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Der ganz formale Wahnsinn

Reputation: Motivation durch das Streben nach Anerkennung

  • Stefan Kühl
  • Montag, 22. Mai 2023
Reputation

Die Stimmung an den Fachhochschulen und Universitäten verändert sich. Vielerorts müssen sich Professor:innen in Zielvereinbarungen verpflichten, eine genau spezifizierte Anzahl von Abschlussarbeiten zu betreuen und eine festgelegte Menge von Artikeln zu publizieren. Verhandelt werden diese Zielvereinbarungen nicht mit Dekanen, die im Sinne der akademischen Selbstverwaltung durch die Wissenschaftler:innen einer Fakultät bestimmt werden, sondern mit Leitungspersonal, das vom Präsidenten der Universität ernannt wird. Werden die Zielvereinbarungen nicht erreicht, können dem Professor Gehalt, Mitarbeiterstellen oder Sachmittel entzogen werden.[1]

Ziel dieser Maßnahmen ist es, so jedenfalls die Steuerungsvorstellung, das akademische Personal wieder zu Leistungsträgern werden zu lassen. Nur durch die Bindung monetärer und materieller Vorteile an die Erreichung von Leistungszielen sei es möglich, die Professorenschaft daran zu hindern, in eine wohlige Bequemlichkeitsstarre zu verfallen. Einzig durch die Übernahme von in der Wirtschaft erprobten Methoden der Mitarbeitermotivation könne es gelingen, den Professor oder die Professorin über acht oder neun Pflicht­semesterwochenstunden hinaus zum Arbeiten zu bringen.

Sicherlich mag es die Professor:innen geben, die in dem Moment ihrer Berufung den Griffel fallen lassen und die sichere Position eines Lebenszeitbeamten vorrangig dafür nutzen, ihr Leben jenseits der Universität zu optimieren. Jeder Student und jede Studentin kennt Geschichten von Freizeitprofessor:innen, die einmal die Woche an der Universität auftauchen und ansonsten die schöne Einrichtung des Mittagsschlafs pflegen, um nachmittags bei ihren ausgedehnten Bergtouren gut in Form zu sein, oder es wird von Professor:innen berichtet, die die Universität vorrangig als Plattform für ihre lukrativen Berater- und Gutachtertätigkeiten nutzen und für Studierende nur noch zu erreichen sind, wenn sie ihr Interesse als Anfrage eines großen Unternehmens oder einer Medienanstalt tarnen.

Weswegen stellen diese Exemplare indes die seltene Ausnahme in der Akademie dar, obwohl doch sowohl der Privatleben- als auch der Nebenerwerbsoptimierer scheinbar individuell rational zu handeln scheinen? Wie kommt es, dass die Mehrzahl der Wissenschaftler:innen nach ihrer Berufung auf eine Lebens­zeitstelle nicht zu allgemein akzeptierten Arbeitszeiten zurückkehren, sondern eher aus der Fünfzigstundenwoche jetzt eine Sechzigstundenwoche macht?

Der Grund für den auf den ersten Blick vielleicht irrational wirkenden Arbeitseifer von Wissenschaftler:innen liegt in der Wirkmacht einer verdeckten Karrierestruktur im akademischen Areal. Es gibt in jeder wissenschaftlichen Disziplin Messlatten, mit denen die Qualität der Forschenden gemessen werden kann. Es ist überraschend, wie schnell sich Wissenschaftler:innen darauf verständigen können, wer die „Bringer“ in ihrer Disziplin sind und wer eher abgeschrieben werden kann.[2]

Dieses Ranking findet interessanterweise ganz ohne Zitierindex oder Aufstellungen über eingeworbene Forschungsmittel statt. Selbst in Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie oder der Biologie, die durch heftige Theoriestreitereien gekennzeichnet sind, fällt die große Übereinstimmung darüber auf, wer zu den Koryphäen gerechnet werden kann. Man käme vielleicht nie auf die Idee, die Vertreter:innen einer anderen Schule auf eine Professur am eigenen Institut zu berufen, und auch bei der Entscheidung über Forschungs­mittel zögert man, diese an Vertreter:innen einer anderen Theorierichtung zu vergeben. Sitzt man dann aber schulübergreifend abends beim Bier zusammen, einigt man sich dann doch überraschend schnell darauf, wessen Artikel zitierenswert sind und wessen man eher ungelesen zur Seite legen kann. Diese Rangordnung spielt bei den alltäglichen Interaktionen zwischen Wissenschaftler:innen mindestens unterschwellig eine zentrale Rolle. In den Diskussionen auf einer Konferenz und in den kleinen Gesprächen in der Kaffeepause schimmert die Rangliste immer durch und wird dabei regelmäßig neu austariert.

Das Besondere an der Karriere in der Wissenschaft im Vergleich zu beruflichen Laufbahnen in der Wirtschaft, in Politik oder Recht ist, dass diese Karrieren nicht an eine Organisation gebunden sind. Der Star in einer Disziplin muss nicht automatisch auch das Sagen in seiner Fakultät haben. Die wichtigen Entscheider:innen in den Instituten und Fachbereichen sind nicht unbedingt auch diejenigen, die im verdeckten Ranking einer Disziplin besonders gut abschneiden. Es gibt sogar böse Stimmen, die behaupten, dass allzu aktive Anstrengungen in den Universitätsgremien negativ mit der Karriere in der Wissenschaft korrelieren.

Vielleicht lässt sich das Engagement in den Gremien nicht nur als notwendige Pflichtübung verstehen, die jede:r Wissenschaftler:in mal erfüllen muss, sondern auch als Kompensationsfläche für mangelnde Reputation auf der verdeckten Karriereleiter der Wissenschaft. Das unterschwellige Ranking innerhalb der Wissenschaft hätte dann nicht nur den Effekt, das akademische Potenzial am wissenschaftlichen Arbeiten zu halten, sondern könnte darüber hinaus die Beteiligung an der akademischen Selbstverwaltung wenigstens teilweise erklären.

Der Reformeifer vieler Universitäten und Fachhochschulen besteht vorrangig darin, diese verdeckte Karrierestruktur durch vermeintlich objektivierende Bewertungsverfahren zu ersetzen, aber es ist fraglich, ob sich die Rangliste durch eine bürokratisch anmutende Sammelwut abbilden lässt. Weswegen sollte man aufwendige und kostspielige Verfahren einführen, wenn doch der akademische Klatsch allein dafür sorgt, dass das Personal am Arbeiten gehalten wird?

[1] Siehe dazu Mathias Binswanger: Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg im Breisgau, Wien 2012.
[2] Siehe zu Reputation einschlägig Niklas Luhmann: Selbststeuerung der Wissenschaft. In: ders. (Hrsg.): Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme. Opladen 1970, S. 232–252.

Autor
Stefan Kühl

Prof. Stefan Kühl

vernetzt in seinen Beobachtungen neueste Ergebnisse aus der Forschung mit den aktuellen Herausforderungen der Unternehmenswelt.

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Kommentar (1)

  1. Peter Dieng sagt:

    Ich erinnere mich noch gut daran, als es los ging mit diesen Zielvereinbarungen an den Universitäten. Damals war ich Lektor in einem Fachverlag und ein Professor rief mich plötzlich aus heiterem Himmel und aus seinem Universitätszimmerchen an. Er bat mich, ich solle ihm doch bitte, bitte eine Liste erstellen mit Aufsätzen, Kommentaren, Anmerkungen. Bitte, bitte einfach eine Liste mit allem, allem, aber auch gar allem, was er veröffentlicht habe im letzten Jahr. Jeden längeren Text mit wissenschaftlichem Niveau soll ich aufnehmen, falls mir das irgend, irgendwie möglich wäre. Er sei Rechenschaft schuldig und müsse eine Publikationsliste vorlegen als eine Art Arbeitsbeleg. Das alles sei eigentlich eine rein universitätsinterne Sache, ein universitäres Novum sei es. Er verstehe das alles auch nicht. Er käme sich gegängelt vor. Erst Bologna. Jetzt das. Aber so sei es nun mal. Das hätte es früher nicht gegeben. Die Zeiten hätten sich geändert und die Zeit dränge.

    Ich muss sagen, ich fand es schon ein wenig entwürdigend, wie durch diese Listenpraxis ein Professor, dem es ansonsten nicht an Selbstbewusstsein mangelte, auf einmal zum Bittsteller wurde, der ganz kleinlaut auf den Rang eines Pennälers zu schrumpfen schien, der irgendwie zu belegen versuchte, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat. Er klang ein wenig verzweifelt, obwohl er seine Liste am Ende, das muss ich betonen, ganz locker vollkriegte.

    Solche Listen hatten früher ja nur Leute zu erstellen, die keine Anerkennung erfuhren, weil sie es zu nichts gebracht hatten im Leben und deshalb Rechenschaft schuldig waren. Arbeitslosen ging es zum Beispiel so. Sie hatten beim Arbeitsamt zu belegen, dass sie sich letzte Woche zwanzig Mal beworben hatten, weil es so mit dem für sie zuständigen Sachbearbeiter vereinbart war, der jetzt ihr Berufsleben regelte, das nicht mehr existierte, weil es für sie keinen Beruf mehr gab.

    Verhehlen möchte ich an dieser Stelle aber nicht, dass ich mich damals, als ich die Liste für den Professor zimmerte, von ihm erstmals als Lektor irgendwie anerkannt fühlte, obwohl das Listenerstellen mit meiner eigentlichen Aufgabe als Lektor im Grunde nichts zu tun hatte. Durch die Erniedrigung, die dem Professor an der Universität widerfahren war, fühlte ich mich auf einmal erhabener als sonst, denn ich konnte ihm aus der Patsche helfen und das erkannte und anerkannte er, was mich wiederum motivierte. Alle wichtigen Sachen blieben dafür natürlich liegen. Gern geschehen.

    Übrigens wissen wir auch in der privaten Wirtschaft, wer die angeblich Besten einer Branche sind und schauen zu ihnen auf. Das gibt es nicht nur im Wissenschaftsbetrieb. Bei Journalisten galt Herbert Riehl-Heyse lange Zeit als einer der besten Schreiber. Man orientierte sich an solchen Leuten. Ich kaufte mir in meiner aktiven Journalistenzeit Reportagebücher von ihm, um hinter das Geheimnis seiner Wortwahl zu kommen. Das nutzte aber nichts. Die Bewunderung für ihn schrumpfte trotzdem nicht. Für die Rechtspublizistik hatte ich mir Helmut Kerscher als den Besten der Besten ausgeguckt. Hans Leyendecker galt lange als der fähigste Rechercheur im Tageszeitungsjournalismus. Ich nehme an, dass auch Claas Relotius in seiner aktiven journalistischen Zeit als Edelfeder gehandelt wurde in der Zunft der Journalisten, so lange jedenfalls, bis man Dichtung von Wahrheit zu trennen begann, aber zu dieser Zeit war ich schon wieder raus aus dem Journalismus und hatte dem Arbeitsamt die Zahlen der Bewerbungen vorzulegen, die ich geschrieben hatte, was mich davon abhielt, die jeweils aktuellen Träger der journalistischen Ehrenmedaille zu kennen und anzubeten. Auch bei Juristen einigt man sich übrigens unter der Hand, wer der Beste der Zunft ist, und zwar unabhängig von dessen Rang in einer Kanzlei oder bei Gericht. So galt z.B. Professor Gunter Widmaier lange als der beste Revisionsanwalt im Strafrecht und jeder Strafrechtler erstarrte vor Ehrfurcht, wenn sein Name fiel. Auch bei Managern kristallisieren sich immer wieder diejenigen heraus, die von all den anderen Machern und denen, die sich für Macher halten, als Leitsterne angesehen werden. Im Medienmanagement war das Vorbild aller Manager lange Zeit Thomas Middelhoff, was nicht nur mit seiner Stellung bei Bertelsmann zu tun hatte, sondern auch mit seinem Charisma und der Weitsicht, die man ihm unterstellte. „Middelhoff ist halt Middelhoff“, sagten die Medien-BWLer früher dauernd, was heißen sollte: Dieser Mann ist nicht zu toppen. Ich konnte es nicht mehr hören damals, aber Middelhoff hat es sicher gefallen, auch wenn die Schmeicheleien ihm langfristig nicht gut getan haben, wie er heute sagt. Bewundert zu werden, das schmeichelt und Ehrgefühl ist ein hoher Motivator, was auch wissenschaftliche Studien bereits bestätigen, von denen ich vor Jahren, ich glaube im Harvard Business Manager, gelesen habe. Das hat mich übrigens immer wieder dazu veranlasst, den Vorgesetzten, die glaubten, sie könnten ihre Mitarbeiter nur mit übelsten Demütigungen motivieren, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse aufs Brot zu schmieren. Ich sagte ihnen, dass sie Sand ins Motivationsgetriebe ihrer Leute streuten, wenn sie den Kollegen ihr Ehrgefühl nähmen, weil die Wissenschaft belege, vorhandenes Ehrgefühl sei ein erheblicher Motivationsfaktor. Mit zertrampeltem Ehrgefühl stockt der Motor aber. Also: Vorsicht mit der Porzellankiste! Ehrgefühl lässt sich ja auch nicht über Checklisten steuern, wie man es mit der Anzahl von Aufsätzen machen kann, die einer publizieren soll – unabhängig von der Qualität. Ich weiß gar nicht, ob es sich bei der ehrgefühlgetriebenen Motivation um eine intrinsische oder extrinsische Motivation handelt. Es ist vermutlich eine Mischung aus beidem. Die demütigenden Vorgesetzten interessierte übrigens weder das eine noch das andere. Extrinsisch, intrinsisch? Das war ihnen egal. Sie mochten einfach keine Leute mit „übertriebenem Ehrgefühl“, wie sie es nannten.

    Der Motivationsfaktor „Ehrgefühl“ spielt in meinen Augen auch bei Fredmund Maliks Motivationsmodell eine Rolle. Malik geht ja unter anderem unter Rückgriff auf Viktor Frankls Sinntheorie davon aus, dass Können, Bedarf und Überzeugung einer Gruppe von Mitarbeitern für Nutzen, Sinn und Selbstrespekt in diesem Mitarbeiterkreis sorgen, woraus am Ende Motivation entstehe in vielen Fällen. Der Selbstrespekt, den Malik anspricht, ist nichts anderes als das Ergebnis von Anerkennung für eine Spitzenleistung/-fähigkeit, eine Anerkennung, die es aber nur gibt, wenn die Leistung nicht nur einen theoretischen, sondern einen tatsächlichen Bedarf am Markt befriedigt. Dann bekommt man nämlich am Ende des Tages die Anerkennung, vielleicht sogar Bewunderung durch den Kunden, also nicht nur durch Kollegen aus der eigenen Branche. Zur Anerkennung gehören dann auch bezahlte Rechnungen. Gespielte Anerkennung hilft hier gar nichts. Die Anerkennung muss echt sein.

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