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Humanocracy

Das Prinzip der Offenheit

  • Sven Kette
  • Kai Matthiesen
  • Donnerstag, 18. Juli 2024

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe, die das Management-Sachbuch Humanocracy diskutiert. Den Kern von Humanocracy bilden sieben Prinzipien, die Orientierung geben sollen, wenn man Organisationen gestalten oder in ihnen handeln muss. Dieser Artikel befasst sich mit dem fünftem Prinzip: Dem Prinzip der Offenheit.

Auch in der Reihe erschienen:

Der Kerngedanke 

Mit dem Prinzip der Offenheit adressieren Hamel und Zanini die Frage, wie es Organisationen gelingt, zu neuen Ideen zu kommen. Offenheit ist für sie ein entscheidender Erfolgsfaktor, vor allem im Kontext von Strategieprozessen. Offenheit lässt sich steigern, so Hamel und Zanini, wenn es Organisationen gelingt, vier Gewohnheiten zu etablieren (181ff.):  
Erstens sollen ungeprüfte – aber wirkmächtige – Annahmen kritisch hinterfragt werden. Indem man solche Annahmen als Hypothesen behandelt, hält man die Möglichkeit offen, diese auch widerlegen zu können.  
Zweitens soll man wachsam sein für Veränderungen. Dabei gelte es nicht nur, das Sensorium für Trends und Veränderungen zu schärfen, sondern auch Wellen der Veränderung zu antizipieren, um so auch Gegentrends frühzeitig erkennen zu können.  

Drittens kommt es auf den flexiblen Einsatz von Fähigkeiten und Ressourcen an. Das heißt, man soll Kernkompetenzen des Unternehmens erkennen und herauszuarbeiten, um sie bei veränderten Umständen zu neuen Produkten und Dienstleistungen kombinieren zu können.  

Viertens kommt es darauf an, unerfüllte Bedürfnisse der Kunden aufzudecken. Dabei geht es nicht unbedingt um revolutionäre Innovationen – manchmal genüge es, das Leben der Kunden durch kleine Ideen erheblich zu vereinfachen.  

Im Kern schlagen Hamel und Zanini also vor, möglichst vielfältige Perspektiven einzubeziehen. Wenn man verschiedene organisationsinterne Perspektiven ernst nimmt, erscheint beispielsweise Strategieentwicklung nicht mehr allein als Aufgabe des Top-Managements. Das schließt für die Autoren ausdrücklich ein, auch organisationsexterne Blickwinkel einzubeziehen – von Kunden, aber auch anderen zentralen Stakeholdern.  

Unsere Überlegungen 

Auch wir finden es sinnvoll, vielfältige Perspektiven einzubeziehen – erst recht bei einer grundsätzlichen strategischen Neuausrichtung oder der Neugestaltung von Organisationsstrukturen. Dabei sollte man aber nicht unterschätzen, wie robust Annahmen, Mythen und Glaubenssätze in Organisationen wirken und welch intensive Abwehrreaktionen es auslösen kann, diese in Frage zu stellen.  

Wie würden die Autoren wohl reagieren, wollte man die Bedeutung von Offenheit in Zweifel ziehen? Wir erheben an dieser Stelle gar keine inhaltlichen Einwände, sondern geben lediglich zu bedenken, dass Organisationen und ihre Mitglieder typischerweise auf Geschlossenheit eingestellt sind. Und hierfür gibt es gute Gründe, zumal die Öffnung für unbekannte Perspektiven zunächst einmal die Unsicherheit weiter steigern wird.  

Wie es gehen könnte 

Mythen, Dogmen und Glaubenssätze findet man in allen Organisationen. Bisweilen stiften sie Identität; immer aber schaffen sie die Sicherheit, die es braucht, um ohne weitere Verständigung handeln und interagieren zu können. Es überrascht daher kaum, dass es Abwehr hervorruft, wenn Annahmen, Mythen und Glaubenssätze hinterfragt werden. Lässt man sich darauf trotzdem ein (wofür es gute Gründe geben kann), sollte man die Entzauberung organisationseigener Gewissheiten gut vordenken und einen begrenzten Prozess etablieren, mit dem man sicherstellt, dass für absehbare Zeit mehr Unsicherheit zugelassen und bearbeitet werden kann.

Dafür ist wichtig, im ersten Schritt Mythen und Glaubenssätze überhaupt als solche zu identifizieren. Erst dann werden sie besprechbar und können kritisiert werden. Dabei wird man taktvoll vorgehen müssen, damit alle ihr Gesicht wahren können – die (einstigen) Verfechter der überkommenden Mythen wie deren Challenger. Appelle à la: „Sag mir mal Deine aufrichtige Meinung!“ dürften kaum Wirkung zeigen, solange es keine Diskursarenen gibt, die gut moderiert werden und dafür sorgen, dass Meinungen sachlich aufgefasst und produktiv weiterverarbeitet werden. Ob es solche Diskursarenen gibt, ist eine Frage der konkreten Gestaltung von Organisationsstrukturen und Strategieprozessen.

Wie produktiv diese dann bespielt werden, hängt vor allem davon ab, wie gut man die Perspektiven und Interessen zentraler Akteure kennt und Diskurse darüber klug moderiert. 

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Das Prinzip des Experimentierens

Die Autoren
sven-kette

Dr. Sven Kette

ist vor allem vom Wechselspiel aus Erwartungen und Überraschungen in Organisationen fasziniert.

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Kai Matthiesen

Dr. Kai Matthiesen

hat ein besonderes Augen­merk auf die alltäglichen Aufgaben von Organisations­mitgliedern – und was von ihnen formal eigentlich gefordert ist.

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