: Es ist ihm zugefallen.
Erstmals in: Kunst des Entscheidens. Velbrück Wissenschaft Weilerswist 2011.
Wir danken dem Verlag für die Erlaubnis, den Text hier neu zugänglich zu machen!