Kaum eine Organisation verzichtet heute darauf, die Mitarbeiter:innen in regelmäßigen Abständen in Großkonferenzen zusammenzuholen. Während früher diejenigen Konferenzformate dominierten, in denen die Teilnehmer:innen andächtig den Reden der Organisationsspitzen lauschen mussten und dafür am Abend mit einem attraktiven Unterhaltungsprogramm belohnt wurden, setzen sich jetzt zunehmend solche Konferenzformate durch, in denen die Teilnehmer:innen sich selbst aktiv einbringen können (und gegebenenfalls sogar müssen).
Fast jede Beraterin und jeder Berater scheint inzwischen ihr eigenes – nicht selten als Marke geschütztes – Großkonferenzkonzept auf den Markt gebracht zu haben. Open Space Technology, Search Conference, Zukunftskonferenz, Strategieforum, Preferred Futuring, SumReal, Conference Model, Real Time Strategic Change oder Whole-Scale Change – bei allen Unterschieden im Detail sind die Zielsetzung und der Ablauf auffällig ähnlich.[1] In einer Großkonferenz sollen innerhalb von ein, zwei Tagen möglichst viele Organisationsmitglieder gleichzeitig an einem Thema wie einer Reorganisation, einer strategischen Neuausrichtung oder der Leitbildentwicklung arbeiten. Der Clou dabei ist, dass in Großkonferenzen nicht immer alle Personen gleichzeitig in einem großen Raum anwesend sind, sondern die Plenumsphasen vorrangig zur Koordination und zum Zusammentragen der Arbeit aus den Minigruppen oder Kleingruppen dienen.
In diesen Großkonferenzen können Effekte produziert werden, die die Teilnehmer:innen in eine Art interaktionellen Rauschzustand versetzen. Während die alltägliche Arbeit häufig als stark durch Routinen bestimmt erlebt wird, können in Großkonferenzen eigene Themen eingebracht und bearbeitet werden. Man bekommt die Möglichkeit, mit häufig unbekannten Personen an einem Gedanken zu arbeiten und die gemeinsamen Überlegungen dann einer großen Anzahl von Kolleginnen und Kollegen präsentieren zu können. Die Mitglieder einer Organisation erfahren, wie viele verschiedene Aspekte eines Themas gleichzeitig bearbeitet werden und generieren so in sehr kurzer Zeit das Gefühl eines gemeinsamen Bearbeitens. Angesichts dieser Dynamik ist die Rede von dem „Feuer großer Gruppen“, von dem Organisationen profitieren können.[2]
Das Problem ist jedoch, dass dieses in Großkonferenzen entfachte „Feuer“ häufig lediglich ein „Strohfeuer“ ist. Die Themen für die Minigruppen und Kleingruppen werden in der Regel erst auf der Konferenz entwickelt und sind nicht im Vorfelde eruiert worden. Die auf der Großkonferenz entwickelten Ideen sind dadurch oftmals nicht so ausgereift, dass sie unmittelbar darauf in der Organisation Anschluss finden können. Die ausgearbeiteten Konzepte geraten, allen Ankündigungen zum Beginn der Konferenz zum Trotz, in Vergessenheit. Übrig bleibt häufig nur ein zufriedenes Gefühl angesichts des Kennenlernens bisher unbekannter Kolleg:innen, eine angenehme Erinnerung an die Örtlichkeiten der Zusammenkunft, die interessanten Gespräche und eine sehr vage Erinnerung an die diskutierten Themen. Wenn man nachhaltige Effekte erzielen will, ist es besser, in geduldiger Kleinarbeit erstmal die Anliegen und Sichtweisen verschiedener Gruppen zu sammeln und dann langsam an Lösungen zu arbeiten.
So negativ diese Beschreibung von Großgruppen auf den ersten Blick wirken mag: Es darf nicht übersehen werden, dass auch diese „Strohfeuer“ wichtige Funktionen für eine Organisation haben können. Großkonferenzen bieten Mitarbeiter:innen, die sich bisher unter dem Radar des Managements bewegten, die Möglichkeit, sich zu profilieren. Das Zusammenziehen vieler Mitarbeiter:innen hat wichtige Vernetzungseffekte weit über die Grenzen von Abteilungen hinaus. Es entsteht bei den Mitarbeiter:innen ein Motivationseffekt angesichts der Dynamik der Diskussionen in den Kleingruppen und der Erfahrung von Masse in den Plenumsveranstaltungen.[3] Man darf sich bloß nicht erhoffen, dass die in den Interaktionen der Großkonferenz erarbeiten Ergebnisse irgendwie Einfluss auf die Funktionsweise der Organisation haben werden.
[1] Für einen schnellen Überblick über die verschiedenen Methoden siehe PeggyHolman, TomDevane (Hrsg.): Change Handbook. Zukunftsorientierte Großgruppen-Methoden. Heidelberg 2006.
[2] So Roswita Königswieser, Marion Keil (Hrsg.): Das Feuer der großen Gruppen. Konzepte, Designs, Praxisbeispiele für Grossveranstaltungen. Stuttgart 2000.
[3] Zur Erfahrung der Masse – siehe schon sehr früh Gustave Le Bon: Psychologie der Massen. Leipzig 1908.